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Die Macht der Bilder. Als Naldo in der 82. Minute das 2:0 für Schalke machte, fingen die Fern­seh­ka­meras Dome­nico Tedesco ein. Der Schalke-Trainer kniete auf dem Boden, ballte die Fäuste und beugte sich nach vorne. Dankte er Gott? Waren das Freu­den­tränen? Im Hin­ter­grund ver­sanken die Men­schen in einem königs­blauen Fah­nen­meer. Dann Schnitt auf den reg­losen Peter Stöger. Es fühlte sich an, als sei man von dieser Schalker Mega­fete durch eine Hin­tertür in einen grauen Uni-Hör­saal gestol­pert, wo jemand seit drei Stunden ein Referat zum Thema Steu­er­recht hielt. Schlief der BVB-Trainer mit offenen Augen? Oder zeigte Sky ein Stand­bild?

Danach gab es keine zwei Mei­nungen. Tedesco ist die Zukunft, Stöger heißt Still­stand“, ver­mel­dete die Bild“. Und auch die Fans waren ganz außer sich, weil Stöger offenbar 90 Minuten ent­spannt hatte, wäh­rend sein Team gegen den Rivalen aus Gel­sen­kir­chen verlor. Ich hatte zwi­schen­durch Angst, dass er sich wund­liegt und mal gewendet werden muss“, schrieb einer bei Twitter. Ein anderer zürnte: Weiß der über­haupt was ein Derby ist?“

Alles wurscht!

Dort­munds Trainer Peter Stöger kennt die Ach­ter­bahn­fahrten des Fuß­ball­ge­schäfts. Er hat sie beim 1. FC Köln erlebt, und er erlebt sie nun, kom­pri­miert auf vier Monate, bei Borussia Dort­mund. Und er hat sich damit arran­giert. Ein Trainer im Pro­fi­fuß­ball sei eine sehr tem­po­räre Erschei­nung“, sagte er mal. Und wenn er auf mög­liche Nach­folger ange­spro­chen wird, ant­wortet er: Das ist mir wurscht.“

Stö­gers Emo­ti­ons­lo­sig­keit wirkt manchmal wie eine bewusste Ant­wort auf das über­hitzte und hys­te­ri­sche Fuß­ball­ge­schäft. Ein Schul­ter­zu­cken auf das Immer-weiter-immer-mehr-Denken der Funk­tio­näre, Medien und Fans.

In Köln brauchten sie so einen wie ihn. Denn beim FC, der früher schon mal von der Meis­ter­schaft träumte, wenn er zwei Spiele in Folge gewonnen hatte, konnte Stöger sie auf dem Boden halten. In Dort­mund aber ist der Himmel selten genug. Auch wenn jedes Jahr die besten Spieler zum FC Bayern oder ins Aus­land abhauen.

Kurzer Rück­blick: Mitte Dezember wurde Stöger als neuer Trainer des BVB prä­sen­tiert. Er galt von Anfang an als eine Art Not­lö­sung, der die Saison halb­wegs pas­sabel zu Ende bringen sollte. Danach würde sicher­lich ein Mann mit viel Strahl­kraft und Jugend­lich­keit über­nehmen. Der an der Sei­ten­linie auf und ab hüpft, weil er so wütend dar­über ist, dass kaum jemand seine genialen Spiel­züge ver­ar­beiten kann.

Wir wären schön blöd“

Aber plötz­lich spielte der BVB unter Stöger ganz ordent­lich. Zumin­dest die Ergeb­nisse stimmten. Dort­mund blieb zwölf Bun­des­li­ga­spiele in Folge unge­schlagen. Wenn Stöger wei­terhin keines ver­liert, wären wir schön blöd, wenn wir nicht mit ihm wei­ter­ma­chen würden“, sagte Geschäfts­führer Hans-Joa­chim Watzke Anfang Februar.
 
Im West­fa­len­sta­dion und in den Trink­hallen blieben sie aber kri­tisch – und sie sind es bis heute. Ratlos bli­cken sie ihn an, den Mann, der sich in den neu­esten Mer­chan­dise-Pro­dukten aus dem BVB-Super­s­tore kleidet und darin am Ende nur wirkt wie einer, der so gerne dazu­zu­ge­hören möchte. Aber so einen Bären lassen sie sich in Dort­mund nicht auf­binden. Nor­bert Dickel ist einer von ihnen. Aki Watzke. Michael Zorc. Jürgen Klopp war einer von ihnen. Männer, die über den Kampf ins Spiel kommen.

Aber dieser Öster­rei­cher mit seiner Ernst­hap­pe­lig­keit, dieser Trainer, der ver­mut­lich selbst beim Cham­pions-League-Gewinn einen Ruhe­puls wie bei einer Tasse Tee mit der Groß­mutter hätte – würde dieser Mann jemals ver­stehen, dass in Dort­mund Fuß­ball nicht wurscht“, son­dern eine tod­ernste Sache ist?

Am Sonntag hat Peter Stöger 90 Minuten auf der Bank gesessen – und nichts gemacht. Er hat teil­nahmslos gewirkt. Aber war er das wirk­lich? Und was wäre eigent­lich gewesen, wenn der BVB das Spiel gewonnen hätte? Stöger umwehte heute ver­mut­lich die Aura eines Schach­groß­meis­ters.

Die Sache mit der Kör­per­sprache im Sport ist eh außer­or­dent­lich kom­pli­ziert. Seit Jahren nör­geln ver­meint­liche Experten etwa am Spiel von Mesut Özil herum. Es heißt, er trabe teil­nahmslos über den Platz. Sein För­derer Nor­bert Elgert sagte mal, das sei eine Art Taktik: Mesut schleicht sich frei.“ Zumal Özil auch die Schul­tern hängen lasse, wenn er gute Spiele mache. Die Zahlen geben ihm Recht. Jüngst stellte der angeb­lich teil­nahm­lose Özil einen alten Rekord von Eric Can­tona ein: Für Arsenal gab er seine 50. Tor­vor­lage und brauchte dafür nur 141 Spiele.

Und das ist gut so“

Das Gegen­satz­paar Stöger/​Tedesco kann man aber viel­leicht auch mit den eins­tigen Ten­nis­ri­valen Borg/​McEnroe ver­glei­chen. Über den Ame­ri­kaner John McEnroe sagte Ex-Ten­nis­profi Peter Ren­nert mal: Ich habe es nur einmal erlebt, dass John ver­loren hat, ohne sich auf­zu­regen. Und damals verlor er, weil er sich nicht auf­ge­regt hat.“ Anders­herum ver­hielt es sich mit Borg. Er war ein intro­ver­tierter Per­fek­tio­nist, bei dem das Zucken der Augen­brauen als emo­tio­nale Explo­sion durch­ging. Er spielte Tennis, wie die Leute früher IBM-Com­puter bedienten, prä­zise und mecha­nisch. Mit stoi­scher Ruhe schritt er über den Platz und häm­merte mit den Bällen auf seine Gegner ein wie als Kind auf eine Gara­gen­wand. Er gewann fünf Wim­ble­don­titel. Immer wieder fragten ihn die Reporter: Warum sind Sie so emo­ti­onslos?“ Und Borg sah sie an, aber er ver­stand nicht, was sie wollten.

Peter Stöger wird sich nicht mehr ändern. Das sollte man wissen, wenn man ihn ver­pflichtet. Am heu­tigen Montag sagte er: Mein Dienst­ver­hältnis geht bis zum 30. Juni – und das ist gut so.“ Und auch danach wird er keine Ein-Mann-Jubel­raupe machen.