Kovac, Favre, Hütter, Streich? Quatsch, Friedhelm Funkel ist der Coach der Saison 2018/19. Jahrelang galt der 65-Jährige als Inbegriff des biederen Malochers, nun steht endgültig fest: Funkel ist einer der ganz Großen der Bundesliga-Geschichte.
„Wenn die Dame am Empfang morgens das erste Mal versehentlich vergisst, dich zu grüßen“, hat Friedhelm Funkel mal gesagt, „weißt du, dass es langsam eng wird.“ Damals war er gerade mit Eintracht Frankfurt in die Bundesliga zurückgekehrt. Die sechste Station seiner Trainerlaufbahn. Und offenbar ahnte er, dass ihm auch dieser Job nicht bis in alle Ewigkeit erhalten bleiben würde.
Das Anspruchsdenken in Traditionsklubs, das hat er leidvoll erfahren, ist meistens größer als die wirtschaftlichen und sportlichen Realitäten. Funkel wurde sechs Mal in seinem Leben entlassen, drei Mal trat er aus freien Stücken vom Amt zurück. Auch in Frankfurt, dem Verein, bei dem er mit am längsten in der Verantwortung war. Ihm wurde zum Verhängnis, dass das Umfeld des Klubs sich nicht mehr mit einem soliden Mittelfeldrang in der Erstklassigkeit zufrieden gab. Doch kaum hatte er sich höflich aus seinem Arbeitsverhältnis zurückgezogen, dockte die Eintracht nicht etwa an der Tabellenspitze an, sondern fand sich in der Zweitklassigkeit wieder.
So ist es vielen Klubs ergangen, die glaubten, der freundliche Neusser mit dem Panzerknacker-Bart entspräche nicht dem Maßstab eines großen, staatstragenden Trainers. Was auch immer das bedeuten soll.
Funkel war lange Zeit der Inbegriff des Malochers, des Retters und Problemlösers. Kam eine graue Maus in der ersten oder im oberen Drittel der zweiten Liga ins Straucheln, passte er plötzlich perfekt ins Anforderungsprofil. Merkmale: strukturiert, krisenerprobt, fleißig, erfolgsorientiert, nahbar und – bezahlbar. Doch sobald der Coach Klubs wie den 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt und zuletzt auch Fortuna Düsseldorf zurück in Tabellenregionen führte, die von Verantwortlichen offenbar als natürlicher Lebensraum missverstanden wurden, sank die Achtung vor den Leistungen des Friedhelm Funkel merklich.
„Er hat nie eine Show aus seinem Job gemacht“
Womöglich lag es daran, dass er trotz der veränderten Vorzeichen partout keine Allüren an den Tag legte und sich weiter mit der Beharrlichkeit eines Mechanikers Tag für Tag unter die Motorhaube seiner Mannschaft beugte, um an Stellschrauben zu drehen. Im Unterschied zu vielen Kollegen hat Friedhelm Funkel aus seiner Arbeit nie eine Show gemacht. Er hat sie einfach nur verrichtet: zuverlässig, ehrlich, unaufgeregt. Manchem in den Profiklubs, wo der Blutdruck euphorisch pulsierte, war diese Art des Umgangs offenbar suspekt. Zu bieder, zu altbacken, zu anachronistisch. Einer „vom alten Schlag“.
Zumal sich Funkel stets zu seiner Schlagerliebe bekannte und dazu, dass er im Karneval gern auf dem Wagen mitfährt. Dass er sich in seiner Freizeit zum Kartenspielen mit den alten Kumpels an der Cala Ratjada trifft und dort abends durch die Bars tingelt. Dass er vor Bundesligaspielen nicht mehr in die Kabine geht, weil ihm das „Bumm-bumm“ aus der Anlage dort auf die Nerven fällt und er es gerne sieht, wenn seine Spieler die Badelatschen auf die dafür vorgesehene Ablage unter der Sitzbank stellen. Funkel hat nie versucht, sich moderner, hipper oder eloquenter dazustellen, als er ist. Er war einfach nur: der Trainer.
Mit dieser Art ist es ihm gelungen, an keiner einzigen Station verbrannte Erde zu hinterlassen. So sehr man auch sucht, man findet keinen im deutschen Fußball, der schlecht über ihn redet. Wenn er sich von seinen Klubs verabschiedete, stellte er den Dienstwagen gewaschen und vollgetankt an der Geschäftsstelle ab. Er gab jedem Mitarbeiter artig die Hand und im Zweifel ist er auch – wenn er nichts mehr bewirken konnte – von sich aus zurückgetreten und hat den Klub von finanziellen Verpflichtungen ihm gegenüber befreit. Ein Ehrenmann. Eigenschaften, die ihn übrigens mit Jupp Heynckes verbinden. Noch so einer vom alten Schlag, der erst auf der Zielgerade seiner Trainerlaufbahn die Anerkennung erhielt, die ihm schon viel früher gebührt hätte.
Und auch das gehört zur Pflicht des Chronisten: Funkel ist der wohl letzte Trainer im deutschen Profigeschäft, der nicht darauf besteht, dass ihm Interviews zur Autorisierung vorgelegt werden. „Sie machen das schon“, sagt er beiläufig am Ende eines Gesprächs. Denn er wählt seine Worte sorgfältig, er neigt nicht zur Indiskretion und er hat etwas, das vielen in diesem Geschäft abgeht: Vertrauen. Er vertraut auf die Ehrlichkeit seines Gegenübers.
„Keiner im deutschen Profifußball hat mehr Spiele auf dem Buckel“
Nur ein einziges Mal wurde aktenkundig, dass Funkel eine Entscheidung mit Fassungslosigkeit quittierte. Als Fortuna Düsseldorf im Wintertrainingslager verkündete, seinen Vertrag nicht mehr zu verlängern. Da kamen nicht nur den Spielern die Tränen, sondern auch dem hartgesottenen Übungsleiter selbst. Trotz guter Aussichten auf den Klassenerhalt – so kam es wohl bei ihm an – war selbst dieser Verein nicht in der Lage oder gar Willens, eine tragkräftige Zukunftsvision mit ihm als verantwortlichem Coach zu entwickeln.
Offenbar sind Klubbosse einfach nicht in der Lage die Potentiale zu erkennen, die Funkel vereint: Schließlich hat kein deutscher Profitrainer mehr gesehen. Keiner ist öfter in die Bundesliga aufgestiegen (sechs Mal), keiner hat als Aktiver und Coach im bezahlten Fußball mehr Spiele auf dem Buckel (weit über 1300), kaum einer trainierte mehr Profiklubs (zehn). Mit dieser fetten Paket an Erfahrung ist es Funkel nun gelungen, Fortuna Düsseldorf bereits sechs Spieltage vor Saisonende vor dem Abstieg zu bewahren. Das Team mit dem zweitniedrigsten Etat der Bundesliga schloss auf Platz zehn ab, 16 Punkte vor dem Relegationsrang. Obwohl der Fortuna-Marktwert nur knapp ein Zehntel des FC-Bayern-Kaders beträgt, spielten die Düsseldorfer in der Allianz Arena unentschieden. Das Mastermind hinter all diesen Erfolgen: Friedhelm Funkel. Der nichts so sehr hasst, wie die Frage nach Konzepttrainern. Als ob ein Coach wie er kein Konzept habe.
Nun hat er angekündigt, dass Düsseldorf seine letzte Station sein wird. Er will reisen. Er will Karten spielen. Wahrscheinlich will er auch endlich in Ruhe Helene Fischer und Andrea Berg hören. Es wird also Zeit, ihm zu attestieren, dass er nicht nur die beständigste Kraft in einer von Unbeständigkeit geprägten Spielklasse ist, sondern eine prägende Persönlichkeit des Fußballs. Zeit zu sagen: Friedhelm Funkel ist ein großer Trainer. Und dass hoffentlich nie mehr vorkommt, dass eine Dame am Empfang versehentlich vergisst, ihm einen „Guten Morgen“ zu wünschen.