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Seite 2: „Vålerenga? Da sitze ich aber mal ganz sicher im Flugzeug“

Wären Sie froh, wenn sich die DFB-Elf gar nicht qua­li­fi­zieren würde?
Es wäre in jedem Fall die ele­gan­teste Form des Boy­kotts dieser WM, für die so viele Arbei­te­rinnen und Arbeiter ihr Leben gelassen haben. Bezüg­lich der Spieler bin ich da aber ambi­va­lent. Es ist ein­fach eine brutal unan­ge­nehme Auf­gabe. Für Spieler und Trainer wird es noch anstren­gend, dass sie im Zusam­men­hang mit dieser WM vor allem poli­ti­sche und weniger tak­ti­sche Fragen beant­worten müssen. Darauf müssen sie sich ein­stellen.

Also lieber Tri­kots bemalen?
Ach, hätten sie da gar nichts gemacht, wäre es auch nicht richtig gewesen. Die Spieler tun mir da fast schon ein biss­chen leid.

Nehmen Sie die Fuß­baller hier nicht zu sehr in Schutz?
Ich könnte jetzt natür­lich brüllen: Für so eine WM würde ich mich nie­mals nomi­nieren lassen!“ Habe ja leicht reden, werde ja sowieso nicht nomi­niert und habe einen anderen Beruf. Aber wer bin ich, dass ich von einem Anfang 20-jäh­rigen Sportler, der sein Leben lang auf ein sol­ches Tur­nier hin­ar­beitet, dessen ganzer bis­he­riger Weg dar­aufhin zielt, der in Inter­naten, in Jugend­mann­schaften und irgend­wann in der Ersten Mann­schaft dahin getrimmt wird, den Boy­kott ein­for­dere? Wir reden hier teil­weise von sehr jungen Men­schen, fast noch Jugend­li­chen. Denken wir uns Manuel Neuer mal weg, bin sogar ich deut­lich älter als jeder Natio­nal­spieler im Kader. Ein Boy­kott der Spieler wäre natür­lich schön, aber ich ver­stehe auch irgendwie in Ansätzen, dass es nicht pas­siert. Die sind ja ganz anderes sozia­li­siert als wir beide. Ich kri­ti­siere da eher die FIFA und die Ver­bände. Dieses Tur­nier darf ein­fach erst gar nicht dahin ver­geben werden. Wenn in der Suppe ein Fin­ger­nagel schwimmt, ist ja nicht der Kellner Schuld, son­dern der Koch.

Hm.
Zum Sport­li­chen: Mir tut es auch ein­fach leid, dass ein Aus­nah­me­spieler wie Ilkay Gün­dogan eine Halb-EM ohne Zuschauer und eine WM in Katar im Lebens­lauf stehen haben wird. Beides Tur­niere ohne jeg­li­ches Pres­tige. Völlig Wurscht, wer da gewinnt. Ich kann es irgendwie ver­stehen, wenn Joshua Kim­mich sagt, dass der Fehler vor zehn Jahren bei der Ver­gabe gemacht wurde. Ich hoffe ein­fach, dass sich die Spieler vor Ort gut prä­sen­tieren, kri­ti­sche Bemer­kungen machen, sich trauen, sich poli­tisch zu äußern und in dieser Form Enga­ge­ment zeigen. Alles andere liegt eher in der Hand der Ver­bände und der Fans, ob sie dieses Tur­nier annehmen oder nicht. Ich werd’s ver­mut­lich eher nicht gucken.

Von der inter­na­tio­nalen Bühne hin zum Ama­teur­fuß­ball. Was macht ihr Verein, Borussia Mön­chen­glad­bach, im Moment?
Na, hören Sie mal, etwas Respekt bitte vor einem Klub, der gerade noch in der Cham­pions-League-Metro­pole Buda­pest antreten durfte.

Sorry! In nächster Zeit wartet jeden­falls nur schnöder Alltag. Frank­furt, Hof­fen­heim, Bie­le­feld – das klingt nach grauem Mit­tel­feld der Bun­des­liga. Gehört Glad­bach dieses Jahr genau dorthin?
Ich habe fest­ge­stellt, dass ich es toll fände, wenn sich Glad­bach doch noch für die Con­fe­rence League, die ich zuletzt so arg kri­ti­siert hatte, qua­li­fi­zieren würde. Seitdem schiele ich per­ma­nent auf Platz 7, der ja theo­re­tisch rei­chen würde.

Sie würden sich auf die Con­fe­rence League freuen?
Ja! Mitt­ler­weile schon. Unpo­pu­läre Mei­nung, aber die Con­fe­rence League kann ein totales Fuß­ball­ro­man­tiker-Tur­nier werden. Das kom­plette Gegen­teil zur über­kan­di­delten Cham­pions League. Dosen­bier vs. Moet Chandon. Der Wett­be­werb ist zwar Sym­ptom des modernen Fuß­balls, aber er kon­ter­ka­riert ihn irgendwie auch, weil kleine und ver­ges­sene Tra­di­ti­ons­klubs wieder in die K.O.-Phase ein­ziehen können. Die Con­fe­rence League bringt den deut­schen Klubs keine Kohle ein, aber für Fans könnte die Aus­sicht kaum besser sein: mög­li­cher­weise Aus­wärts­spiele in Por­tugal, Schott­land, Kroa­tien, Schweden und Irland. Halb­fi­nale viel­leicht gegen Verona, in Wien, Aber­deen, gegen Brann Bergen oder Metz. Ist doch super! Neue Leute, neues Bier.

Gegen­these: Das Pro­blem ist wie­dermal die UEFA. Denn der Uefa-Pokal war auch super, bis er Europa League getauft wurde, eine neue Hymne, ein neues Logo und ein Cor­po­rate Design bekam.
Völlig richtig. Des­halb mein Hin­weis an die UEFA: Ihr müsst die Fuß­ball­ro­man­tiker, die Brat­wurst- und Bier­lieb­haber, die Hipster diesmal mit­nehmen. Die Zuschauer, die es toll finden, wenn aus der Ritze eines Sta­di­on­dachs noch ein Gän­se­blüm­chen wächst. Weniger Auf­lagen im Sta­dion. Uns ein­fach mal machen lassen. Der Unique Sel­ling Point - um mal die Sprache des Geschäfts zu ver­wenden – wäre ein Wett­be­werb für echte Fuß­ball­fans. Und die Geld­typen spielen halt ihre Cham­pions League bald in New York aus. Wen inter­es­siert denn bitte noch die Cham­pions League? Man­chester City, Paris und Sevilla? Lang­weilt mich alles. Total 2019. Ich glaube, unter diesen Vor­aus­set­zungen könnte die Con­fe­rence League ein – Ach­tung! – kul­tiger Wett­be­werb werden.

Und Borussia Mön­chen­glad­bach bekommt dann Våler­enga Oslo zuge­lost …
… da sitze ich aber mal ganz sicher im Flug­zeug. Der Gedanke gefällt mir. Eher als dass ich mir ein Spiel in Donezk oder Bar­ce­lona angucke. Ich bin da nicht ganz dicht, das weiß ich auch. Aber das ist der Fuß­ball, den ich liebe. Was soll ich machen? Wichtig wäre nur, dass die Top-Teams ihre erste Elf ran lassen und nicht die U23 auf­stellen.

Und? Woran wird es schei­tern?
Es bräuchte erst einmal einen eigenen Spieltag, aber da ist ja gar kein Platz mehr im Kalender. Die Par­tien der Con­fe­rence League werden am Europa-League-Spieltag, also don­ners­tags, ange­pfiffen. Also werden nur die Anhänger der Ver­eine zusehen, die sich dort tum­meln. Das ist ein Pro­blem. Ich habe die Hoff­nung aber noch nicht auf­ge­geben, dass die Con­fe­rence League in all ihrer Beschis­sen­heit ein müde leuch­tendes Gegen­licht zum modernen Fuß­ball setzt. Und viel­leicht gewinnt sie dadurch an Charme. Als würde man im Tier­heim stehen und sich aus Mit­leid und Über­zeu­gung den Hund mit den drei Beinen aus­su­chen. Komm mit, wir kriegen das hin, Labrador kann jeder.