In 308 Spielen schoss Evertons Tony Hibbert kein einziges Tor. Die Fans riefen: „Wenn er trifft, rasten wir aus!“ Dann kam der 8. August 2012.
Schon nach ein paar Minuten zusammen mit Tony Hibbert an einem Tisch im Stadioninnern versteht man seine Popularität. Hibbert hat diesen Blick, der eine gewisse Unerschütterlichkeit gegenüber den Aufgeregtheiten da draußen ausstrahlt. Die blonden Haare kurz, das Gesicht allwetterimprägniert. Wenn er dann noch die Mundwinkel beim Sprechen herunterzieht, wirkt er ein bisschen wie Charlie Watts.
Das Gründungsmitglied der Rolling Stones sitzt seit den Sechzigern beständig an den Drums der Band. Wenn er sich bei der Vorstellungsrunde der Musiker nach all den anderen Exzentrikern still erhebt, brandet der lauteste Applaus auf. Tony Hibbert hat nicht Schlagzeug gespielt, sondern Rechtsverteidiger. 15 Jahre in der ersten Liga, er hätte Familienfotos und Zimmerpflanzen an die Außenlinie stellen können. Gab es nie Angebote anderer Klubs? „Zwei Mal haben mich andere Vereine angerufen“, erzählt Hibbert. „Doch ich habe ihnen direkt abgesagt. In mir drin war immer das Gefühl, dass ich hier niemals weggehen möchte. Ich hätte es einfach nicht übers Herz bringen können.“
In der Schule mit Steven Gerrard
Hibbert muss bei der Antwort nicht lange nachdenken, es kommt direkt aus ihm heraus. Im Scouser-Dialekt dieser Gegend, bei dem die Worte manchmal klingen, als hätte man sie noch einmal durch den Mersey River gezogen, sie dann ausgewrungen, bis sie auf den Tisch vor einem platschen. Hibbert wuchs im Liverpooler Arbeiterbezirk Huyton auf, zusammen mit Steven Gerrard, der Legende des Lokalrivalen. Die beiden spielten zusammen in der Schulmannschaft, doch spätestens, als sie sich ihren jeweiligen Klubs anschlossen, endete der Kontakt. Hibbert kickte in der Jugend für Everton, stieg bei den Spielen der ersten Mannschaft auf die Tribüne und schaute am anderen Tag seinem Vater in der Freizeitliga zu. Das war für ihn ein perfektes Wochenende.
Wie lange Hibbert bei Everton spielte, zeigt sich daran, dass er sowohl mit Paul Gascoigne in dessen letzten Schaffensjahren als auch mit Wayne Rooney in dessen erster Profisaison auflief. Hibbert schwärmt noch heute davon, welch eine Freude es für ihn als Mitspieler gewesen sei, den beiden zuzuschauen. Er selbst schaffte es nie zu höheren Weihen, nur in einer Saison wies ihn die offizielle Statistikseite der Liga als besten Rechtsverteidiger aus. Zu einem Länderspiel für England reichte es aber nie.
When Hibbert scores, we riot
Dass er nie ein Tor schoss, störte ihn nicht, sagt er. Er hatte einen Job zu erledigen, und das war nun mal das Verteidigen. Seine Karriere endete, als der Klub im Sommer 2016 auf seiner Homepage schlicht mitteilte, dass Hibberts Vertrag und der seines Kumpels Leon Osman nicht verlängert würden. Hibbert erfuhr nur davon, weil seine Frau die Meldung gelesen und ihn angerufen hatte. Es war wie die Geschichte eines Fließbandarbeiters, 40 Jahre für die Firma geschuftet, keinen Tag krankgefeiert, dann ohne Blumenstrauß in Rente geschickt.
Die Wertschätzung der Fans brachte der Klub nur selten auf. Hibbert fragte zwei Jahre lang, wann er sein Testimonial bekäme. Dann legte David Moyes, der langjährige Trainer, dieses Jubiläumsspiel auf einen schnöden Vorbereitungskick gegen AEK Athen. Alles solle bitte so sein wie immer, ordnete Moyes an. Die Mannschaft solle sich auf die Saison vorbereiten – und zu Freistößen oder Elfmetern die üblichen Schützen antreten, auf keinen Fall Hibbert. Die Fans konnten solch nüchterne Ansagen nicht bremsen, sie druckten weiter Shirts und beschrieben Banner mit der Ansage: When Hibbert scores, we riot.
Hibbert selbst fragte den Trainer David Moyes und die Funktionäre, wie sie denn damit umgehen würden, wenn er treffen würde und die Fans ausrasteten, sprich: den Platz stürmen. Er wurde belächelt. „Sie stürmen schon nicht.“ Hibbert sagte: „Das tun sie. Glaubt es mir.“ Warum war er sich da so sicher? „Ich kenne die Fans, ich stand mit ihnen zusammen im Block, ich komme von hier. Ich wusste: Sie stürmen.“