Heute wird der Satiriker Eckhard Henscheid 80 Jahre alt. Beharrlich boykottiert er die deutsche Nationalmannschaft. Ein Gespräch über dämliches Gerede, den Zauber der Nostalgie und die Freuden des Dorffußballs.
Dieses Interview erschien erstmals im September 2014 in 11FREUNDE #154. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Eckhard Henscheid, wo waren Sie, als die deutsche Nationalmannschaft am 13. Juli zum vierten Mal Weltmeister wurde?
Hier, zu Hause. Meine Frau war beim Public Viewing im nahen Filmtheater, während ich am Endspiel nur indirekt teilgenommen habe. Zur regulären Spielschlusszeit war von draußen weder Jammer zu hören noch Jubel, so dass ich von einer Verlängerung ausgegangen bin. Dann war einmal ein Schrei zu hören, und ich konnte mir dann zusammenreimen, dass ein für uns günstiges Tor gefallen war.
Sie bestreiken die Spiele der deutschen Nationalmannschaft seit 1990, warum eigentlich?
Es hatten sich damals einige Gründe aufgetürmt. Dazu gehörten eine gewisse Gelangweiltheit mit ihrem Spiel und die völlige strategisch-zerebrale Bescheuertheit des damaligen Nationaltrainers Beckenbauer. Da hat sich im Laufe der Jahre aber schon einiges geändert. Zuletzt wurde ich durch das dämliche Gerede des allseits gelobten Herrn Löw in meiner Haltung bestätigt.
Das haben Sie im April dieses Jahres in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ auch öffentlich gemacht: „Löw ist zweifellos ein besonders inferiorer Kopf. Wenn man seine Interviews und Ansprachen googelt, kann man erfahren, dass er jeden Tag, ja manchmal pro Satz mindestens zweimal ’Wahnsinn’ sagt. Ein Sprachschatz wie ein zurückgebliebenes zehnjähriges Kind.“ Starker Tobak. Vor der WM hat das sogar zugenommen, da kamen „Wahnsinn“ und „unheimlich“ noch häufiger vor. Löw hat auch bei der Weltmeisterschaft, wenn man es allein auf der sprachlichen Ebene betrachtet, viel dummes Zeug geredet. So hat er seinen Spielern empfohlen, sich zu „fokussieren“, was immer das heißen mag. Allerdings hat er auch einige passable Sachen gesagt, so etwa, dass wir uns nach dem Spiel gegen Brasilien zur „Demut“ entschließen sollten. Es war sehr überraschend, dass ein moderner Fußballtrainer einen solchen altchristlichen Begriff benutzt. Ich muss mein strenges Urteil über Löw also etwas modifizieren.
Haben Sie angesichts der vielen guten Spiele der deutschen Nationalmannschaft in den letzten Jahren nicht auch mal über ein Ende Ihres Streiks nachgedacht?
Ich bin manchmal am Rande. „Die magischen sechs Minuten“ gegen Brasilien, wie sie in der FAZ genannt wurden, haben mich nachträglich schon etwas in gewisse Kalamitäten gebracht. Dennoch: Im wesentlichen nehme ich Fußball nostalgisch wahr. Ich neige zu der Versuchsthese, dass viele wichtige Dinge vom Fußball bis zu den großen Leidenschaften im intergeschlechtlichen Bereich sich mehr oder weniger in der und über die Erinnerung abspielen. Fußball ist, etwas zugespitzt gesagt, die Erinnerung an Fußball.
Ist das Erinnern an den Fußball dem aktuellen Fußball demnach etwa überlegen?
In der Philosophie gibt es eine eigene Sparte, die sich mit der Erwägung beschäftigt, dass unsere Erinnerung die eigentliche, sozusagen primäre Existenz ist. Ähnlich geht es mir, was aber mit meiner speziellen Ausstattung zu tun hat, dass ich ein stark kindheitsbezogener Mensch bin. Als Kind war ich sportwahnsinnig – und auch ein Knallkopf. Das 1954er Endspiel hätte ich im Fernsehen anschauen können, hatte aber vermeintlich Besseres zu tun und bin zu einer städtischen Rollschuh-Meisterschaft gegangen.
„Plötzlich wurde es schick, unter sogenannten Gebildeten über Fußball zu reden“
Sie waren damals 12 Jahre alt, waren Sie da auch schon Anhänger von Eintracht Frankfurt?
Das kam etwas später, weil ich eine eigene Tischfußballmannschaft haben wollte. Der 1. FC Nürnberg war als von Amberg aus nächstgelegener Oberligaklub überbesetzt, da habe ich mich mit 13 Jahren für Eintracht Frankfurt entschieden. Das ging immerhin 42 Jahre lang gut.
Sie unterstellen, für den Gewinn der Weltmeisterschaft 1974 mitverantwortlich zu sein. Durch eine Art Kampagne für die Nominierung von Bernd Hölzenbein, der dann im Finale vor dem siegbringenden Elfmeter, sagen wir, gefoult wurde. Wie kam es dazu?
Ich hatte zunächst in meinem Roman „Vollidioten“ einen eigenen Leserbrief aus dem „Kicker“ übernommen, dass Hölzenbein rein muss. Dann haben der mir vielfach verbündete Kollege Ror Wolf und ich der „FAZ“ ein Interview gegeben, in dem wir eher sprachspielerisch gefordert haben, dass Hölzenbein mitspielen muss – vornehmlich aus phonetischen Gründen. Dass wir dadurch für den Titel verantwortlich seien, kam eher hinterher. Hölzenbein selbst hat bestätigt, seine Nominierung hätte viele Väter, auch Ror Wolf und eben mich.
Sind Sie damals oft ins Stadion gegangen?
Mehr noch in den Jahren davor, mit einer kleinen Gruppe, zu der gelegentlich Robert Gernhardt und häufiger auch F. K. Waechter gehörte. In Frankfurt gab es verschiedentliche Liaisons zwischen Fußball und auf der anderen Seite Hochkultur und der Universität. Anfang der achtziger Jahre wurde aber eine richtige Mode daraus, das hat mir nicht mehr so gut gefallen. Plötzlich wurde es schick, unter sogenannten Gebildeten über Fußball zu reden.