Direkt nach seinem Amtsantritt erklärte Alf Ramsey die Three Lions zum einzigen WM-Favoriten 1966. Davor wollte er den EM-Titel quasi im Vorbeigehen mitnehmen – und scheiterte krachend.
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Der Winter 1963 war streng und hatte weite Teile Englands fest im Griff. Es gab viel Zeit, über Fußball nachzudenken. Man sprach über den neu berufenen Manager Alf Ramsey, der großspurig verkündet hatte, das Mutterland des Fußballs werde (nicht: könne) die kommende Heim-Weltmeisterschaft gewinnen. Man sprach über Englands bisherigen Kapitän und Spielmacher Johnny Haynes, der für das anstehende Länderspiel gegen Frankreich nicht nominiert worden war, weil er noch an den Verletzungen laborierte, die er bei einem Verkehrsunfall erlitten hatte. Man sprach über die andauernde Erfolglosigkeit der französischen Elf, deren prominentester Spieler Raymond Kopa abgesagt hatte, weil eines seiner Kinder erkrankt war.
Worüber man aber nicht sprach, war, ob die noch junge, erst zum zweiten Mal ausgespielte Europameisterschaft eine sinnvolle Neuerung wäre oder nicht, weshalb manche Spielberichte der Partie sich heute lesen, als hätte es sich um ein im Grunde bedeutungsloses Freundschaftsspiel gehandelt. Und schon gleich gar nicht sprach man darüber, ob dieser Wettbewerb vielleicht dazu beitragen könne, bei den teilnehmenden Nationen ein europäisches Gemeinschaftsgefühl zu fördern.
England und die Fußball-EM – das passte, wie zu sehen sein wird, von Anbeginn an nicht recht zusammen. Den statistisch größten Erfolg stellt der dritte Platz von 1968 dar. Dreimal (1976, 1984 und 2008) qualifizierten sich die Three Lions erst überhaupt nicht für die Endrunde. Ebenfalls dreimal (1996 gegen Deutschland, 2004 gegen Portugal und 2012 gegen Italien) schied die Mannschaft im Elfmeterschießen aus. 1972 (gegen Deutschland) und 1988 (gegen Irland) musste sie demütigende Niederlagen einstecken, die lange über den Tag hinaus Wirkung zeigten. 1992 erzielte sie in drei grottenschlechten Gruppenspielen ohne Sieg ein kümmerliches Törchen, wozu der damalige Nationalspieler David Platt den Ratschlag parat hatte, dass man für gute Unterhaltung doch in den Zirkus gehen oder sich einen Film anschauen solle, aber kein Spiel der englischen Mannschaft. 2000 gewann das Team zwar in der Vorrunde gegen Deutschland, flog aber raus, weil es gegen Portugal und Rumänien trotz Führung verlor. Und das peinliche 1:2 gegen Island im Achtelfinale 2016, zu dem mal wieder einer der obligatorischen schweren Torwartfehler beitrug, dürfte noch in bester Erinnerung sein.
Einen leicht tragikomischen Touch hat es durchaus, ausgerechnet in dieser Zeit, in der der Brexit nach quälend langen innenpolitischen Querelen vollzogen wurde, an ein Fußballländerspiel zu erinnern, das Anfang 1963 ausgetragen wurde, nur wenige Tage nachdem Großbritanniens erstes Aufnahmegesuch in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG (wie der Vorläufer der EU seinerzeit hieß) in schroffer Manier von Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaule abgelehnt wurde.
Es war weniger der Akt der Zurückweisung selbst, der den damaligen konservativen Regierungschef Harold Macmillan, seinen Verhandlungsführer und späteren Premier Edward Heath sowie große Teile der britischen Bevölkerung in höchstem Maß brüskierte, sondern die hochmütige Art und Weise, mit der dies geschah. Sie trug viel zur späteren Skepsis der Briten gegenüber der EU, ihren Institutionen und den kontinentalen Politikern bei. Ausgerechnet de Gaulle zeigte jenem Land die kalte Schulter, das ihm 1940 Unterschlupf gewährte hatte, nachdem Frankreich von der deutschen Wehrmacht in einem sechswöchigen Blitzfeldzug überrollt worden war.
Für England stellten 1962/63 die beiden Partien gegen den Erzfeind Frankreich den ersten, recht kurzen Auftritt bei einer EM dar. Auf eine Teilnahme an der ersten Auflage des neuen Wettbewerbs hatte man verzichtet. Alle vier Jahre eine WM – daran war man inzwischen gewöhnt, auch wenn man sich bei den vier Nachkriegsturnieren nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte. Ansonsten schienen die jährliche Home Championship mit Partien gegen Schottland, Wales und Nordirland sowie friendlies gegen handverlesene Gegner oder Spaßspiele gegen eine Weltauswahl sportlich interessanter und finanziell lukrativer zu sein.