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Es hätte alles so schön sein können: Im kleinen London-Derby gegen Crystal Palace führte der FC Arsenal bereits nach neun Minuten mit 2:0, Erz­ri­vale Tot­tenham verlor par­allel gegen Liver­pool und Alex­andre Laca­zette gab nach zwei­mo­na­tiger Pause sein Startelf-Come­back. Was beim FC Arsenal ver­gan­gener Tage viel­leicht in einem Schüt­zen­fest geendet hätte, resul­tierte an diesem Sonntag nach einer erneut schwa­chen Leis­tung in der zweiten Halb­zeit in einem 2:2 Unent­schieden. Zum Auf­reger der Partie wurde aber nicht das Ergebnis: Bei der Aus­wechs­lung von Granit Xhaka in der 60. Minute, Arsenal hatte das Spiel zu diesem Zeit­punkt längst aus der Hand gegeben, wurde der Kapitän höh­nisch beju­belt, die Fans fei­erten seine Her­aus­nahme fast wie ein eigenes Tor. Der Schweizer, selbst nicht gerade für sein kleines Ego bekannt, pro­vo­zierte zurück und ging im Schne­cken­tempo vom Platz. Auf dem Weg in den Spie­ler­tunnel sta­chelte er die Zuschauer weiter an, for­derte mit seinen Armen noch lau­tere Rufe und hielt anschlie­ßend seine Hand ans Ohr. Nach dem Motto: Das wars schon, mehr habt ihr nicht drauf?“ 

Bis er den Platz schluss­end­lich mit einem lauten Fuck off!“ Rich­tung Tri­büne ver­ließ, war der iro­ni­sche Applaus der Fans längst zu ein gel­lendes Pfeif­kon­zert ange­schwollen. Ähn­liche Szenen sind inzwi­schen im Emi­rates keine Sel­ten­heit: Nicht zum ersten Mal in dieser Saison gibt Arsenal eine Füh­rung aus der Hand, nicht zum ersten Mal muss Granit Xhaka dafür als Sün­den­bock her­halten. Nach dem Spiel ist sich die bri­ti­sche Presse einig: Ein sol­ches Ver­halten ist eines Kapi­täns nicht würdig. Der Bou­le­vard titelt mit dem Xhaka-Clash“ und Ex-Natio­nal­spieler Darren Bent for­dert, der ehe­ma­lige Glad­ba­cher solle nie wieder für den FC Arsenal auf­laufen. So nach­voll­ziehbar die Reak­tionen zur Szene alle­samt sein mögen: Der Kon­flikt hat sich schon lange ange­bahnt, die gest­rige Zuspit­zung ist nur die End­stufe einer trau­rigen Ent­wick­lung des FC Arsenal vom Cham­pions-League-Dau­er­gast zu einem Europa-League-Kan­di­daten. Und für diese Ent­wick­lung steht Xhaka exem­pla­risch. 

United holt Pogba, Arsenal holt Xhaka

Alles beginnt mit der Über­ra­schungs­meis­ter­schaft von Lei­cester City im Jahr 2016. Die Spitzen-Teams müssen nach­legen, wollen die Top-Sechs der Tabelle auch in Zukunft eine geschlos­sene Gesell­schaft bleiben. Chelsea reagiert nahe­lie­gend wie logisch und kauft dem Sen­sa­ti­ons­meister Lei­cester mit N’Golo Kanté einen der Schlüs­sel­spieler weg, Man­chester City ver­pflichtet İlkay Gün­doğan, Leroy Sané und Gabriel Jesus. Und Man­chester United klotzt in diesem Sommer sowieso, neben Zlatan Ibra­hi­mović wird fürs Mit­tel­feld per Rekord-Summe Paul Pogba unter Ver­trag genommen. Beson­ders erfolg­reich treten die Red Devils“ seitdem zwar auch nicht auf, ohne Allein­un­ter­halter Pogba sähe es aber womög­lich noch düs­terer aus. 

Spit­zen­transfer der Gun­ners ist in dieser Trans­fer­pe­riode Granit Xhaka. 45 Mil­lionen Euro sind den Ver­ant­wort­li­chen die Dienste des Sechsers Wert. Ein sinn­voller Ein­kauf, in einem funk­tio­nie­renden System kann Xhaka durchaus der Bau­stein zur Wei­ter­ent­wick­lung von einem guten, zu einem sehr guten Team sein. Der große Unter­schied zu den Trans­fers der Kon­kur­renten ist aber: Die große Ver­stär­kung, die der FC Arsenal so drin­gend benö­tigt, ist er im Allein­gang nicht. 

Und so wird der Schweizer zum Gesicht einer Periode von Miss­erfolgen. Stars wie Alexis Sán­chez oder Aaron Ramsey lassen ihre Ver­träge aus­laufen, über­durch­schnitt­liche Ex-Bun­des­li­ga­spieler wie Sead Kolašinac, Hen­rikh Mkhi­ta­ryan oder Sokratis kommen als Ersatz. Alles keine schlechten Trans­fers, aber eben auch nicht die ganz großen Namen. Eine, viel­leicht sogar eher zwei Kate­go­rien unter der Welt­klasse“. 

Selbst von den Spit­zen­ein­käufen – genü­gend Budget gibt es dank des hoch­do­tierten TV-Ver­trags und der funk­tio­nie­renden Ver­mark­tung schließ­lich immer noch – schlägt außer Pierre-Eme­rick Aub­ameyang nie­mand so richtig ein. Nicolas Pépé kann die hohen Erwar­tungen nach seinem 80-Mil­lionen-Euro-Transfer (noch) nicht erfüllen, Alex­andre Laca­zette zeigt zwar gute Leis­tungen, ver­bringt aber mehr Zeit auf der Bank als auf dem Platz. Nach dem Weg­gang von Arsene Wenger sind end­gültig andere ehe­mals gleich­starke – oder sogar schwä­chere – Teams wie Tot­tenham oder Liver­pool dau­er­haft an Arsenal vor­bei­ge­zogen. In London sind die Gun­ners nur noch die Nummer drei.

Im besten Fall eine Mischung aus Viera und Henry 

Den viel­leicht emo­tio­nalsten Ver­lust mussten die Fans aber durch den Abgang von Lau­rent Koscielny ver­kraften: Der lang­jäh­rige Kapitän und Abwehr­chef wollte vor der Saison unbe­dingt zurück nach Frank­reich. Nach langem Trans­fer­theater inklu­sive diverser Anschul­di­gungen und Trai­nings-Streiks bekam Koscielny schluss­end­lich seinen Willen und wech­selte zu Giron­dins Bor­deaux. Arsenal verlor seinen Stamm-Innen­ver­tei­diger, Unai Emery seinen Kapitän und Bor­deaux kün­digte den Neu­zu­gang mit einem Prä­sen­ta­tions-Video an, in dem der Fran­zose grin­send sein altes Arsenal-Trikot gegen das Neue von Bor­deaux aus­tauschte. 

All das war zu viel für die geschun­dene Fan-Seele. Und so sehnen sich die Gun­ners seitdem nach einem rich­tigen“ Kapitän. Einem Kapitän, der sich auf­richtig und kom­plett mit dem Verein iden­ti­fi­ziert. Kämp­fe­risch und vor­an­ge­hend wie Patrick Viera, pres­ti­ge­trächtig und spie­le­risch über­legen wie Thierry Henry. In Granit Xhaka bekamen sie eine Lösung, die genau das nicht erfüllt. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis das Pul­ver­fass Arsenal mit Xhaka als Kapitän explo­diert – die dras­ti­sche Art und Weise ist das Über­ra­schende.

Dabei ist Emerys Ent­schei­dung, den häufig nicht über­ra­genden, aber schuss- und zwei­kampf­starken Sechser zum Spiel­an­führer zu ernennen, durchaus nach­voll­ziehbar: Die fast schon über­mäßig breite Brust eines Lea­ders“ begleitet den 27-Jäh­rigen schon seine ganze Kar­riere. Das stellte Xhaka nicht erst bei Arsenal, son­dern auch zuvor in Glad­bach und Basel unter Beweis. Das Pro­blem ist viel­mehr, dass er diese ange­bo­rene Bis­sig­keit nicht kata­ly­sieren kann und mit seiner Aggres­si­vität oft übers Ziel hinaus schießt.

Gerade nach Rück­ständen senst Xhaka zwar gerne in Vor­zeige-Leit­wolf-Manier den nächst­besten Gegen­spieler auf Höhe der Mit­tel­linie um, in den letzten Jahren führte das aber eher zu seiner schier unglaub­li­chen Ansamm­lung von Karten als zu einer Ver­än­de­rung des Spiel­ver­laufs. Bereits 40 Gelbe und zwei Rote Karten sam­melte Xhaka in seiner Zeit bei Arsenal. Zwi­schen 2014 und 2017 waren es gar neun Platz­ver­weise. Rück­schläge erzeugen bei ihm oft die Atti­tüde eines belei­digten und bockigen Kindes. Viel Wut, viel Geschimpfe, aber kein unbrech­barer Anführer-Sie­ges­wille, der selbst beim 0:4 des Geg­ners noch an die Wende glaubt. 

Keine Bes­se­rung in Sicht 

Doch genau das ver­langen die Fans von einem Kapitän: Unbän­diges Moti­vieren und stän­diges Antreiben statt unnö­tiger und über­harter Frust­fouls. Bei all den Rück­schlägen, die der FC Arsenal in dieser Saison ver­kraften musste, brachte die erneut ver­spielte Füh­rung gegen Crystal Pal­acce das Fass im Emi­rates am Sonntag schlicht zum Über­laufen.

Und so bleibt abzu­warten, wie sich Xhakas Zukunft bei den Nord-Lon­do­nern ent­wi­ckelt. Auf der Pres­se­kon­fe­renz vor dem heu­tigen Liga-Pokal­spiel gegen Liver­pool erklärte Unai Emery, sein Schütz­ling fühle sich kata­stro­phal“ und sei am Boden zer­stört“. Der Kapi­täns­frage und ob Xhaka über­haupt nochmal für Arsenal auf­laufen werde, wich sein Coach jedoch kon­se­quent aus: Im Moment spreche ich nicht dar­über und möchte auch nicht dar­über spre­chen. Erstmal muss er sich erholen, als Mensch und als Spieler.“ 

Wenigs­tens Team­kol­lege Héctor Bel­lerín stellte sich hinter seinen Kapitän und ver­suchte, via Twitter die Wogen zu glätten: Wir sind alle Men­schen, wir haben alle Emo­tionen und manchmal ist es schwer, mit denen umzu­gehen. Es ist Zeit, ein­ander hoch­zu­heben, nicht ein­ander weg­zu­stoßen. Wir gewinnen nur, wenn wir zusammen sind.„ Von diesem Zusam­men­schluss sind die Fans des FC Arsenal und Granit Xhaka momentan jedoch mei­len­weit ent­fernt.