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Seite 2: "Trainer werden für Dinge kritisiert, auf die sie gar keinen Einfluss haben"

Wie hat sich Ihre per­sön­liche Sicht auf den Job des Fuß­ball­leh­rers durch die neuen Ein­drücke ver­än­dert?
Mir ist durch das Pro­jekt noch einmal klar geworden, wie schwierig es eigent­lich ist, als Trainer alles unter einen Hut zu bekommen. Als gewöhn­li­cher Zuschauer im Sta­dion oder zuhause auf dem Sofa bekommt man ja gar nicht mit, dass so jemand nach einer Trai­nings­ein­heit erstmal seine Kinder aus der Kita abholt oder an freien Tagen Aus­flüge mit der Familie macht. Gleich­zeitig steht man als Chef­trainer einer Bun­des­li­ga­mann­schaft immer in der Ver­ant­wor­tung und muss sich für sämt­liche Dinge im Verein recht­fer­tigen. Trainer werden teil­weise für Dinge kri­ti­siert, auf die sie gar keinen Ein­fluss haben.

Zum Bei­spiel?
Beim FC St. Pauli war es in der ver­gan­genen Saison so, dass zum Bei­spiel Guido Burg­staller in der kom­pletten Hin­runde ver­letzt war. Als der dann wieder fit war, hat die Mann­schaft direkt ein ganz anderes Spiel gezeigt. Häufig genug rollt dann vorher trotzdem schon der Kopf des Trai­ners. Eine wei­tere span­nende Erkenntnis war, wie sich Her­an­ge­hens­weisen von Trai­nern im Laufe einer Saison ändern können.

Erzählen Sie.
Der FC St. Pauli hat in der ver­gan­genen Saison bei­spiels­weise mehr­fach seine For­ma­tion ver­än­dert, in der Defen­sive erst mit Drei­er­kette gespielt, im Laufe der Saison dann auf Vie­rer­kette umge­stellt. Durch die Gespräche mit Timo Schultz habe ich ver­standen, wie und vor allem warum solche Ent­schei­dungen getroffen werden. Da spielen dann bei­spiels­weise Dinge wie die aktu­elle Form von Spie­lern, Ver­let­zungen oder auch der kom­mende Gegner eine große Rolle.

Häufig war es so, wie mit einem Kumpel über den FC St. Pauli zu fach­sim­peln“

Haben Sie trotz der ange­spro­chenen Umstel­lungen und Ver­än­de­rungen einen roten Faden, einen grund­sätz­li­chen Plan erkannt, den Timo Schultz wäh­rend der gesamten Saison ver­folgt hat?
Das habe ich Timo als Opener und Closer in unserem ersten und letzten Gespräch des Pod­casts auch gefragt. Wie möchte er Fuß­ball spielen lassen? Was ist seine Phi­lo­so­phie? Und vor allem: Was ist in der Saison alles schief gelaufen? In der Vor­be­rei­tung hat er erzählt, wie er grund­sätz­lich Fuß­ball spielen lassen möchte: Dass er mit seinem Team den Fokus aufs Umschalt­spiel richten möchte zum Bei­spiel. Diese grund­sätz­liche Her­an­ge­hens­weise hat sich auch durch die gesamte Saison gezogen. Aber die Art und Weise, wie er diese Spiel­weise umsetzen möchte, hat sich wäh­rend der Saison in Form von Spie­ler­wech­seln und Umstel­lungen geän­dert. Oder wie er die Qua­lität des Kaders grund­sätz­lich ein­schätzt, was die Stärken und die Schwä­chen sind. Eine große Stärke seiner Spieler hat er vor der Saison beson­ders im offen­siven Eins gegen Eins aus­ge­macht. Als er das Team dann im Laufe der Saison von einer 3−5−2 For­ma­tion zum 4−4−2 mit Raute umge­stellt hat, konnte die Mann­schaft diese Stärken in der Rück­runde viel besser aus­spielen. Die Raute im 4−4−2 ist zum Bei­spiel eine For­ma­tion, die er vor der Saison gar nicht auf dem Schirm hatte. Durch Ver­let­zungen wie zum Bei­spiel von Rio Miyaichi hatte er aber ein­fach keine Außen­spieler zur Ver­fü­gung, also musste wäh­rend der Saison impro­vi­siert und die pas­sende For­ma­tion gefunden werden.

Hat Sie über­rascht, wie viel Timo Schultz Ihnen erzählt hat?
Ja, total. Ich hätte zum Bei­spiel gedacht, dass er sein Handy gerade in der schwie­rigen Phase auch mal unbe­rührt lässt, wenn eine Nach­richt von mir kommt. Ich war wirk­lich positiv über­rascht wie offen und ehr­lich er mit mir gespro­chen hat. Timo Schultz hat mir über die gesamte Saison einen authen­ti­schen Ein­blick in seinen Kopf gegeben, das hätte ich vorher echt nicht erwartet. Es war aber nie so, dass er sich um Kopf und Kragen geredet hat. Viel mehr wirkte es für mich häufig so, wie mit einem Kumpel über den FC St. Pauli zu fach­sim­peln. Das hat man auch daran gemerkt, dass unsere Tele­fo­nate in den nor­malsten All­tags­si­tua­tionen statt­ge­funden haben: Manchmal hat Timo Schultz gerade seine Kinder aus der Kita abge­holt oder war mit den Kol­legen aus dem Trai­ner­team im Kraft­raum. Bei einem Tele­fonat war er mit der Familie in Ost­fries­land unter­wegs. Weil da das Han­dy­netz zu schlecht war, musste ich dann auf dem Haus­te­lefon anrufen. Da ist auch das Intro des Pod­casts ent­standen, in dem er sich ganz förm­lich mit Schultz?“ meldet.