Marc-André ter Stegen äußert Unmut über seine Situation bei der Nationalelf und Manuel Neuer fordert ihn auf, sich im Sinne des Teamgeists zurückzuhalten. Wieso eigentlich? Konkurrenz belebt doch das Geschäft
Was für eine Aufregung. Bei einer PR-Veranstaltung in Barcelona wurde Marc-André ter Stegen am Donnerstag gefragt, wie er seine Situation während der zurückliegenden Länderspielreise erlebt habe. Das Gefühl, trotz der Nominierung zum „Welttorhüter des Jahres“, trotz konstant guter Leistungen und seinem Status als unumschränkte Nummer Eins bei einem Verein, dessen Selbstverständnis auf der Annahme beruht, er sei „mehr als ein Klub“, weiterhin im deutschen Tor nur der Back-up von Manuel Neuer zu sein. Ter Stegen sprach schüchtern in die Mikros, er rang nach Worten. Vielleicht lag es daran, dass er spanisch antwortete, womöglich auch daran, dass er wusste, welche Brisanz ein falsch gesetzter Ton in dieser heiklen Frage birgt. Am Ende sagte er in einem von Profis gewohnten Belanglos-Exkurs, der zwischen „muss versuchen, in jedem Spiel beste Leistung zu bieten“, „werde weiter kämpfen“ und „Manu macht das sehr gut“, auch den Halbsatz: „Es ist ein harter Schlag für mich.“
Diese Sentenz mäanderte durch die Medien und wurde begierig als beinharte Kampfansage des Keepers vom FC Barcelona an Manuel Neuer interpretiert. Torwartduelle im deutschen Fußball sind ja seit jeher für Journalisten ein feuchter Traum. Seit Herbergers Zeiten ist bekannt, dass Schlussmänner einen leichten Hau haben. Dass der Druck, in 99,9 Prozent der Fälle alles richtig zu machen, um dann im entscheidenden Moment doch daneben zu greifen und für alle Ewigkeit als Fliegenfänger zu gelten, zu einer besonderen Drucksituation führt, die gerade bei den großen Vertretern der Zunft zu charakterlichen Verformungen führen kann.
Neuer ist der Teflon-Mann
Die Frotzeleien zwischen Sepp Maier und Wolfgang Kleff in den Siebzigern waren in Wahrheit ebenso von Antipathie geprägt, wie der offen ausgetragene Hass zwischen Toni Schumacher und Uli Stein im darauffolgenden Jahrzehnt. Eike Immel trat sogar wütend zurück, als Teamchef Franz Beckenbauer den Youngster Bodo Illgner ins Nationaltor hievte. Dabei hätte gerade er, der jüngste Debütant im deutschen Kasten ever, wissen müssen, dass der Druck auf ein Greenhorn bei Länderspielen ungleich höher ist als bei Vereinsspielen, und das Pendel schnell wieder in seine Richtung ausschlagen kann. Und auch Oliver Kahn und Jens Lehmann werden in diesem Leben sicher nicht mehr beste Freunde. Was diese Männer sich gegenseitig an den Kopf warfen, spottet jeglicher Beschreibung. Wer würde es ihnen verdenken, in einem Positionskampf, der nur eine Alternative kennt. Torwartduelle stellen nun mal die archaische Grundfrage: er oder ich!
So gesehen, ist die helle Aufregung um ter Stegens Einlassung auch ein Abbild, wie sehr wir Medien nach etwas gieren, was nur im Ansatz nach Konflikt müffelt. Denn seien wir ehrlich: Was hat er denn gesagt? Umso überraschender ist die Reaktion von Manuel Neuer, der sich seit Jahren in der Rolle des leicht entrückten Torwartgenies eingerichtet hat und medial gemeinhin außer ein paar ironischen Kommentaren keine wahrnehmbaren Widerhaken mehr offenbart. Es ist allenfalls zu erahnen, wie schwer ihn einst die Feindseligkeiten der Bayern-Fans bei seinem Wechsel aus Schalke trafen und kein Mensch weiß, wie es um sein Seelenleben während der langen Verletzungspause in der Saison 2017/18 bestellt war. Neuer ist der Teflon-Mann.