In 22 Gesprächen hat der „Millernton“-Podcast St. Paulis Trainer Timo Schultz durch die vergangene Saison begleitet. Wie durchlebt ein Fußballlehrer sein erstes Jahr als Cheftrainer eines Profivereins? Im Gespräch mit Tim Eckhardt, Macher von „Being Timo Schultz“.
Wie hat sich Ihre persönliche Sicht auf den Job des Fußballlehrers durch die neuen Eindrücke verändert?
Mir ist durch das Projekt noch einmal klar geworden, wie schwierig es eigentlich ist, als Trainer alles unter einen Hut zu bekommen. Als gewöhnlicher Zuschauer im Stadion oder zuhause auf dem Sofa bekommt man ja gar nicht mit, dass so jemand nach einer Trainingseinheit erstmal seine Kinder aus der Kita abholt oder an freien Tagen Ausflüge mit der Familie macht. Gleichzeitig steht man als Cheftrainer einer Bundesligamannschaft immer in der Verantwortung und muss sich für sämtliche Dinge im Verein rechtfertigen. Trainer werden teilweise für Dinge kritisiert, auf die sie gar keinen Einfluss haben.
Zum Beispiel?
Beim FC St. Pauli war es in der vergangenen Saison so, dass zum Beispiel Guido Burgstaller in der kompletten Hinrunde verletzt war. Als der dann wieder fit war, hat die Mannschaft direkt ein ganz anderes Spiel gezeigt. Häufig genug rollt dann vorher trotzdem schon der Kopf des Trainers. Eine weitere spannende Erkenntnis war, wie sich Herangehensweisen von Trainern im Laufe einer Saison ändern können.
Erzählen Sie.
Der FC St. Pauli hat in der vergangenen Saison beispielsweise mehrfach seine Formation verändert, in der Defensive erst mit Dreierkette gespielt, im Laufe der Saison dann auf Viererkette umgestellt. Durch die Gespräche mit Timo Schultz habe ich verstanden, wie und vor allem warum solche Entscheidungen getroffen werden. Da spielen dann beispielsweise Dinge wie die aktuelle Form von Spielern, Verletzungen oder auch der kommende Gegner eine große Rolle.
„Häufig war es so, wie mit einem Kumpel über den FC St. Pauli zu fachsimpeln“
Haben Sie trotz der angesprochenen Umstellungen und Veränderungen einen roten Faden, einen grundsätzlichen Plan erkannt, den Timo Schultz während der gesamten Saison verfolgt hat?
Das habe ich Timo als Opener und Closer in unserem ersten und letzten Gespräch des Podcasts auch gefragt. Wie möchte er Fußball spielen lassen? Was ist seine Philosophie? Und vor allem: Was ist in der Saison alles schief gelaufen? In der Vorbereitung hat er erzählt, wie er grundsätzlich Fußball spielen lassen möchte: Dass er mit seinem Team den Fokus aufs Umschaltspiel richten möchte zum Beispiel. Diese grundsätzliche Herangehensweise hat sich auch durch die gesamte Saison gezogen. Aber die Art und Weise, wie er diese Spielweise umsetzen möchte, hat sich während der Saison in Form von Spielerwechseln und Umstellungen geändert. Oder wie er die Qualität des Kaders grundsätzlich einschätzt, was die Stärken und die Schwächen sind. Eine große Stärke seiner Spieler hat er vor der Saison besonders im offensiven Eins gegen Eins ausgemacht. Als er das Team dann im Laufe der Saison von einer 3−5−2 Formation zum 4−4−2 mit Raute umgestellt hat, konnte die Mannschaft diese Stärken in der Rückrunde viel besser ausspielen. Die Raute im 4−4−2 ist zum Beispiel eine Formation, die er vor der Saison gar nicht auf dem Schirm hatte. Durch Verletzungen wie zum Beispiel von Rio Miyaichi hatte er aber einfach keine Außenspieler zur Verfügung, also musste während der Saison improvisiert und die passende Formation gefunden werden.
Hat Sie überrascht, wie viel Timo Schultz Ihnen erzählt hat?
Ja, total. Ich hätte zum Beispiel gedacht, dass er sein Handy gerade in der schwierigen Phase auch mal unberührt lässt, wenn eine Nachricht von mir kommt. Ich war wirklich positiv überrascht wie offen und ehrlich er mit mir gesprochen hat. Timo Schultz hat mir über die gesamte Saison einen authentischen Einblick in seinen Kopf gegeben, das hätte ich vorher echt nicht erwartet. Es war aber nie so, dass er sich um Kopf und Kragen geredet hat. Viel mehr wirkte es für mich häufig so, wie mit einem Kumpel über den FC St. Pauli zu fachsimpeln. Das hat man auch daran gemerkt, dass unsere Telefonate in den normalsten Alltagssituationen stattgefunden haben: Manchmal hat Timo Schultz gerade seine Kinder aus der Kita abgeholt oder war mit den Kollegen aus dem Trainerteam im Kraftraum. Bei einem Telefonat war er mit der Familie in Ostfriesland unterwegs. Weil da das Handynetz zu schlecht war, musste ich dann auf dem Haustelefon anrufen. Da ist auch das Intro des Podcasts entstanden, in dem er sich ganz förmlich mit „Schultz?“ meldet.