Kratzen, kämpfen, beißen – das war gestern. Heute müssen Teams wie der FC Ingolstadt ordentlich Kritik für ihre Spielweise einstecken. Zu Recht?
Es ist gerade einmal vier Monate her, da lobte Mittelfeldspieler Lewis Holtby seine Hamburger Teamkameraden in einem Interview mit der „Welt“. Der HSV, der in den vergangenen zwei Saisons mit Ach und Krach dem Abstieg entgangen war, hatte eine akzeptable Hinrunde gespielt und schielte sogar ein wenig auf die Europa-League-Plätze.
Holtby sagte also voller Stolz: „Wir sind wieder giftig und eklig geworden.“ Eigenschaften, die eine spielerisch schwächere Mannschaft benötigt, um im alltäglichen Bundesliga-Geschäft zu überleben – genau das, was der Hamburger SV seit Jahren tut.
„Das ist eine ekelhafte Mannschaft“
Umso mehr verwundert es nun, wenn sich jener Hamburger SV nach dem 1:1 gegen Aufsteiger Ingolstadt über dessen Spielweise beschwert. „Das Auftreten von Ingolstadt ist ein Horror für die Bundesliga“, wütete HSV-Stürmer Josip Drmic unmittelbar nach Spielende in die Mikrofone und beschwerte sich über Ingolstadts „katastrophale Spielweise“. Und ein gewisser Lewis Holtby schimpfte nach dem Unentschieden am Samstag: „Das ist eine ekelhafte Mannschaft.“
Der FC Ingolstadt, der in seiner Premierensaison fleißig Punkte sammelt, sah sich vergangenes Wochenende nicht zum ersten Mal solcher Anschuldigungen ausgesetzt. Im November 2015 trotzte Ingolstadt favorisierten Gladbachern ebenfalls ein Unentschieden ab, es war Gladbachs erster Punktverlust nach zuvor sechs gewonnenen Spielen.
Ingolstadt habe „wenig zum Spiel beigetragen“ und sei häufig durch Provokationen aufgefallen, hieß es nachher auf Seiten der frustrierten Gladbacher. In der Spielanalyse fand allerdings keine Erwähnung, dass Ingolstadts Taktik, die spielerisch überlegenen Borussen früh zu stören und permanent zu beschäftigen, perfekt aufgegangen war.
Am vergangenen Samstag spielte sich also ein ähnliches Szenario ab. Ingolstadt musste sich nach dem Spiel ordentlich Kritik zur eigenen Spielweise anhören. Dabei hatten die Ingolstädter im Spiel gegen den HSV mehr Torabschlüsse, mehr Ballbesitz, mehr Eckbälle und wurden öfter gefoult. Dass Hamburg keine spielerischen Lösungen gegen die Ingolstädter fand, lässt vor allen Dingen zwei Schlüsse zu: Gute Taktik FCI, schlechte Spielanlage HSV.
„Sie spielen halt so, und ich glaube, dass das erlaubt ist“
Ingolstadts Sportdirektor Thomas Linke fasste das Verhalten der Hamburger Spieler nach dem Spiel passend zusammen: „Traurig, wie eigentlich so großartige Spieler immer wieder versuchen, Versäumnisse gegen Aufsteiger nach Abpfiff medial nachzuholen.“
Unterstützung bekamen die Kritisierten von Kölns-Trainer Peter Stöger. „Sie spielen halt so. Ich glaube, dass das erlaubt ist. Ich beschwere mich auch nicht über die Spielweise von Bayern – das ist auch nicht richtig angenehm“, sagte der Österreicher, der seit vielen Jahren ein enger Freund von Ingolstadt-Trainer Ralph Hasenhüttl ist.
Und sowieso: Wer kann allen Ernstes spielerisch unterlegenen Mannschaften vorwerfen, dass sie einen vermeintlich hässlichen Fußball dem Tiki-Taka-Hurra-Stil vorziehen? Der HSV müsste wissen, dass es genau so einen Spielstil braucht, wenn man mit aller Kraft die Liga halten will.