Nach zwei Niederlagen in der Bundesliga hätte es hektisch werden können beim FC Bayern. Doch unter Hansi Flick ist der Verein zumindest intern wieder zur Ruhe gekommen. Über einen, der eigentlich nie im Rampenlicht stehen wollte.
Getöse gibt es eigentlich immer beim FC Bayern. Wie groß die Aufregung wirklich ist, das lässt sich zum Beispiel daran messen, wie viele Journalisten zu den Pressekonferenzen erscheinen. Beim legendären Medienschelten-Vortrag von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge im Oktober 2018 waren es zum Beispiel 36 – und das wohl auch nur, weil nicht mehr Menschen in den kleinen Raum hineinpassen. Am Freitagmittag, vor dem Bundesligaspiel gegen Werder Bremen, waren es neun. Alles wirkt so, als sei mit Hansi Flick schon Alltag eingekehrt an der Säbener Straße. Aber für wie lange?
Diesmal hat Flick einen schwarzen Rollkragenpulli angezogen. Das sieht seriös aus. Es fällt auf, dass der 54-Jährige immer etwas anderes trägt: Zum Einstand war es ein FC-Bayern-Hoodie, damals sprachen alle davon, dass er ein empathischer Kumpeltyp sei, ein Menschenfänger. Vielleicht ist die Kleiderwahl ja auch Zufall. Doch bei Flick ergibt vieles immer ein fast unheimlich stimmiges Bild.
„Ich schlafe jetzt schon wieder besser“
Warum genau ist Flick noch einmal hier? Weil Kovac gefeuert wurde, sicherlich. Aber davor? Offiziell hieß es, dass Kovac in ihm nach dem Weggang von Peter Hermann einen Wunschkandidaten sah. Falls das stimmt, dann wohl auch deshalb, weil Flick ja seit jeher seine Expertise einbringt, ohne anderen den Job streitig zu machen. Als die Kovac-Brüder gehen mussten, war aber irgendwie klar, dass Flick einspringen würde.
„Ich schlafe jetzt schon wieder besser“, sagt Flick nun. In den ersten Tagen nach dem Wechsel hatte er offen zugegeben, dass dem nicht so sei. Es heißt ja immer, dass der seit 14 Jahren als Co-Trainer und DFB-Sportdirektor tätige Weltmeister nicht gerne im Rampenlicht stehe. Als er 2005 mit Hoffenheim nicht in die zweite Liga aufstieg hieß es dort, dass Flick damals ziemlich gestresst gewesen sein soll.
Bei Bayern fällt es leicht, vom Rampenlicht genervt zu sein. Eigentlich tanzen die Lichter ja die ganze Zeit hin und her und suchen den Verein nach jedem kleinen Indiz ab, aus dem sich ein Skandälchen machen lässt. Und unter Flick ist ja schon viel passiert: Zwischen einer perfekten Champions-League-Vorrunde und einem historisch schlechten Platz sieben in der Liga; zwischen Traumstart und Chancentod; zwischen der Schlagzeile: „Bleibt Flick bis Saisonende?“ hin zu „War der Flick-Hype verfrüht?“ lagen jeweils nur wenige Tage. Dabei hatte die Mannschaft gegen Leverkusen und Mönchengladbach zwar jeweils unglücklich verloren, aber nichtsdestotrotz auch besser gespielt als unter Kovac.
„Die Philosophie passt zu uns“
Kritik ist nach den Niederlagen natürlich trotzdem laut geworden. Der Unterschied zum Vorgänger ist: Die Querschüsse kommen nicht aus dem eigenen Haus. Es ist lediglich das normale, beim FC Bayern fast alltägliche Blätter- und Bildschirmrauschen. Die Spieler sind voll des Lobes für Flick, und es klingt ehrlich gemeint. „Wir haben in allen Spielen seiner Amtszeit gut gespielt. Die Philosophie passt zu uns, daher sind wir alle positiv, was die Trainersituation angeht“, sagt Manuel Neuer. Joshua Kimmich findet, jeder wisse, was er zu tun habe unter Flick. Das System sei da, die Spieler eingebettet, klare Sache.
Den Spielern fiel es in den vergangenen Wochen immer wieder schwer, alles so zu formulieren, dass es sich nicht wie eine Kovac-Kritik anhört. Aber Flick macht eben einiges – anders. Als er am vergangenen Mittwoch gegen Tottenham den 18-jährigen Stürmer Joshua Zirkzee einwechselte, nahm er diesen vorher noch einmal in den Arm, als er ihm Laufwege auf dem Feld anzeigte. Das sah lustig aus, weil Flick 1,77 Meter und Zirkzee 1,93 Meter groß ist. Aber bei Kovac hätte es einfach nur ungewohnt ausgesehen.
Flicks soziale Intelligenz hatte den Verein zunächst beruhigt. Niemand erwartete Wunderdinge, und wenn man ehrlich ist, war das 2:0 zum Auftakt gegen die schwachen Griechen von Olympiakos Piräus erschreckend langweilig. Erst das 4:0 gegen Dortmund wirkte wie eine Befreiung. Seitdem steigen die Erwartungen wieder.
Doch nun hat Flick selbst die Latte hochgelegt: Drei Siege müssten jetzt noch her bis Weihnachten. Damit wäre gewährleistet, dass die Bayern nicht den Anschluss an die Tabellenspitze verlieren. Wenn sie es doch tun, hat der Interimstrainer sich selbst unter Druck gesetzt. Und das inmitten einer Personalnot, die sein Vorgänger Niko Kovac so nicht zu bewältigen hatte. Selbst wenn man taktische Gründe für die Gegentore von Leverkusen und Mönchengladbach anführen möchte: Dass die Bayern-Abwehr zurzeit ziemlich langsame daherkommt, ist nicht Flicks Schuld, sondern ein Problem der Kaderplanung respektive der Verletztenmisere.
Oliver Batista Meier, Sarpreet Singh, Zirkzee, Lars Lukas Mai – alle im Kader
Kingsley Coman wird bis auf Weiteres fehlen. Für das Spiel gegen Werder Bremen fällt auch Corentin Tolisso aus, Javier Martinez ist nach seiner ungestümen 2:1‑Vorlage von Mönchengladbach gesperrt, und ein paar prominente Langzeitverletzte gibt es bekanntlich auch. Flick nennt aktuell einen Spieler wie Alphonso Davies, 19 Jahre und seit anderthalb Monaten Stammspieler, eine „Lebensversicherung“ für die Verteidigung. Oliver Batista Meier, Sarpreet Singh, Zirkzee und Lars Lukas Mai werden im Kader stehen.
Natürlich ist es so, dass auch der sympathische Hansi irgendwann am Erfolg gemessen werden wird. Letztlich wird alles davon abhängen, welche Trainer-Vorstellung die Bosse haben und ob sie diesen Trainer dann auch bekommen. Zweitens, ob sie den Wunschtrainer schon im Winter oder erst im Sommer bekommen. Flick kann aktuell vielleicht noch beeinflussen, wie hoch die Latte für seinen Nachfolger gelegt wird. Doch er hat dafür nicht viel Zeit: Sollten es die Bayern schaffen, ein echtes Trainer-Schwergewicht zu verpflichten, werden sie bei diesem schon bald im Wort stehen. Und ab diesem Zeitpunkt ist es egal, ob Flick Bundesliga-Zwölfter wird oder das Triple holt, dann ist spätestens im Sommer 2020 Schluss. Bis dahin wird er den Cheftrainer-Alltag genießen, so lange es geht. Schwer vorstellbar, dass er danach wieder als Co-Trainer arbeiten wird.