„Im Grunde passt er zum FC Bayern wie ein Männergesangsverein auf eine Techno-Party“, urteilte einst die „SZ“ über Hermann Gerland. Welch grandiose Fehleinschätzung. Zehn Geschichten über den Tiger von der Isar.
1.
They never come back? Eigentlich schade, dass es Hermann Gerland nie als Boxer versucht hat. Als Co-Trainer beim FC Bayern hat er jedenfalls sämtliche Comeback-Rekorde gebrochen, Hansi Flick ist nunmehr schon der achte Coach, dem Gerland in München zur Seite stehen wird. Flicks Vorgänger: Sören Lerby, Erich Ribbeck, Louis van Gaal, Andries Jonker, Carlo Ancelotti, Pep Guardiola und natürlich Jupp Heynckes.
2.
Aus seiner Herkunft hat der Wahl-Münchner nie einen Hehl gemacht. Im Gegenteil, vermutlich ist der gebürtige Bochumer Gerland einer der Hauptgründe, warum die seit Jahrzehnten gepflegte Fanfreundschaft zwischen dem großen FCB und dem kleinen VfL noch immer Bestand hat. Exakt einen Monat vor dem WM-Finale von 1954 wurde Gerland als Ältestes von vier Geschwistern in einer Bergarbeitersiedlung geboren, der Vater starb an einem Herzinfarkt, als Sohn Hermann neun Jahre alt war. „Wir waren sehr, sehr arm“, erzählte Gerland später in einem 11FREUNDE-Interview, „was in unserer Siedlung allerdings keine Seltenheit war. Von da an musste ich auf meine Geschwister aufpassen.“
3.
Weil er die Rolle des großen Bruders und Beschützers auch später auf dem Fußballplatz hingebungsvoll ausfüllte, verpassten ihm die Kollegen beim VfL Bochum den Spitznamen „Eiche“. Der heute gern genutzte Kosename „Tiger“ ist laut Gerland auf einen Bochumer Journalisten zurückzuführen, der es Ende der Siebziger für schick hielt, die VfL-Profis entsprechend umzutaufen. Gerland: „Den einen hat er dann Rakete genannt, ich war auf einmal der Tiger. Keine Ahnung warum. Vielleicht, weil ich früher auch immer recht aggressiv am Mann war.“
4.
Bis 1984 stand die Eiche in Bochums Defensive, ehe Gerland seinen Trainerschein machte und an die Seitenlinie wechselte. Seine zweite Station als Chefcoach führte ihn 1988 zum 1. FC Nürnberg. Ein offenbar extrem anstrengender Job. Wenige Monate, bevor er im Frühjahr 1990 aus dem Amt gemobbt wurde, durfte die „Sport Bild“ Gerlands Trainertagebuch veröffentlichen. Auszüge: „Medikamente hasse ich. Aber vor zwei Wochen in Hannover ließ ich mir von unserem Mannschaftsarzt Dr. Haage erstmals eine Tablette geben. Die Belastung, der Druck im Abstiegskampf sind nicht auszuhalten. Meist schlägt mir das alles auf den Magen. Schlimme Krämpfe, Durchfall und nächtelang kein Schlaf.“
5.
„Niederlagen“, hat Gerland mal gesagt, „machen mich fertig. Dann sitze ich im Bus, gleich hinter dem Fahrer, und rede kein Wort. Ich kann nicht begreifen, dass die Spieler lachen und flachsen. Die Fans weinen, die Spieler lachen – das will in meinen Kopf nicht rein. Zu Hause angekommen starre ich gegen die weiße Wand. Ich kann nicht mehr einschlafen und wache nachts schweißgebadet auf.“ Insofern vielleicht keine allzu schlechte Idee, dass das Bochumer Urgestein am 1. Juli 1990 erstmals offiziell als Trainer beim FC Bayern vorstellig wurde. Knapp ein Jahr später wurde er erstmals zum Co-Trainer der Profis befördert. Für euch Nostalgiker eine kleine Auswahl der damals von ihm über den Platz gescheuchten Kicker: Toni Schumacher, Alois Reinhardt, Hansi Pflügler, Jan Wouters, Michael Sternkopf, Mazinho, Alan McInally.
6.
Schlimme Krämpfe, Durchfall? Gehörten von da an in der Regel der Vergangenheit an. Statt Magendarmtrakt durfte von nun an des Eiches Leber zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Denn: „Wenn wir ein sehr gutes Spiel gemacht haben, fahre ich nach Hause und trinke kein Wein und kein Pils, dann trinke ich einen schönen Whiskey-Cola.“ Angeblich bekommt man im VIP-Bereich des Rekordmeisters schon seit einigen Jahren diese Mischung gereicht, wenn man die magischen Worte „Einen Gerland-Drink, bitte“ ausspricht.
7.
Von einem fünfjährigen Testballon als Trainer in Nürnberg, Bielefeld und Ulm mal abgesehen, gehört Gerland seither zum Inventar beim FC Bayern, und hat in seiner Rolle als Co-Trainer, Nachwuchscoach und Scout schon eine Menge Wasser die Isar runterfließen sehen. Nicht immer blieb die Beziehung des Ruhrpottlers mit den schnieken Süddeutschen frei von Konflikten. Weil er früher nur selten ohne seine geliebten Birkenstock-Sandalen anzutreffen war, bettelte Uli Hoeneß, kurz bevor er seinen Angestellten nach Kolumbien schickte, um dort einen gewissen Adolfo Valencia zu beobachten: „Hermann, flieg bitte nicht in deinen Birkenstock-Latschen. Ich bezahle dir auch die Schuhe!“ Gerland saß schließlich schwer schwitzend in Anzug, Krawatte und Lackschuhen zwischen kurzbehosten Südamerikanern auf der Tribüne. Fazit: „Einmal und nie wieder.“
8.
Gerlands Fähigkeiten, talentierte Nachwuchskicker zu erkennen und sie sattelfest für die große weite Welt der Profis zu machen, sind legendär. „Woran erkennen Sie ein Talent?“, wurde der Trainer einst gefragt und Gerland antwortete: „Der liebe Gott hat mir ein Auge dafür gegeben. Ich kann übrigens auch für meine Frau einkaufen gehen und hinterher bekommt sie Komplimente dafür. Und einmal saß ich mit ihr vor dem Fernseher und fragte sie: Was fällt dir an Kai Pflaume auf? Wahrscheinlich fällt es auch sonst niemandem auf, aber Pflaume fehlt eine Fingerkuppe.“ Wieder was gelernt.
9.
Seinen vielleicht bekanntesten, weil besten Schützling, Philipp Lahm, versuchte Gerland einst hartnäckig auf Leihbasis bei einem anderen Klub zu parken, doch selbst der damalige Gladbach-Trainer Hans Meyer wollte den späteren Weltmeister nicht beschäftigen. Ein anderer Amtskollege forderte von Gerland gar sein Fahrtgeld zurück, nachdem er Lahm im Training beobachtet hatte. Der Tiger damals zu seiner Gattin: „Gudrun, wenn das kein Superspieler wird, gebe ich meine Lizenz zurück und werde Wasserballtrainer.“
10.
1999, noch als Trainer von Arminia Bielefeld, erfüllte sich Gerland einen lang gehegten Traum und begann auf seinem Bauernhof in der Nähe von Gütersloh mit der Zucht von Turnierpferden. Gerland: „Das ist meine größte Leidenschaft nach dem Fußball und meiner Frau.“ Zwei seiner Zuchtgäule verkaufte der Bochumer später an Tierfreund Thomas Müller. Ob der ähnlich kreativ ist wie sein früherer sportlicher Ziehvater, wenn es um die Vergabe von ausgefallen Pferdenamen geht? Eine kleine Auswahl: Fandango G, Coconut Chocolate, Sando Khan 65, Blue Danube, Erdinger, Fürstenberg 13, und der absolute Favorit der 11FREUNDE-Redaktion: Be A Womaniser.