Die Profis spielen, die Amateure müssen zu Hause bleiben. Nur im Bezirk Weser/Ems trugen im Sommer neun Teams den Pokal aus – per Elfmeterschießen.
Dieser Artikel erschien erstmals in Ausgabe #225 und ist hier im Shop erhältlich.
Es gibt halt nur zwei Möglichkeiten. Das meinen jedenfalls die zehn Männer, die im niedersächsischen Nirgendwo hinter einem Bauzaun stehen, Bierflaschen aus Kühlboxen holen und auf einen Fußballplatz blicken, auf dem niemand spielt. „Entweder“, sagt Christoph Blanke aus einer Entfernung von fünf Metern und nimmt einen Schluck, „wir scheiden gleich aus. Oder wir holen das Ding.“
Die Männer stehen hier, weil auf diesem Platz die Pokalspiele des Bezirks Weser/Ems ausgetragen werden sollen, die seit der Corona-Krise nicht angepfiffen werden konnten. Mit neun Mannschaften, in einem sportlichen Wettkampf ohne Körperkontakt, der in zwei Stunden beendet ist. Wie das funktioniert? Im Elfmeterschießen, natürlich!
An einem Samstagmorgen im Juni, um 9.10 Uhr steht schon alles bereit. Das heißt in diesem Fall, auf der Anlage der Sportschule Lastrup: Ein Tor auf einem Kunstrasenplatz und das Werbebanner einer bekannten Brauerei sind aufgebaut. Viel mehr wird’s sowieso nicht brauchen. Obwohl: Am Eingang steht Stefan Brinker vom Bezirksspielausschuss, trägt Jeans, schwarzes Polohemd mit Verbandsemblem und deutet auf das Desinfektionsmittel. „Nicht vergessen, bitte.“ Etwas Anspannung ist ihm anzumerken, denn das, was Brinker und seine Verbandskollegen planen, ist Pionierarbeit.
Zwar spielen die Profivereine seit Mai wieder, doch für fast 150 000 Amateurvereine in Deutschland gelten noch immer strenge Regeln. Training nur mit Mindestabstand, Spiele sind ausgeschlossen. Die Ungeduld ist spürbar. Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hatte zum Restart der Bundesliga gesagt, dass er sich freue, dass die sportlichen Entscheidungen auf dem Platz und nicht am Grünen Tisch fallen würden. Da erklärten die ersten Landesverbände die Saison in den Amateurklassen gerade für beendet. Und die Pokale? Zur Hochphase der Corona-Krise hatten sich Stefan Brinker und Kollegen an einem Abend zur virtuellen Vorstandssitzung getroffen. Nach Verbindungs- und Tonproblemen sollten sie die Frage beantworten, die sich auch Politiker, Fußballjournalisten und Bäcker stellen: „Verdammt, wie geht’s weiter?“ Die Gewinner der Bezirkspokale treten nächstes Jahr im Landespokal an, die Sieger dort im DFB-Pokal. Und das jetzt auslosen? Ihre Antwort: „Wir machen das jetzt einfach.“
Aber einfach machen, das ist ein Problem. Vor allem für Niklas Budde vom VfR Voxtrup. Eine Dreiviertelstunde, bevor seine Mannschaft zum Elfmeterschießen gegen Altenoythe antreten soll, sucht der Schütze noch einen Ort, um sich zu erleichtern. Doch keine Toilette in Sicht, nicht einmal ein Vereinsheim, hinter dessen Mauer es sich kurz aushalten ließe. Budde zieht weiter.
Die Funktionäre haben in der hinteren Hälfte des Platzes Bereiche mit Fahnen abgesteckt. In denen sollen sich die neun Mannschaften getrennt voneinander aufhalten, Kontakt ist zu vermeiden. „Was machst du da jetzt?“, fragt ein Helfer einen anderen, der wahllos Plastikhütchen verteilt. „Hier kommen die Spieler rein.“ Also liegen nach kurzer Zeit vier gelbe und vier blaue Hütchen als Ecken zweier Quadrate auf dem vorderen Teil des Kunstrasens sowie getrennt davon ein rotes Hütchen. Da steht dann ein Schiedsrichter, erklärt der Helfer. Über hundert Elfmeter sollen geschossen werden, da ist Ordnung alles.
Nur ein Versuch: Fünf Teams scheiden beim ersten Elfmeterschießen aus – und fahren wieder nach Hause.
Kurz bevor das Turnier beginnt, stehen zwei Mannschaften auf dem Platz, vier Organisatoren und zwölf Medienvertreter. Der NDR hat ein Reporterteam geschickt, Ostfriesen-TV auch. Zuschauer dürfen nicht auf den Platz, weshalb Christoph Blanke, der sonst in Altenoythes Abwehr spielt, und die Mitgereisten hinter dem Bauzaun stehen.