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Eigent­lich wollte 11FREUNDE-Leser und Schalke-Fan-Fan Marcel Lin­denau für uns von seiner lau­nigen Reise zum Euro­pa­po­kal­spiel nach Bilbao berichten. Doch die Erleb­nisse der kuriosen und lus­tigen Fahrt wurden über­schattet durch den Tod eines spa­ni­schen Fans. Der Anhänger wurde, so heißt es, bei Aus­ein­an­der­set­zungen mit der Polizei von einem Gum­mi­ge­schoss im Gesicht getroffen und erlag später seinen Ver­let­zungen.

Wenn man sich nach einer 2:4‑Heimniederlage noch auf eine 1800 Kilo­meter Aus­wärts­reise nach Spa­nien auf­macht, dann ist das in etwa so wie ein gewon­nenes Date mit einem Top­model: Man weiß, dass man schei­tern wird, geht aber trotzdem hin und hofft ein­fach auf das Wunder. Die Unsi­cher­heit ver­sucht man im Alkohol zu ertränken, bis man nach 80 Minuten die Gewiss­heit hat, dass alles umsonst war und man sich dann voll­ends daneben benimmt, um wenigs­tens noch den Jungs eine gute Story erzählen zu können.

Raul, Örwin und Bilbao Kau­litz

Gute Storys haben wir auch von der Reise mit­ge­nommen: Über den Flug von Ams­terdam nach Madrid im alles andere als nüch­ternem Zustand, die 400 km-Fahrt im Miet­wagen von Madrid im strö­menden Regen oder die Land­schaft rund um Bilbao. Über Bier­dosen aus dem Auto­maten für 1,10 Euro, ohne Dosen­pfand. Allein, was in der Hotel­lobby der Mann­schaft pas­sierte: Bei der Bestel­lung eines Johnny Walker Green Label“ für 15 Euro bekamen wir 35 Euro Wech­sel­geld zurück – kein schlechter Deal. Weit nach Spiel­schluss stellte ich mit Jer­maine Jones die Reus-Szene nach. Und Raul! Überall Raul. Rauuuuuuul“-Rufe in der ganzen Stadt, wohin man ging.

Dann noch Örwin“, der bei jedem Europa League Aus­wärts­spiel dabei gewesen war, Haifa bis Lar­naca, alles, und diese Reise jetzt gewonnen hatte. Wir dachten uns: End­lich trifft es mal den Rich­tigen!“. Dazu noch wahn­wit­zige Wort­spiele auf der Rück­au­to­fahrt wie Rocky Bilbao“ und Kill Bilbao“ und Bilbao Kau­litz“ – und nicht zuletzt die völlig absurde Schnee­ball­schlacht 100 Kilo­meter vor Madrid.

Doch leider werden von diesem Spiel in Bilbao auch zwei unschöne, ja tra­gi­sche Ereig­nisse in Erin­ne­rung bleiben. Zum einen, das eigent­lich lächer­li­chere von beiden: die Ran­dale im Schal­ke­block. Ich stand nicht genau mit­ten­drin, son­dern am Rand der Tumulte, doch gene­rell muss man sagen, dass die Sicher­heits­vor­keh­rungen vor und in dem Sta­dion ein schlechter Scherz waren wie der Zustand des Sta­dions im All­ge­meinen. Dass San Mames“ das älteste Sta­dion der ersten spa­ni­schen Liga ist, macht es legendär, aber man sieht es ihm eben auch an. Abblät­ternde Farbe und brö­ckelnder Beton, wohin man sieht. Die Tri­bünen: bestehend aus dünnen Plas­tik­scha­len­sitzen, die man ver­mut­lich eher bei West­falia Herne ver­muten würde.

Sitz­schalen und Knüppel in der Luft

Der Gäs­te­block befindet sich zwi­schen der unteren und der oberen Tri­büne, was zur Folge hat, dass man unmit­telbar vor sich und über sich Bilbao-Fans hatte. Die, die vor einem saßen, waren weder durch Netze noch durch Ple­xi­glas­scheiben getrennt von uns, son­dern durch vier frei­ge­las­sene Reihen und einen kleinen hüft­hohen Git­ter­zaun. Nach dem 1:0 für Schalke kam es dann zu kleinen Pro­vo­ka­tionen, es blieb aber alles im Bereich von auf­ge­putschter Atmo­sphäre mit kleinen Schar­müt­zeln. Recht plötz­lich stand dann eine Poli­zei­staffel in unserem Block, um für Ord­nung zu sorgen. Was man unter Prä­ven­tiv­maß­nahme zum Schutz der Fan­gruppen“ abstem­peln könnte und gut gemeint war, ent­wi­ckelte sich aber zu einer Auf­räum­ak­tion à la Castor-Trans­port.

Es wurde laut, plötz­lich flogen eine Sitz­schale und ein Poli­zei­knüppel durch die Luft. Die Poli­zisten gingen sehr hart zur Sache, viele der Ultras hoben ihre Arme in die Luft, zum Zei­chen, dass sie sich nicht wehren. Trotzdem wurden sie rabiat bei­seite geräumt – auch mit den Schlag­stö­cken, die in die Rücken gebohrt wurden. Zuge­schlagen wurde nicht. Ein großes Pro­blem war, dass die Auf­for­de­rungen der Ordner und der Polizei nur in Spa­nisch erfolgten. Nie­mand wusste also, was über­haupt ver­langt war.

Doch das alles ist ein lächer­li­cher Kin­der­ge­burtstag, im Ver­gleich zu dem, was nach dem Spiel geschah. Nach dem Spiel kam ein spa­ni­scher Fan ums Leben.

Bilbao- und Schalke-Fans feiern gemeinsam

Ich muss sagen, ich habe nichts von all dem mit­be­kommen. Unmit­telbar nach dem Spiel mussten wir Schalker noch 30 Minuten im Block aus­harren, bis wir raus durften, was aber eine nor­male Vor­ge­hens­weise bei Spielen im Aus­land ist. Als wir dann end­lich den Block von La Cathe­dral“, wie das San Mames auch genannt wird, ver­lassen durften, gingen wir fünf Rei­senden in eine unmit­telbar neben dem Sta­dion gele­gene Kneipe, in der die Stim­mung super war und in der wir auch absolut positiv emp­fangen wurden.

Gene­rell galt für diesen Trip, dass die Basken uns durchweg freund­lich emp­fingen und begrüßten. Auch als ich am Vor­abend die Idee hatte, in der Innen­stadt in eine mit Bilbao Flaggen und Schals quasi tape­zierte Fan­kneipe zu schlen­dern. Der Wirt war begeis­tert und machte von uns Fotos in und vor der Kneipe: wir mit Schal­ke­schal und Bil­bao­wimpel, und mit Bil­bao­schal und Schal­ke­t­rikot, in allen Varia­tionen, in der Kneipe, wo wir nach dem Spiel waren, spielten sie sogar auf einmal unsere Ver­eins­hymne über die Musik­an­lage, die wir laut­stark mit­sangen.

Ich ver­ließ um ca. 24 Uhr die Kneipe, um kurz zu unserem Hotel zu gehen. Ich über­querte die Grande Via“, eine lange, schnur­ge­rade, breite Strasse, die vom Prinzip der Strasse des 17. Juni“ in Berlin ähnelt, aller­dings nur halb so breit ist. Also ich dort um ca. 00:10 Uhr vorbei ging, war es eine völlig unspek­ta­ku­läre Straße in der Nacht. Es fuhren ver­ein­zelt Autos, vor einer Kneipe standen Bil­bao­fans in Tri­kots und redeten und lachten, wäh­rend sie Bier tranken, der Boden war ver­dreckt mit Müll, was aber bei 40.000 Fuß­ball­fans nicht weiter ver­wun­der­lich war. Keine Zei­chen von aus­ufernden Partys, oder gar Ran­dale, oder Poli­zei­auf­gebot.

Er in rot-weiß, ich in blau-weiß

Ich war voll­kommen per­plex, als ich später im Internet las, dass ein 28 Jahre alter Fan auf dieser Straße von der Polizei mit einem Gum­mi­ge­schoss getroffen worden und gestorben sei. Ich weiß nicht, wann diese über­schwäng­liche Party auf den Straßen gewesen sein soll, es muss aber unmit­telbar nach Abpfiff gewesen sein. Denn bereits 80 Minuten nach Abpfiff über­querte ich die Straße und rein gar nichts deu­tete darauf hin, dass hier die Polizei eine Men­schen­masse außer Rand und Band hatte aus dem Weg räumen müssen.

Ich, der live vor Ort in der Stadt war und sogar diese Strasse betreten hatte, auf der das Unglück pas­sierte, bin durchweg positiv von der bas­ki­schen Bevöl­ke­rung über­zeugt worden und will keine Schuld auf die Polizei schieben, da ich bei dem Vor­fall nicht direkt mitten im Geschehen war und mir kein Urteil erlauben darf. Aber ich emp­fand gene­rell das aggres­sive Vor­gehen der Polizei durch ihr Auf­treten (Helme, Schlag­stöcke, Sturm­masken mit Löchern nur für die Augen) als unpas­send.

Von Fuß­ballfan zu Fuß­ballfan

Es ist tra­gisch, dass meine Aus­wärts­reise nach Bilbao plötz­lich den bit­teren Bei­geschmack von einem unnö­tigen Todes­opfer hat. Ich bin 28 Jahre alt, genau wie der Bil­baofan, der ums Leben kam. Ich habe mich zwei Wochen lang gefreut auf den Sta­di­on­be­such, bin mit meinen Freunden zum Spiel, hab ein paar Bier getrunken, Quatsch gemacht in der Innen­stadt vor dem Spiel, Fan­ge­sänge ange­stimmt, bin lachend durch Bilbao gezogen, das Trikot meines Lieb­lings­ver­eins am Leib, den Schal um den Hals, stand in der Kurve und hab mein Team 90 Minuten lang ver­flucht und geliebt, ange­feuert bei jedem Angriff und bei jedem Fehl­pass habe ich es zur Sau gemacht.

Beim Anstoß war mein Puls dop­pelt so hoch, weil end­lich der Moment gekommen war, für den ich die ganze Reise auf mich genommen hatte, 39 999 Fans um mich im hei­ligen San Mames, beim Vier­tel­fi­nale der Europa-League und um 22:50 Uhr hörte ich den Abpfiff. Par­allel dazu stand ein Bil­baofan 110 Meter gegen­über von mir und erlebte alles das exakt auch so. Er in Rot-Weiß. Ich in Blau-Weiß. Uns unter­scheidet nur eine Sache: Ich werde bei dem nächsten Spiel meiner Mann­schaft wieder in der Kurve stehen können.

Von Fuß­ballfan zu Fuß­ballfan wün­sche ich mir, dass die Ath­letic-Fans jetzt nichts Unüber­legtes tun und zur Gewalt gegen die Polizei greifen.

In Gedenken an den Ver­stor­benen.