Erik Meijer, wann wurden die Gäs­te­ka­binen am Aachener Tivoli zum letzten Mal reno­viert?

Noch nie, glaube ich. (lacht) Die Aus­stat­tung ist nach wie vor absolut basic“: Geflieste Wände, Holz­bänke und eine kleine Dusche. Na ja, das Wort modern“ trifft den Zustand nicht wirk­lich.



Die Bayern ver­ließen das Sta­dion nach dem Pokal-Aus flucht­artig – und duschten angeb­lich erst im Hotel.

Ich weiß nicht, ob es tat­säch­lich so war. Das ist ein Mythos, der um dieses Spiel gemacht wurde. Als ehe­ma­liger Spieler von Ale­mannia Aachen garan­tiere ich Ihnen: Unsere Duschen sind sauber und funk­tio­nieren.

In der 81. Minute trafen Sie zum ent­schei­denden 2:1. Woher nahm der Zweit­li­gist das Selbst­ver­trauen, den großen Bayern ein Bein zu stellen?


An diesem Abend hat alles gepasst: Wir sind über uns hin­aus­ge­wachsen – und die Bayern haben uns klar unter­schätzt. So ein­fach ist das. Ich hatte die gesamte Zeit das Gefühl, die Münchner wollten das Spiel schnell mal eben im Vor­bei­gehen gewinnen, um sich danach wieder auf die Bun­des­liga und die Cham­pions League kon­zen­trieren zu können. Doch wir drängten mit aller Macht auf den Sieg – bei meinem Kopf­ballauf­setzer war Oliver Kahn völlig chan­cenlos.

Wie war die Stim­mung vor dem Spiel in der Kabine?

Es war sehr ruhig. Jörg Berger spürte ja, dass wir förm­lich brannten. Seit Wochen gab es in der Region um Aachen kein anderes Thema mehr, die Hütte war natür­lich lange aus­ver­kauft. Manche Fans haben vor dem Ticket­shop geschlafen, um die letzten Karten zu bekommen. Da haben sich sogar einige Stu­denten etwas dazu ver­dient: Die haben vor der Kasse cam­piert und die Tickets dann zum vier­fa­chen Preis ver­kauft. (lacht)

Waren die Bayern-Spieler viel­leicht gedank­lich schon beim anste­henden Cham­pions League-Spiel gegen Real Madrid?

Auch für einen Spieler kommt es immer darauf an, wie die Medien mit der Situa­tion im Verein umgehen. Das Spiel gegen Madrid war ja immerhin schon das Ach­tel­fi­nale, also die K.o.-Runde. Und die Münchner wurden ständig dazu befragt. Wenn man dann in Gedanken den zweiten Schritt vor dem ersten macht, fällt man eben auf die Fresse.

Kennen Sie dieses Gefühl?

Klar, das ist mir auch schon pas­siert, als ich noch mit Lever­kusen in der Cham­pions League spielte. Da mussten wir auch gegen Real oder die Glasgow Ran­gers ran – und haben vorher die Punkte in Duis­burg gelassen.

Bayern-Trainer Hitz­feld sprach nach der Bla­mage von einer Trau­er­stim­mung“ in der Münchner Kabine. Wie haben sie die Ver­lierer nach dem Spiel erlebt?

Manche Bayern-Spieler haben schon wäh­rend des Spiels laut­stark mit­ein­ander geschimpft. Die haben den Tivoli danach wirk­lich auf ganz, ganz leisen Sohlen ver­lassen und sich für ihre Leis­tung geschämt. Der Tross war unheim­lich schnell weg, ich konnte mit nie­mandem mehr spre­chen.

Wie fei­erten Sie nach dem Spiel?


Ich habe die Nacht nicht zum Tag gemacht, da ich privat große Pro­bleme hatte. Mein Vater wurde ja einige Tage vorher mit einer Herz­at­tacke ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert. Das war für mich ein echter Schock! Bei ihm habe ich im Vor­feld des Spiels auch einige Zeit ver­bracht. Natür­lich habe mit meinen Mit­spie­lern nach Schluss­pfiff im Sta­dion ein biss­chen Party gemacht – aber danach bin ich schnell nach Hause gegangen und habe dort eine Fla­sche Wein getrunken. Ich wollte lieber alleine sein.

Stimmt es, dass Sie Ihrem Vater vor dem Spiel den Sieg ver­spro­chen hatten?

Nicht direkt. Aber da er vorher bei jedem Heim­spiel im Sta­dion war, habe ich ihn schon sehr ver­misst. Als mir dann auch noch das ent­schei­dende Tor gelang und ich wusste, mein Vater bangt vor dem Fern­seher mit – also, das war Emo­tion pur! So eine Dra­ma­turgie konnte nur der Fuß­ball­gott schreiben. Oder irgend­eine höhere Macht, die sich dachte: Hey, da unten läuft einer rum, der könnte heute deine Unter­stüt­zung gebrau­chen.“

Wäh­rend Ihres Abschieds­spiels im Oktober 2006 wurden Sie von Ihrem Vater sogar kurz vor dem Abpfiff vom Platz gerufen…

…und ich wusste nicht einmal von dieser Aktion! Er rief mir vom Spiel­feld­rand per Mega­phon zu: Erik, komm her! Schluss mit Fuß­ball! Fang jetzt mal was Ver­nünf­tiges an!“ (lacht) Ich habe wirk­lich vieles von meinem Vater mit­be­kommen: Meinen Cha­rakter, mein Durch­set­zungs­ver­mögen, selbst mein fuß­bal­le­ri­sches Talent. Er wollte auch Profi werden, hatte sogar mal ein Pro­be­trai­ning in der Ehren­di­vi­sion bei For­tuna Sit­tard. Dort konnte sich aber leider nicht durch­setzen. Danach spielte er im Ama­teur­be­reich – im hoch­klas­sigen Ama­teur­be­reich!

Noch mal zurück zum legen­dären Pokal­fight: Trifft sich die dama­lige Mann­schaft heute noch manchmal und erzählt sich Schoten?

Ja, gerade letzten Montag habe ich noch mit Kalla“ Pflipsen, Klitze“ Klitz­pera und Kai Mich­alke zusammen gesessen. Es ist sehr schön sich noch einmal zu sehen, da kommen viele Erin­ne­rungen hoch. Schließ­lich erreichten wir in dieser Saison sogar noch sen­sa­tio­nell das Pokal­fi­nale gegen Werder Bremen.

Welche Erin­ne­rungen haben sie an das Finale, das wich­tigste Spiel der Aachener Ver­eins­ge­schichte?

Ich habe damals das Abschluss­trai­ning von Werder im Olym­pia­sta­dion beob­achten können und war da schon ziem­lich beein­druckt. Wir wollten den Verein so gut wie mög­lich reprä­sen­tieren, unsere Mann­schaft wurde extra für diesen Tag ganz neu ein­ge­kleidet. Das Drum­herum war ein­malig, Familie und Freunde haben um Karten gebet­telt. 75.000 Zuschauer, die Natio­nal­hymne – so etwas geht an nie­mandem vorbei!

Am Ende reichte es nicht zum ganz großen Coup…

Leider. In der 75. Minute bekam George Mbwando eine rote Karte, danach hat uns Tim Borowski fünf Minuten vor Schluss förm­lich erschossen. Mein Anschluss­treffer zum 2:3 kam dann zu spät.

Spä­tes­tens seit diesem Spiel wusste Fuß­ball­deutsch­land: Der Meijer kann es noch! Haben Sie danach noch einmal an ein Enga­ge­ment in der Bun­des­liga gedacht?


Nein. Und spä­tes­tens nach unserem Auf­stieg mit Aachen 2006 war mir auch klar, dass ich ganz abtreten werde. Ich habe mir dafür doch den schönsten Moment aus­ge­sucht, oder? Es gibt Zeit zum Kommen und Zeit zum Gehen – und für mich war die Zeit zum Gehen gekommen.

Bli­cken wir auf Ihre lange Kar­riere zurück. Nach nur einer Spiel­zeit beim FC Liver­pool war das Aben­teuer Pre­mier League für Sie im Jahr 2000 bereits wieder beendet. Sind Sie ent­täuscht von Ihrer Zeit in Eng­land?

Absolut nicht! Der Wechsel von Lever­kusen nach Liver­pool war der Höhe­punkt meiner Kar­riere. Hätte ich bei Bayer noch einmal unter­schrieben, wäre ich wahr­schein­lich ewig dort geblieben. Aber ich war 29 Jahre alt und fragte mich: Wie gut bin ich eigent­lich? Als sich der FC Liver­pool mel­dete, musste ich nicht lange über­legen. Schon als Kind war ich ein großer Fan der Reds“. Ich habe in Liver­pool eine Saison viel gespielt und im zweiten Jahr gemerkt, dass einige Leute besser sind als ich. Das war keine Schande, son­dern eine Fest­stel­lung.

Dass Sie ein glü­hender Liver­pool-Sup­porter sind, wusste man ja spä­tes­tens seit dem UEFA Cup-Finale der Reds“ gegen Depor­tivo Alavés 2001.

Das stimmt. Zu diesem Zeit­punkt stand ich beim HSV unter Ver­trag, lag aber mit einem dop­pelten Bän­der­riss auf Eis. Mein Phy­sio­the­ra­peut, zwei meiner Freunde und ich hatten Karten für das Finale und spa­zierten schon nach­mit­tags durch die Dort­munder Innen­stadt. Am Alten Markt, wo schon viele Reds-Fans fei­erten, wurde ich erkannt. Tja, inner­halb kür­zester Zeit musste ich dann natür­lich liter­weise Bier trinken. Die Stim­mung stieg, und die Liver­pooler skan­dierten: Erik, Erik, sing us a song!“ Und das tat ich dann, mehr­mals, auf irgend­einer Empore ste­hend. Danach bin ich mit den Fans per Stra­ßen­bahn ins West­fa­len­sta­dion gefahren habe mit ihnen weiter Party gemacht.

Wie traurig sind sie rück­bli­ckend, nur einmal für die Nie­der­lande auf­ge­laufen zu sein?

Ich bin nicht traurig. Unser Land hat tra­di­tio­nell sehr viele gute Stürmer, die Kon­kur­renz ist ein­fach riesig. Auf diesen einen Ein­satz in der WM-Qua­li­fi­ka­tion 1993 gegen das schwer zu spie­lende San Marino (lacht) bin ich immer noch sehr stolz, es war ein High­light meiner Kar­riere.