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Bei Werder Bremen läuft dieser Tage alles falsch. Der Verein, vor zehn Jahren Deut­scher Meister und Pokal­sieger, steht auf dem letzten Platz. Die Mann­schaft hat die meisten Gegen­tore der Liga kas­siert, Trainer und Manager stehen in der Kritik, und was viel schlimmer ist: Ein Ende der han­sea­ti­schen Frus­tra­tion ist nicht abzu­sehen. Und jetzt auch noch das: Der viel­leicht auf­re­gendste Fuß­baller dieser Saison, frisch in die Natio­nal­mann­schaft berufen, wuchs in Bremen auf und sagt Sätze wie diese: Werder ist auch noch ein Stück weit in meinem Herzen drin.“

Karim hat sich diese Chance ver­dient“

Leider, jeden­falls aus Sicht aller Werder-Fans, spielt Karim Bel­larabi für Bayer Lever­kusen. Wäh­rend sich seine alte Liebe Bremen im freien Fall befindet, ist der 24-jäh­rige Offen­siv­spieler gerade auf dem vor­läu­figen Höhe­punkt seiner Kar­riere ange­kommen. Beim EM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel am Samstag gegen Polen gehört Bel­larabi zum Kader des Welt­meis­ters. Karim Bel­larabi hat sich durch her­vor­ra­gende Leis­tungen in seinem Verein diese Chance ver­dient“, ver­kün­dete Joa­chim Löw gewohnt staats­tra­gend die Nomi­nie­rung. Und es wird noch schlimmer für alle Wer­der­aner: Die Grund­lage für diese her­vor­ra­genden Leis­tungen“ schuf sich Bel­larabi in Bremen.

Genauer gesagt: Auf einem Bolz­platz in der Carl-Hurtzig-Straße im Bremer Stadt­teil Huchting. Ein Käfig, ein Schla­ckeplatz mit zwei kleinen Toren“, erin­nerte sich Bel­larabi im Inter­view mit dem Weser-Kurier“, das waren harte Spiele. Da herrschten eigene Regeln, und es ging manchmal auch unfair zur Sache. Man musste lernen, sich zu behaupten und durch­zu­setzen.“

Wie finden Sie das, wenn ich Sie als Stra­ßen­fuß­baller bezeichnen würde?“, wurde Bel­larabi im Inter­view gefragt. Das passt schon“, ant­wor­tete Bel­larabi.

Neu­zu­gang als Reha-Patient

Den Ver­ant­wort­li­chen von Werder Bremen ent­ging aller­dings das Poten­tial eines zukünf­tigen Natio­nal­spie­lers. Sechs Jahre ver­brachte Bel­larabi in Wer­ders Jugend, lief an der Hand von Marco Bode und Ailton ins Weser­sta­dion ein. Doch mit 14 wech­selte er zum nahen FC Ober­neu­land, ehe er mit 18 zu Ein­tracht Braun­schweig ging und end­gültig von Wer­ders Radar ver­schwand. Auch dank seiner Leis­tungen schaffte die Ein­tracht 2011 den Auf­stieg in die zweite Liga und weil sich Bel­larabi in einer eher nüch­tern kickenden Mann­schaft mit auf­re­genden Dribb­lings und Offen­siv­ak­tionen her­vortat, ver­pflich­tete ihn Bayer Lever­kusen. Vom Bolz­platz aus einem Bremer Pro­blem­viertel über die Dritte Liga zu einem Spit­zen­team der Bun­des­liga: Die Vom Tel­ler­wä­scher zum Millionär“-Geschichte des Karim Bel­larabi war so gut wie geschrieben. Dann ver­letzte sich der fein­glied­rige Offen­siv­mann am dritt­letzten Spieltag der Saison 2010/11 schwer am Sprung­ge­lenk. Nach Lever­kusen kam der damals 21-Jäh­rige nicht als Ver­spre­chen für die Zukunft, son­dern als Reha-Patient.

Zwar kehrte der Neu­zu­gang rasch auf den Platz zurück, beim über­ra­schenden 2:0‑Sieg gegen Bayern Mün­chen am 24. Spieltag gelang ihm gar ein Tor. Doch wirk­lich durch­setzen konnte er sich nicht. Auch nicht in der Fol­ge­saison. 18 Spiele, ein Tor, zwei Vor­lagen, so die magere Bilanz aus zwei Jahren Bayer. Für die Bun­des­liga-Spitze schien der Stra­ßen­fuß­baller nicht geeignet zu sein.

Noch nicht. Denn die Ver­ant­wort­li­chen aus Lever­kusen erwiesen Weit­sicht und gaben Bel­larabi 2013 nur als Leih­gabe zum Bun­des­li­ga­auf­steiger aus Braun­schweig ab. Eine weise Idee: Den talen­tierten, aber noch nicht durch­set­zungs­fä­higen Spieler an ver­trauter Wir­kungs­stätte vom Juwel zum Dia­manten schleifen lassen. Was dann auch gelang – fast jeden­falls. 26 Spiele, drei Tore, fünf Vor­lagen, ein Abstieg. Als Karim Bel­larabi im Sommer 2014 zu Bayer Lever­kusen zurück­kehrte, war er zwar reifer und erfah­rener geworden. Aber auch gut genug für ein Team mit Meis­ter­schafts­am­bi­tionen?

Schau ihn dir erstmal an“

Trainer-Neu­zu­gang Roger Schmidt wusste nicht so recht, was er mit dem Rück­kehrer anfangen sollte. Angeb­lich über­legte Schmidt bereits, Bel­larabi für ein paar Euro aus dem Kader zu strei­chen, Ange­bote lagen jeden­falls vor. Dann nahm Sport­di­rektor Rudi Völler seinen neuen Trainer zur Seite: Schau ihn dir erstmal zehn Tage im Trai­ning an. Ich glaube, du wirst Gefallen an ihm finden.“

Nach zehn Tagen nahm Roger Schmidt seinen Sport­di­rektor zur Seite: Der Junge muss bleiben.“

Ein Fuß­baller ist auch immer nur so gut, wie ihn sein Trainer gut sein lässt. Mit Schmidt und Bel­larabi haben sich zwei gefunden: Hier der Offensiv-Opti­mist Schmidt, der für sein extrem angriffs­lus­tiges Spiel schon viel Lob und Schelte kas­siert hat, dort der über­ra­gende Tem­po­dribbler“ (Zitat Völler) mit der Stra­ßen­fuß­baller-Lust auf viel Spek­takel. Wie pas­send: Am ersten Spieltag gelang Bel­larabi beim 2:0‑Sieg gegen Dort­mund das schnellste Tor der Bun­des­liga-Geschichte. Nach neun Sekunden bestä­tigte der Stürmer das Ver­trauen seines Trai­ners.

Auch schnell genug im Kopf

Der hat im Vor­feld der Nomi­nie­rung eine wun­der­bare Umschrei­bung für das innige Ver­hältnis zwi­schen Spiel und Spieler gefunden: Er hat aus unserer Spiel­idee seine Spiel­idee gemacht.“ Dau­er­pres­sing, über­fall­ar­tige Angriffe, direkter Weg zum Tor – Bayers Fuß­ball in der Saison 2014/15 ist Spek­takel, und das Gesicht des Spek­ta­kels gehört Karim Bel­larabi. Der hat in sieben Spielen drei Tore geschossen und vier vor­be­reitet. Und ganz nebenbei fest­ge­stellt, dass er nicht nur mit Ball schnell ist, son­dern auch gegen den Ball“ (Zitat Schmidt).

Viel­leicht ist das der wich­tigste Grund für Joa­chim Löw gewesen, Bel­larabi jetzt für die Natio­nal­mann­schaft zu nomi­nieren. Tem­po­dribbler mit aus­ge­zeich­neter Technik hat Löw genug. Aber Fuß­baller, die zusätz­lich schnell genug im Kopf sind, um die Ideen eines angriffs­lus­tigen Trai­ners in Rekord­zeit umzu­setzen, kann ein ständig offensiv den­kender Coach wie Löw nie genug haben.

Bel­larabi hätte theo­re­tisch auch für Ghana oder Marokko spielen können, sein leib­li­cher Vater ist Marok­kaner, sein Stief­vater kommt aus Ghana. Aber selbst­ver­ständ­lich ent­schied er sich für die DFB-Aus­wahl, schließ­lich ist Deutsch­land die beste Mann­schaft der Welt. Ein Traum geht in Erfül­lung“. Vom Käfig­ki­cker mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in die deut­sche Natio­nal­mann­schaft – diese Geschichte ist nicht neu. Aber immer wieder gut.

Für alle, die es mit Werder Bremen halten, bleibt viel­leicht ein kleiner Hauch von Hoff­nung. Ich würde sicher gerne mal bei Werder spielen“, erzählte Bel­larabi dem Weser-Kurier“. Aber: Es ist jetzt nicht so, dass ich da unbe­dingt hin will.“ Irgendwie auch nach­voll­ziehbar.