Warum Amateurfußball so schön ist? Nur hier feiert man einen 56-Jährigen Ersatztorwart wie einen Fußballgott. Nur hier wird man durch einen Pass zur Kaiserin ernannt. Nur hier ist der größte Bock nach einer Kiste Bier vergessen.
Eine Kiste Bier und dir sei vergeben
„Wo bin ich und was mache ich eigentlich hier?“ Diese Frage hat sich sicherlich schon der ein oder andere Amateurfußballer gestellt, wenn er am Sonntagmorgen in Fußballschuhen auf einem Ascheplatz steht, anstatt den Rausch vom Vorabend auf der Couch auszuschlafen. Nun wollen wir Jonas Hosenfeld vom Hünefelder SV keinen übermäßigen Alkoholkonsum unterstellen, die Szene, die bei torgranaten.de zu bewundern ist, kommt jedoch reichlich kurios daher. Keeper Hosenfeld nimmt einen langen Ball auf. Plötzlich gibt es Rot. Der Grund: Er steht weit außerhalb des Strafraums. Blöderweise hatte er sich am ebenfalls aufgemalten Kleinfeld orientiert. Sein Glück: das Spiel ging am Ende dennoch 0:0 aus und seine Mannschaft bleibt weiterhin Tabellenführer der Verbandsliga Hessen Nord. Über seine Strafe entscheidet dahingegen die einzig akzeptierte Sportgerichtsbarkeit im Amatuerfußball: der Mannschaftskassenwart. Eine Kiste Bier und dir sei vergeben.
„Die haben wir früher alle gemacht!“
Wer kennt sie nicht, die Trainer und alten Herren, die früher komischerweise nie ein Spiel verloren, jede Flanke verwertet und auch mal dazwischengehauen haben. In der Retrospektive neigt man zur Glorifizierung oder wie man als Aktiver sagt: „Lass die Alten doch erzählen!“ Umso interessanter wird es, wenn aus Personalnot beide Trainer mitspielen müssen. Zugegeben, Servet Bayram vom OSC Rheinhausen II und Enad Dzafic vom TV Kapellen II haben beide noch kein Fußballrentenalter erreicht, aber dennoch helfen beide nur noch im Notfall aus. Es wurde ein kurioses Spiel. Die Gäste aus Kapellen führten zu 71. Minute mit 6:2, doch Rheinhausen drehte die Partie nochmal auf 7:6 aus Sicht der Heimmannschaft. In der 90. Minute dann noch ein Freistoß für Kapellen. Ist diese enttäuschende Partie für die Gäste noch zu retten? Der Freistoß ist Chefsache. Coach Dzafic läuf unwiderstehlich an, Schuss und drin! Im Interview mit fussball.de sagte Dzafic nach dem Spiel: „Ich habe gesagt: Wenn es schief läuft, geht es wenigstens auf meine Kappe.“ Ging es nicht und so sagt er seitdem in jedem Training: „Männer, die habe ich früher alle gemacht.“ Und seiner Männer waren sogar dabei.
Aus „Ziiieehhh!“ wird „Schiiieeß!“
Gewisse Anforderungsprofile von Sportarten überschneiden sich: Handballer sind meist auch gute Ruderer, altgediente Fußballer können noch Kicker beim Football werden und ein paar ganz Verrückte meinten sogar mal, dass jamaikanische Sprinter in den Eiskanal gehören. Eine Verbindung war uns bisher jedoch nicht bewusst: Skispringen und Fußball. Doch Melanie Faißt beweist das Gegenteil: als zweimalige deutsche Meisterin im Skispringen ist sie auch beim Fußballbezirksligisten VFR Klosterreichenbach erfolgreich. 43 Tore in 13 Partien sprechen eine eindeutige Sprache. In unserer Vorstellung macht sie nach jedem Torjubel einen Telemark.
Ente gut, alles gut.
Amateurfußballer, das sind die herrlich Bekloppten, die es einfach nicht lassen können. Alte Recken, die sich auch im hohen Alter noch auf die Bank setzen und auf den einen Moment hoffen. Dieser Moment kam für den 56-jährigen Andreas Kramer, den man bei Rot-Weiß Estorf-Leeseringen nur unter seinem Spitznamen „Ente“ kennt. Seine Mannschaft verlor am 22. Spieltag zwar gegen den TV Stuhr mit 0:2, dennoch war es der Tag von Ersatzkeeper „Ente“. Er hielt nicht nur einen Elfmeter, sondern parierte auch noch den Nachschuss sehenswert. Ein Mann, der für Zuverlässigkeit steht. Eine Absage vor einem Punktspiel? „Sowas kennt Ente gar nicht“, sagte sein Trainer Lukas Swiatkowski im fussball.de-Interview. Nächste Saison gibt „Ente“ dann den Torwartrainer, aber wenn mal wieder Not am Mann ist, ist er natürlich da. Denn bei RW Estorf-Leeseringen gilt: „Ente gut, alles gut.“
Die Kaiserin von Tündern
Noch heute spielt ein Großteil der Amateurmannschaften mit dem guten alten Libero. Es ist die Königsposition, auch wenn sie ein Kaiser prägte. Das Aufgabengebiet lässt sich einfach zusammenfassen: den grobschlächtigen aber laufstarken Manndeckern die Gegenspieler zuweisen, für den Torhüter die Abstöße ausführen, damit diese wenigstens ab und zu mal über die Mittellinie kommen und den punktgenauen Pass über das halbe Feld. Doch ist es zeitgemäß, dabei immer nur an einen Routinier aus der Herrenmannschaft zu denken? Nein. Beim 1:0‑Auswärtssieg ihrer HSC BW Tündern bei PSV Grün-Weiß Hildesheim zeigte Christin Kruppki, wie es geht: Kopf oben, Ball eng am Fuß, links kurz die mitgereisten Fans grüßen und mit rechts einen weiten Zuckerpass aus dem Fußgelenk spielen, damit Kollegin Hanna Kleindiek den Siegtreffer erzielen kann. Ihr Trainer Alexander Stamm brachte es nach dem Spiel auf den Punkt: „Den hat Christin hinten rausgespielt wie Beckenbauer früher.“ Das würde Kaiser Franz sicherlich genauso unterschreiben, aber der unterschreibt ja eh alles.