Der feuchte Traum eines jeden Trainers: die Messis und Neymars von morgen entdecken. Den Herren dieser Geschichte gelang sogar etwas noch Größeres: sie fanden die Originale. Angeblich.
Carles Rexach empfängt den Reporter vor einem Ligaspiel im VIP-Bereich des Camp Nou. Um ihn herum drängen sich Geschäftsleute und ehemalige Spieler. Rexach ist einer der großen alten Männer des FC Barcelona – Spieler, Trainer, Sportdirektor, er hat alles gemacht. In erster Linie aber gilt er heute als Messis Entdecker, als Protagonist einer Vierhundert-Millionen-Dollar-Schatzsuche, nicht unähnlich der Entdeckung eines gigantischen Ölfeldes. Wenn er davon erzählt, klingt es wie der Plot für ein modernes Märchen:
„Leo war ein Junge, der nicht wuchs. Ein sehr guter Spieler, aber eben auch sehr klein. Unsere Trainer hatten Zweifel. Einige sagten: Der ist zu ballverliebt. Andere: Der taugt nur für Hallenfußball. Messis Vater wurde ungeduldig. Da organisierte ich, nach drei Monaten, ein letztes Spiel. Ich brauchte nur fünf Minuten, um zu wissen, was für ein Juwel er war. Ich traf meine Entscheidung sofort. Doch sein Vater sagte, es dauert alles zu lang, er geht jetzt zu Real Madrid. Da entwarf ich dort, am 14. Dezember 2000, im Tennisclub Pompeia einen Vertrag – auf einer Serviette.“
Rexach blickt einen herausfordernd an. Er erwartet eine Reaktion. Macht Sie das zum Entdecker?
„Nicht so sehr Entdecker“, sagt er. „Sein Talent hätte auch jemand entdeckt, der wenig vom Fußball versteht. Aber im Leben eines zukünftigen Superstars kommt es oft auf eine winzige Entscheidung an, die dann alles verändert. In Barcelona konnte Messi zum Star reifen. Ich weiß nicht, ob ihm das woanders gelungen wäre.“
Messis Weg war ein Kampf, Neymars eher Design
Es sind Geschichten wie die von der Serviette, die aus dem einfachen Leben von Fußballspielern große Dramen machen. Und doch erklären sie manches: Messis Weg war ein Kampf, Neymars eher Design. Messi wollte einem Stigma entkommen, Neymar einem Volk gefallen. Messi brauchte in erster Linie sich selbst, Neymar brauchte Mentoren, Begleiter, Freunde, einen Stab.
Auch Carles Rexach genießt seine Rolle, so wie Betinho. Er sieht sich als Messis Patenonkel. Er lässt sich in einen Ledersessel fallen und ein Bier kommen. Ein Vereinsoffizieller stellt ihm einen britischen Geschäftsmann vor: „The dis-coverer of Lionel Messi.“ Rexach erhebt sich und grinst stolz. Er hat einst mit Johan Cruyff zusammengearbeitet, dann mit Pep Guardiola, er kennt das Profil des FC Barcelona. Wenn er seine Philosophie beschreiben müsste, läuft sie darauf hinaus: „Ich scanne mit diesem Barça-Suchprofil jeden Spieler. Er muss schnell sein, vor allem im Kopf. Er muss ein Teamplayer sein und doch etwas Eigenes haben, etwas Geniales: die Barça-DNA.“
Wer hier groß wird, ist Teil eines Systems
Nachdem Rexach Messi im Jahr 2000 unter Vertrag genommen und seinem Vater Jorge einen Job vermittelt hatte, kam der Junge auf Barcelonas Fußballinternat La Masia. Wer hier groß wird, ist Teil eines Systems, in dem nur das Kollektiv zählt, die Einheit. Das ist nicht so viel anders als im Kloster. Neymar, der Beachboy, hätte das wohl nicht überlebt. Er verbrachte seine gesamte Jugend und den Anfang seiner Karriere in Brasilien und wagte erst mit 21 den Schritt nach Europa, offiziell für 57 Millionen Euro. Später stellte sich heraus, dass der wahre Betrag eher bei 95 Millionen lag, ein Deal, über den Barças Präsident Sandro Rosell stürzte.
Rexach schwärmt von La Masia, er lobt auch die Internate des DFB, wo die goldenen Generationen von klein auf geformt werden. Er sagt aber auch: „Das Internat kann nur so viel. Ich habe zu unseren Trainern immer gesagt: Gib Leo den Ball und lass ihn machen. Das Gleiche gilt heute noch – für Messi und Neymar. Lass sie dribbeln. Entlasse sie aus dem Korsett. Lass sie Straßenfußballer sein, die sie von klein auf waren.“
Rexach hat beide nun in seinem Verein. Er blickt durch die Glasscheiben des VIP-Bereichs hinunter aufs Spielfeld, wo sich Messi und Neymar gemeinsam aufwärmen. Eine letzte Frage: Würden die beiden da unten auf dem Platz von Camp Nou stehen ohne Entdecker wie Betinho und ihn?
Rexach sagt: „Messi ja. Neymar? Weiß ich nicht.“