John Guidetti pöbelt, singt, rappt – und schießt Schweden zum U21-Titel. Er ist eine Ausnahmeerscheinung im heutigen Fußball.
Mitten in den Jubelarien von Prag salutierte John Guidetti. Der schwedische Stürmer hatte mit seiner Mannschaft gerade sensationell die U21-EM gewonnen und schickte mit dieser Geste noch einmal beste Grüße nach Frankreich. An eine Mannschaft, die gar nicht beim Turnier mitspielte, aber darum ging es schließlich. Mitte Oktober 2014 war Guidettis Team im Play-off-Spiel gegen Frankreich schon so gut wie ausgeschieden. Der Franzose Layvin Kurzawa verhöhnte ihn und die anderen Schweden noch auf dem Platz mit jenem militärischen Gruß.
Guidetti trat auf Kurzawa zu und hielt ihm warnend den Zeigefinger entgegen, doch der Franzose war zunächst nicht zu beruhigen. Schweden gelang in der Schlussphase doch noch der entscheidende Treffer zur Qualifikation – und Kurzawa muss in diesem Moment gemerkt haben, dass er sich zu früh gefreut hatte. Falls nicht, so lief Guidetti zur Sicherheit noch einmal auf ihn zu, lachte höhnisch und salutierte seinerseits.
Unterschätzt uns nicht!
Seit dem Herbst 2014 jubeln die Schweden auf diese Weise, es soll eine Warnung sein: Unterschätzt uns nicht! Doch genau das taten die anderen Teams bei der EM und stachelten damit die Schweden weiter an, allen voran John Guidetti.
Für seinen Geschmack zeigten beispielsweise die Dänen vor dem Halbfinale zu wenig Respekt. Das Spiel endete 4:1 für Schweden, Guidetti erzielte das erste Tor und gab nach der Partie ein denkwürdiges Interview, in dem er den Reporter des schwedischen Fernsehens mit einer Tackling-Umarmung begrüßte. Während des Interviews legte er ihm den Arm um die Schulter und feuerte nebenbei eine adrenalingeschwängerte Sprüchesalve ins Mikro: „Sie haben nur geredet, nur geredet, wir haben sie reden lassen. Wir waren überlegen, wir waren überlegen. Das war die schlechteste Mannschaft, auf die wir in diesem Turnier getroffen sind.“
Statur von Rooney, Exzentrik von Zlatan
Die U21-EM war ohne Zweifel das Turnier der Schweden, die von Tausenden Anhängern in Gelb unterstützt wurden und auch auf dem Platz eine beeindruckende Geschlossenheit demonstrierten. Und die U21-EM war ohne Zweifel das Turnier des John Guidetti, dem in fünf Spielen zwei Tore und ein Assist gelangen und der den ersten Elfmeter im Finale sicher verwandelte.
Er hat die Statur von Wayne Rooney, die Exzentrik von Zlatan Ibrahimovic, brasilianische, italienische sowie schwedische Wurzeln und ein nicht unbescheidenes Ziel: Er will der beste Fußballer der Welt werden. John Alberto Fernando Andres Luigi Olof Guidetti – ein Mann für Emotionen und fürs Entertainment. Allerdings einer ohne Vertrag.
Nach dem Finale ohne Verein
Am Tag des Finales lief der Kontrakt mit Manchester City aus. Die Citizens hatten das Talent bereits im Alter von 15 Jahren verpflichtet, Guidetti danach allerdings durch alle Ligen verliehen: Erst ging es zurück nach Schweden, dann nach Burnley, zu Feyenoord, Stoke und zuletzt Celtic. Die Meinungen über sein bisheriges Schaffen gehen weit auseinander.
In den Niederlanden wurde er zum Publikumsliebling, schoss für Feyenoord in einer Saison 20 Tore in 23 Spielen. Der Journalist Jim Holterhues vom niederländischen Magazin „Staantribune“ sagt: „Er ist eine Legende in Rotterdam. Allein dadurch, dass er drei Tore gegen den Erzrivalen Ajax schoss. Im Jahr vor Guidetti wurde Feyenoord Zehnter, mit ihm spielten sie um den Titel.“
Guidetti ist ein breitschultriger Strafraumspieler alter Schule, der zudem über eine feine Schusstechnik verfügt. Allerdings wirkten seine Auftritte auf der Insel mitunter wie aus der Zeit gefallen. Paul Brennan von der Seite „Celtic Quick News“ sagt über ihn: „Zu einem Großteil der Saison sah er wirklich schlecht aus. Die Erwartungen waren sehr hoch, nachdem er zum Start sehr viele Tore nach Standardsituationen erzielt hatte. Aber als die Ecken und Freistöße nachließen, wurde seine fehlende Beweglichkeit im Spiel überdeutlich.“
In Glasgow fiel Guidetti zuletzt eher außerhalb des Platzes auf, indem er einen Schmähgesang gegen die Rivalen Rangers im Fernsehen rezitierte. In Schottland sorgte das Video für reichlich Gesprächsstoff, Verbände forderten daraufhin eine Schulung für Profifußballer. Mit derlei Petitessen hält sich Guidetti nicht lange auf, die schottische Liga sei sowieso viel zu klein für ihn.
Killer-Bienen und eine Viruserkrankung
Trotz all der markigen Sprüche und des extrovertierten Auftretens beweist Guidetti immer wieder seine Selbstironie und Demut. In seiner Kindheit lebte er in Kenia und spielte dort barfuß auf einem Bolzplatz. Im schwedischen TV erzählte er: „Einmal legten sich alle während des Spiels auf den Boden und riefen: ›Killerbienen, Killerbienen!‹ Ich verstand nicht, was sie meinten, doch dann kam ein Schwarm, so groß, dass der Himmel schwarz wurde.“
Guidetti bezeichnet Kenia immer noch als „das schönste Fleckchen Erde“. Er besucht seine frühere Mannschaft in den Sommerpausen und engagiert sich in einer Stiftung für Afrika.
„Ich lebe am Limit“
Auf der Party anlässlich seines 20. Geburtstags vergiftete er sich, als er ein Stück Hähnchen aß. In der Folge klagte er über Bauchschmerzen und konnte eine Woche später sein Bein nicht mehr bewegen. Die seltene Viruserkrankung führte dazu, dass Guidetti acht Monate lang nicht Fußball spielen konnte. Als er sich erholte, spielte er wieder im Reserveteam von Manchester City, wo er nach Belieben traf. Auf die Frage, ob er heute noch Hähnchen esse, sagte er: „Na klar, ich lebe am Limit.“
Der „Guardian“ berichtete von einer Anekdote in Stockholm während des diesjährigen Champions-League-Finales. Dort traf ein achtjähriger Junge auf dem Nachhauseweg auf Guidetti und fragte ihn, ob er Lust habe zu kicken. Guidetti soll dem Jungen gesagt haben: „Jetzt schaue ich mir das Finale an. Aber wenn du später noch wach bist, können wir danach spielen.“ Der Junge hielt sich wach und lief nach dem Finale zum Bolzplatz. Guidetti wartete dort bereits auf ihn.
George Michael als Inspiration
In Rotterdam, in Glasgow und auch in Manchester heben Fans und Trainer immer wieder hervor, welch positiven Effekt Guidetti mit seiner offenen, humorvollen Art auf das Mannschaftsgefüge hatte. So rappte er in aller Öffentlichkeit schwedische Songs, intonierte „Ghetto Superstar“ und gar Mariah Careys Schmachtfetzen „All I want for Christmas is you“. Auf dem Youtube-Kanal von Manchester City trällerte er auch „Last Christmas“ und bekannte dazu mit einem Lächeln: „Das ist eine echte Liebesgeschichte. Ich höre den Song vor jedem Spiel, um in den Rhythmus zu kommen.“
Guidetti schont weder andere noch sich selbst. Er bleibt jemand für die großen, manchmal auch überdrehten Gesten. Nach dem Finale von Prag setzte er sich Perücken auf und trug riesige aufblasbare Plastikhände. Dann hielt er ein Transparent der Fans in die Kameras: „No Guidetti – No Confetti.“