Viele Jahre galt Thomas Doll in der Bundesliga als nicht mehr vermittelbar. Dann griff Hannover 96 zu. Ein Fehler?
Am 27. Januar 2019 wachten wir, ganz unverhofft, in der Vergangenheit auf. An jenem Tag kehrte Thomas Doll in die Bundesliga zurück, und die meisten Fans und Journalisten reagierten, nun ja, irritiert. Doll galt als ein Trainer aus den Nullerjahren – und zwar nicht aus jenen Nullerjahren, die die Zukunft kaum erwarten konnten, sondern eher wie jene Nullerjahre, die noch knietief in den Neunzigern steckten. Klaus Augenthalers Bundesliga-Comeback oder die Wiedereinführung des Liberos hätten zu diesem Zeitpunkt kaum weniger verblüfft. Und so expertete auch 11freunde.de: „Darum ist die Doll-Verpflichtung ein Fehler“.
Aber war sie das wirklich?
Als Thomas Doll mit dem BVB zuletzt einen Verein in Deutschland trainiert hatte, sah die Fußballwelt tatsächlich komplett anders aus. 2008 war das. RB Leipzig gab es noch nicht, dafür spielten Energie Cottbus oder Hansa Rostock in der Bundesliga. Oliver Kahn war noch aktiv, Peter Neururer heuerte in jenem Jahr in Duisburg an. Und Doll analysierte in einer Pressekonferenz: „Alles blablabla.“ Es war zugleich der Ausklang aus einer fußballerischen Vormoderne und der (vorläufige) Abschied eines der Letzten seiner Art.
Kunst, Literatur oder Brust raus?
Danach erneuerte sich der Fußball in einem rasanten Tempo. Taktisch, spielerisch, aber auch ästhetisch und sprachlich. Trainer wie Thomas Tuchel erklärten bald eloquent ihre Spielphilosophien, Jürgen Klopp brachte feinen Humor in den Fußball. Akribische Jugendtrainer mit Laptops rückten auf, Wissen war nun mehr wert als Erfahrung. Einige Neulinge hatten sogar an Universitäten studiert, sie waren teilweise jünger als ihre Spieler. Nächtelang brüteten sie mit ihren Trainerteams über Spielsystemen, als würden sie hochkomplexe mathematische Aufgaben lösen. Und sie kannten sich nicht nur mit Fußball aus. Christian Streich sprach in Interviews über den Schriftsteller David Foster Wallace, Pep Guardiola über Ausstellungen im New Yorker Museum of Modern Art.
Als Thomas Doll Ende Januar 2019 zurückkehrte, sagte er: „Wir müssen die Brust rausstrecken und den Kopf oben halten.“ Und mit einem Mal roch es in der Bundesliga, zumindest in Niedersachsen, wieder mehr nach Blousontrainingsjacken und Nasenpflastern als nach Matchplänen oder „polyvalenten Spielern“ (Lucien Favre).
„Mir geht diese Situation total auf den Sack!“
Danach verlor Hannover 96 neun von zehn Spielen, die Mannschaft spielte noch schlechter als zuvor, allein Thomas Doll fand, dass Thomas Doll keine Schuld daran trug. Er sprach von „Grottenkicks!“ oder „Angsthasenfußball!“. Er sagte: „Ich hatte mir meine Rückkehr in die Bundesliga anders vorgestellt.“ Oder: „Mir geht diese Situation total auf den Sack!“ Dabei klang er eher selbstmitleidig als selbstkritisch.
Die Mannschaft stieg ab, und die Kritiker, so schien es, hatten Recht behalten: Doll war ein Trainer aus der Vergangenheit.