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Die Män­ner­freund­schaft von Horst Hru­besch und HSV-Vor­stand Jonas Boldt begann vor gut einem Jahr bei Mett­bröt­chen und frisch gebrühtem Kaffee im trauten Heim des Ehe­paars Hru­besch bei Neu­münster. Der Alte quatscht gern, er fühlt sich wohl im Kreise junger Leute, ist immer neu­gierig auf Men­schen, auf neue Sicht­weisen und er freut sich, wenn etwas pas­siert.

Boldt musste mehr­fach anreisen, ehe er den mitt­ler­weile 70-Jäh­rigen soweit hatte, sich noch einmal für einen Job im ope­ra­tiven Geschäft zu erwärmen. Nachdem er in knapp zwanzig Jahren außer Haus­meister und Bun­des­trainer der A‑Nationalelf so ziem­lich jeden Job beim DFB gemacht und stets die Ziel­stel­lungen erreicht hatte, war er nach seinem – wie er sagt – schönsten Job“ als Inte­rims­trainer bei der Frau­en­na­tio­nalelf auf Alten­teil gewech­selt. Er wollte mit seiner Gattin end­lich die ver­spro­chene Welt­reise machen, ein Buch übers Flie­gen­fi­schen schreiben, sich um die Enkel küm­mern. Ergo: Rentner sein!

Hru­beschs Hilfe wird drin­gend benö­tigt

Finde den Fehler! Der HSV-Chef fand ihn recht schnell. Als Corona alles in Schock­starre ver­setzte, schlich sich auch im Hause Hru­besch bald die Lan­ge­weile ein. Boldt kam öfter vorbei, stopfte artig Fleisch­sem­meln in sich rein und gewann suk­zes­sive das Ver­trauen des eme­ri­tierten Kopf­bal­lun­ge­heuers. Als er ihm schließ­lich das Angebot machte, 37 Jahre nach seinem Abschied als Profi („Ich sag’ nur ein Wort: Herz­li­chen Dank“) als HSV-Nach­wuchs­di­rektor am Volks­park anzu­heuern, war seine Rück­kehr nur noch eine For­ma­lität.

Hru­besch hatte Bock. Aber so richtig. Und seine Men­schen­kenntnis, die es ihm ermög­licht hat, fast fünfzig Jahre im Pro­fi­fuß­ball zu über­leben, ohne sich cha­rak­ter­lich zu ver­biegen, gab ihm die Gewiss­heit: Mit Boldt kann es klappen.“

Nie­mand weiß, ob wieder Mett­bröt­chen auf dem Tisch standen, als der junge HSV-Vor­stands­boss und Sport­di­rektor Michael Mutzel am Wochen­ende überein kamen, dass Hru­besch ab sofort das Trai­neramt bei Profis über­nimmt. Mit Sicher­heit aber werden ihm die beiden ver­ge­gen­wär­tigt haben, wie drin­gend sie seine Hilfe brau­chen.

Ken­nen­lern­phase nicht nötig

Nach dem eupho­ri­schen Start in die Saison unter Trainer Daniel Thioune geriet der HSV zuletzt in einen Abwärts­strudel. In der Rück­runde konnte der Klub von bis­lang 14 Spielen nur drei für sich ent­scheiden. In den letzten fünf Par­tien blieb der Auf­stiegs­aspi­rant ohne Sieg. Sollte Hol­stein Kiel nach der coro­nabe­dingten Pause alle Nach­hol­spiele gewinnen, wäre der HSV sieben Punkte von einem Auf­stiegs­platz ent­fernt. Eine Kata­strophe, sport­lich und wirt­schaft­lich. Und für viele Kri­tiker der Nach­weis, dass der erhoffte Neu­start, den bereits Funk­tio­näre wie Didi Bei­ers­dorfer und Bernd Hof­mann ver­spro­chen hatten, auch unter Boldt geschei­tert ist.

Hru­besch macht keinen Hehl daraus, dass seine Rück­kehr und sein Ver­bleib am Volks­park eng mit dem Vor­stand­chef ver­knüpft sind. Sollte Boldts Schicksal durch den erneuten Nicht-Auf­stieg beim HSV besie­gelt sein, ist nicht aus­zu­schließen, dass auch Hru­besch zeitnah wieder vom Hof reitet. Es besteht also Hand­lungs­be­darf.

Zumal Daniel Thioune nach dem 1:1‑Unentschieden gegen den KSC am Don­nerstag die Lage recht hoff­nungslos kom­men­tierte: Wir müssen nicht mehr über Plätze reden, nicht mehr über Mann­schaften um uns herum. Das macht keinen Sinn mehr.“ Der Coach, der erst im Sommer vom VfL Osna­brück nach Stel­lingen kam, war zwei­fellos mit seinem Latein am Ende.

Bezogen auf Sinn und Unsinn im Fuß­ball zitiert Horst Hru­besch gern ein Bonmot seines eins­tigen Trai­ners Ernst Happel. Es lautet: Für eine gute Mann­schaft macht Ver­lieren über­haupt keinen Sinn!“ Daran hat wohl die HSV-Füh­rung gedacht, als sie sich am Wochen­ende mit Hru­besch zusam­men­fand. Gemeinsam wurden einige Nach­fol­ge­per­so­na­lien für Thioune durch­ge­spro­chen. Am Ende waren sich alle Betei­ligten einig, dass ein Schnell­schuss nur unnötig Geld kostet – und wenig Aus­sicht auf Erfolg ver­spricht. Wieder stellte Horst Hru­besch am Ende die Frage nach der Sinn­haf­tig­keit: Bei nur drei oder maximal fünf ver­blei­benden Spielen machen andere Lösungen nicht viel Sinn“, so der Veteran, ich brauche keine Ken­nen­lern­phase.“

Ab sofort leitet er also das Trai­ning. 26 Jahre nach seinem letzten Job kehrt er noch einmal auf die Bun­des­liga-Trai­ner­bank zurück. Zur dama­ligen Zeit fehlte ihm im Lizenz­be­reich oft das Quänt­chen Glück. Er kam nicht mit der Arbeits­ein­stel­lung gestopfter Profis zurecht. Klub­bosse wie der Bau­löwe Rolf-Jürgen Otto bei Dynamo Dresden behan­delten ihn respektlos und von oben herab. Als Co-Trainer von Erich Rib­beck bei der EM 2000 war er geschockt von der Wil­len­lo­sig­keit deut­scher Natio­nal­spieler. So sehr, dass er nach Aus­scheiden gegen Por­tugal in der Vor­runde hem­mungslos wei­nend auf der Ersatz­bank kau­erte. Er zog sich in den Jugend­fuß­ball zurück, weil es ihm dort leichter erschien, seine Werte zu ver­mit­teln – und fand seine wahre Pas­sion.

Nun muss sich erweisen, ob auch die aktu­ellen HSV-Profis bereit und willig sind, ihm zuzu­hören. Hru­beschs Enga­ge­ment bis Sai­son­ende dient nur einem Ziel: Er muss einen neuen Impuls setzen, die Mann­schaft aus der Depres­sion her­aus­holen. Hru­besch muss einem völlig ver­un­si­cherten Kader das Ver­trauen in die eigenen Fähig­keiten zurück­geben. Zuletzt hat die Mann­schaft leider oft unter Wert gespielt“, sagte er beim Amts­an­tritt mit gewohnt wind­schiefer Hru­besch-Sym­bolik, wir müssen alles daran setzen, den Mist, den wir ver­bockt haben, wieder gera­de­zu­rü­cken.“ Er wolle jetzt viele Gespräche führen, rein­hören und ver­su­chen, ein paar Akzente zu setzen. Ob seine Bemü­hungen Früchte tragen und er ein neues Selbst­be­wusst­sein im Kader schüren kann, ent­scheidet sich also im Prinzip schon in diesen Stunden. Mehr kann er nicht tun. Nie­mand weiß das besser als Hru­besch selbst, er ist lange genug dabei.

Ein Akt der Selbst­lo­sig­keit

Es ist selbst­loser Akt. Im Gegen­satz zum 67-jäh­rigen Fried­helm Funkel, der vor einigen Wochen den 1. FC Köln in dem Wissen über­nahm, mit dem Klub noch aus eigener Kraft dem Abstieg ent­rinnen zu können, ist Hru­besch bei seiner Mis­sion auf das Schei­tern der Kon­kur­renz ange­wiesen. Es geht ihm nicht um Geld. Nicht darum, seinen Ruhm noch zu mehren. Es geht schlichtweg darum, den HSV vor einem wei­teren Tief­schlag zu bewahren.

Es ist ein großes Wagnis. Denn klar ist: Selbst wenn der Klub unter seiner Füh­rung alle noch aus­ste­henden Spiele gewinnt, würde der erneute Zweit­li­ga­ver­bleib mit seinem Gesicht ver­bunden bleiben. Sollte er zudem auch die Ergeb­nisse schuldig bleiben – was ange­sichts der jüngsten Auf­tritte des Teams durchaus denkbar wäre – werden im Umfeld des chro­nisch ner­vösen Ver­eins auch wieder Stimmen laut werden, die ihm seinen unzwei­fel­haften Ruf streitig machen wollen. Kurz: Seine Chancen, als Gewinner aus dieser schwie­rigen Gemenge­lange her­vor­zu­gehen, sind eher gering.

Aber das kennt er ja nicht anders. Als er 1983 in löch­riger Trai­nings­hose vor dem End­spiel im Lan­des­meis­ter­pokal den Rasen betrat und die Spieler von Juventus Turin in ihren dunklen Maß­an­zügen ins Sta­di­on­rund schlen­dern sah, hätte auch keiner einen Pfif­fer­ling auf das Ham­burger Team gesetzt. Am Ende aber stemmte Hru­besch den Cup in den Athener Nacht­himmel.

Als er von 11FREUNDE gefragt wurde, wie er sich erkläre, dass der HSV damals gegen alle Wahr­schein­lich­keiten zu Europas bester Mann­schaft auf­stieg, sagte er: Wir sind für­ein­ander ein­ge­standen und haben die Scheiße durch­ge­zogen.“ Darauf wird es auch diesmal ankommen. Für gute Mann­schaft macht Ver­lieren eben wenig Sinn. Nur ist Horst Hru­besch darauf ange­wiesen, dass diesmal andere Teams diesen Gedanken bis zum Sai­son­ende nicht beher­zigen.