Stress bei den Bayern? Wer wird Bundestrainer? Und warum sollten wir uns alle auf die Conference League freuen? Tommi Schmitt ist zurück und erklärt, was ihm im Fußball noch wirklich wichtig ist.
Wären Sie froh, wenn sich die DFB-Elf gar nicht qualifizieren würde?
Es wäre in jedem Fall die eleganteste Form des Boykotts dieser WM, für die so viele Arbeiterinnen und Arbeiter ihr Leben gelassen haben. Bezüglich der Spieler bin ich da aber ambivalent. Es ist einfach eine brutal unangenehme Aufgabe. Für Spieler und Trainer wird es noch anstrengend, dass sie im Zusammenhang mit dieser WM vor allem politische und weniger taktische Fragen beantworten müssen. Darauf müssen sie sich einstellen.
Also lieber Trikots bemalen?
Ach, hätten sie da gar nichts gemacht, wäre es auch nicht richtig gewesen. Die Spieler tun mir da fast schon ein bisschen leid.
Nehmen Sie die Fußballer hier nicht zu sehr in Schutz?
Ich könnte jetzt natürlich brüllen: „Für so eine WM würde ich mich niemals nominieren lassen!“ Habe ja leicht reden, werde ja sowieso nicht nominiert und habe einen anderen Beruf. Aber wer bin ich, dass ich von einem Anfang 20-jährigen Sportler, der sein Leben lang auf ein solches Turnier hinarbeitet, dessen ganzer bisheriger Weg daraufhin zielt, der in Internaten, in Jugendmannschaften und irgendwann in der Ersten Mannschaft dahin getrimmt wird, den Boykott einfordere? Wir reden hier teilweise von sehr jungen Menschen, fast noch Jugendlichen. Denken wir uns Manuel Neuer mal weg, bin sogar ich deutlich älter als jeder Nationalspieler im Kader. Ein Boykott der Spieler wäre natürlich schön, aber ich verstehe auch irgendwie in Ansätzen, dass es nicht passiert. Die sind ja ganz anderes sozialisiert als wir beide. Ich kritisiere da eher die FIFA und die Verbände. Dieses Turnier darf einfach erst gar nicht dahin vergeben werden. Wenn in der Suppe ein Fingernagel schwimmt, ist ja nicht der Kellner Schuld, sondern der Koch.
Hm.
Zum Sportlichen: Mir tut es auch einfach leid, dass ein Ausnahmespieler wie Ilkay Gündogan eine Halb-EM ohne Zuschauer und eine WM in Katar im Lebenslauf stehen haben wird. Beides Turniere ohne jegliches Prestige. Völlig Wurscht, wer da gewinnt. Ich kann es irgendwie verstehen, wenn Joshua Kimmich sagt, dass der Fehler vor zehn Jahren bei der Vergabe gemacht wurde. Ich hoffe einfach, dass sich die Spieler vor Ort gut präsentieren, kritische Bemerkungen machen, sich trauen, sich politisch zu äußern und in dieser Form Engagement zeigen. Alles andere liegt eher in der Hand der Verbände und der Fans, ob sie dieses Turnier annehmen oder nicht. Ich werd’s vermutlich eher nicht gucken.
Von der internationalen Bühne hin zum Amateurfußball. Was macht ihr Verein, Borussia Mönchengladbach, im Moment?
Na, hören Sie mal, etwas Respekt bitte vor einem Klub, der gerade noch in der Champions-League-Metropole Budapest antreten durfte.
Sorry! In nächster Zeit wartet jedenfalls nur schnöder Alltag. Frankfurt, Hoffenheim, Bielefeld – das klingt nach grauem Mittelfeld der Bundesliga. Gehört Gladbach dieses Jahr genau dorthin?
Ich habe festgestellt, dass ich es toll fände, wenn sich Gladbach doch noch für die Conference League, die ich zuletzt so arg kritisiert hatte, qualifizieren würde. Seitdem schiele ich permanent auf Platz 7, der ja theoretisch reichen würde.
Sie würden sich auf die Conference League freuen?
Ja! Mittlerweile schon. Unpopuläre Meinung, aber die Conference League kann ein totales Fußballromantiker-Turnier werden. Das komplette Gegenteil zur überkandidelten Champions League. Dosenbier vs. Moet Chandon. Der Wettbewerb ist zwar Symptom des modernen Fußballs, aber er konterkariert ihn irgendwie auch, weil kleine und vergessene Traditionsklubs wieder in die K.O.-Phase einziehen können. Die Conference League bringt den deutschen Klubs keine Kohle ein, aber für Fans könnte die Aussicht kaum besser sein: möglicherweise Auswärtsspiele in Portugal, Schottland, Kroatien, Schweden und Irland. Halbfinale vielleicht gegen Verona, in Wien, Aberdeen, gegen Brann Bergen oder Metz. Ist doch super! Neue Leute, neues Bier.
Gegenthese: Das Problem ist wiedermal die UEFA. Denn der Uefa-Pokal war auch super, bis er Europa League getauft wurde, eine neue Hymne, ein neues Logo und ein Corporate Design bekam.
Völlig richtig. Deshalb mein Hinweis an die UEFA: Ihr müsst die Fußballromantiker, die Bratwurst- und Bierliebhaber, die Hipster diesmal mitnehmen. Die Zuschauer, die es toll finden, wenn aus der Ritze eines Stadiondachs noch ein Gänseblümchen wächst. Weniger Auflagen im Stadion. Uns einfach mal machen lassen. Der Unique Selling Point - um mal die Sprache des Geschäfts zu verwenden – wäre ein Wettbewerb für echte Fußballfans. Und die Geldtypen spielen halt ihre Champions League bald in New York aus. Wen interessiert denn bitte noch die Champions League? Manchester City, Paris und Sevilla? Langweilt mich alles. Total 2019. Ich glaube, unter diesen Voraussetzungen könnte die Conference League ein – Achtung! – kultiger Wettbewerb werden.
Und Borussia Mönchengladbach bekommt dann Vålerenga Oslo zugelost …
… da sitze ich aber mal ganz sicher im Flugzeug. Der Gedanke gefällt mir. Eher als dass ich mir ein Spiel in Donezk oder Barcelona angucke. Ich bin da nicht ganz dicht, das weiß ich auch. Aber das ist der Fußball, den ich liebe. Was soll ich machen? Wichtig wäre nur, dass die Top-Teams ihre erste Elf ran lassen und nicht die U23 aufstellen.
Und? Woran wird es scheitern?
Es bräuchte erst einmal einen eigenen Spieltag, aber da ist ja gar kein Platz mehr im Kalender. Die Partien der Conference League werden am Europa-League-Spieltag, also donnerstags, angepfiffen. Also werden nur die Anhänger der Vereine zusehen, die sich dort tummeln. Das ist ein Problem. Ich habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, dass die Conference League in all ihrer Beschissenheit ein müde leuchtendes Gegenlicht zum modernen Fußball setzt. Und vielleicht gewinnt sie dadurch an Charme. Als würde man im Tierheim stehen und sich aus Mitleid und Überzeugung den Hund mit den drei Beinen aussuchen. Komm mit, wir kriegen das hin, Labrador kann jeder.