Das Ende von Joachim Löw ist auch der Anfang von Hansi Flick: Was das deutsche Nationalteam von der U21-Mannschaft lernen kann, welche Rolle Flick dabei spielen könnte – und (hüstel!) was die deutsche Tugenden damit zu tun haben.
Vermutlich wäre Stefan Kuntz sein Nachfolger als Bundestrainer geworden, was zweifellos interessant geworden wäre. Aber dann kam Hansi Flick. Bzw. er ging – weg vom FC Bayern. Seine Geschichte ist eine der erstaunlichsten der letzten Jahre im deutschen Fußball. Als er im Herbst 2019 bei den Bayern den Trainerjob von Niko Kovac übernahm, gab es kaum jemanden, der sich hätte vorstellen können, dass er es länger als ein paar Wochen bleiben würde. Ganz abgesehen davon, dass er das Triple gewinnen würde. Flick hielt nämlich so ziemlich jeder im deutschen Fußball für einen braven Mann der zweiten Reihe, und dann so was.
In vielerlei Hinsicht unterschätzt, auch in seiner Härte: Hansi Flick
Was viele übersehen hatten, oder Flick gut versteckt hatte, war der Glutkern, der in diesem Mann steckt. Das sah man spätestens, als der Krieg mit Hasan Salihamidzic begann und letztlich auch der mit dem FC Bayern. Bei Deutschlands größtem Klub sind Trainer im Prinzip immer Dienstleister bei der Beschaffung von Siegertrophäen gewesen, und dementsprechend rumgeschubst worden, selbst wenn sie Ottmar Hitzfeld oder Luis van Gaal hießen. Die meisten Coaches haben sich dem gefügt, doch der ewige Hansi wehrte sich mit erstaunlicher Härte und ging gefühlt als Sieger. War das eigentlich vorher schon mal jemandem gelungen?
Auf dem Weg zum Gewinn der Champions League hatte sein Team eine Bedingungslosigkeit entwickelt, die der deutschen Nationalmannschaft in den letzten Jahren fehlte. Und es besteht die berechtigte Hoffnung, dass man sie bald wieder sehen wird. Denn letztlich sind Mannschaften immer auch Abbild ihrer Trainer, deren Ideen und Persönlichkeiten. Löw war ein milder Moderator einer Generation großer Talente, Flick hingegen ist emotionaler, unbedingter, und das kann jetzt nur gut sein. Vermutlich wird er seinen Spielern andere Angebote machen als Löw das tat. Man wird dann sehen, ob sie diese dann so gut annehmen wie die U21-Mannschaft jene von Kuntz.
Die aktuelle Europameisterschaft hat daran erinnert, dass der Fußball der Nationalmannschaften bei großen Turnieren eher in hysterisches Durcheinander führt und in wildere Schlachten als der Vereinsfußball. Die Schweizer haben dieses Tohuwabohu angenommen, die Spanier ebenfalls, die Kroaten, die Italiener und vor allem die Dänen im Nachgang des Eriksen-Dramas. Diese Mannschaften stellten darüber eine Verbindung zum Publikum her, die bei uns inzwischen fast komplett verschwunden ist.
Es ist schon wahnsinnig viel darüber debattiert worden, wie die neue deutsche Nationalmannschaft unter Flick aussehen wird. Ob sie sich dem Pressingspiel des FC Bayern annähert (höchstwahrscheinlich), ob die Alten weiter gebraucht werden (teils teils) und oft es überhaupt genug gute Spieler gibt (klar, aber nicht auf jeder Position). Doch diese Fragen sind alle nachrangig, denn Flicks wichtigste Aufgabe wird es sein, all seine Entscheidungen so zu treffen, dass ein erloschenes Feuer wieder angefacht wird. Und sich das Publikum wieder verliebt.