Seit Sead Kolasinac wieder auf dem Platz stehen darf, gewinnt Schalke 04 auch Spiele. Das liegt vor allem an seinem absurd-intensiven Einsatz.
Ein Risiko waren die Verantwortlichen der Schalker Jugendarbeit eingegangen, als sie 2011 den Deutsch-Bosnier Sead Kolasinac in den Pott holten. „Es gab Vorfälle bei seinen vorherigen Klubs. Wir haben ihm unmissverständlich klargemacht, was wir von ihm erwarten“, erinnerte sich später der sportliche Leiter Oliver Ruhnert. Und Kolasinac lieferte. Nur ein knappes Jahr später wurde die U19 zum dritten Mal Deutscher Meister in Königsblau.
Deutscher Meister 2011
Eine hoffnungsvolle Elf hatten Ruhnert und Trainer Norbert Elgert zusammengestellt. Da waren Kolasinac und Kaan Ayhan in der Defensive. Max Meyer wurde eingewechselt. Philipp Hofmann stand vorne drin und schoss das entscheidende 2:1 im Finale gegen den FC Bayern München. Auf der Gegenseite stand nur Alessandro Schöpf.
Auf der Gegenseite von Kolasinac steht Schöpf, so könnte man das sagen, heute immer noch. Seit dem sechsten Spieltag beackern beide Schalker die Außenbahnen.
Kurz nach der Deutschen Meisterschaft benannte sich das Jugendzentrum auf Schalke um. Knappenschmiede hielt jetzt als schmissiges Logo her. GEschmiedet – mit einer kleinen Hommage an das Gelsenkirchener Kennzeichen – werden sollten die neuen Talente. Mit Kolasinac, Ayhan oder Max Meyer, die allesamt zur ersten Mannschaft hochgezogen waren, standen erfolgreiche Vorbilder für die neuen Jahrgänge (Grüße an Leroy Sané) bereits zur Seite.
Das Steigerlied im Herzen
Von der Situation auf Schalke zu dieser Zeit profitiert der neue Coach Markus Weinzierl noch heute. Der vielgescholtene Jens Keller hatte damals ausreichend Mut, oder vielleicht auch einfach nichts mehr zu verlieren, um den A‑Jugendlichen eine Chance zu geben. Meyer, Ayhan und vor allem Kolasinac kamen zu ersten Einsätzen. Letzerer ersetzte Christian Fuchs als Linksverteidiger und verdrängte den planmäßigen Ersatz Sergio Escudero gen Getafe.
Er spielt auf der Außenbahn keine moderne Rolle. Er ist kein Filigranarbeiter, sondern dreckiger Malocher. Ein Mann, der das Steigerlied quasi im Herzen mit sich trägt. Auch in dieser Saison sieht man Kolasinac ein ums andere Mal dabei zu, wie ihm Bälle verspringen bei denen selbst D‑Jugendliche vom Trainer wutentbrannt in die Kabine geschickt werden.
Und es brauchte Zeit bis Markus Weinzierl die Qualitäten seines Spielers anerkannte. Nach einem schwachen Saisonauftakt gegen Frankfurt fand Kolasinac erst einmal auf der Bank Platz. Zu groß sind die Alternativen der Königsblauen, die erst im Sommer Wunschspieler Abdul Rahman Baba aus London geholt hatten. Erst nach weiteren vier Niederlagen, in denen die Defensivarbeit zeitweise einem einzigen Horrorfilm glich, bekam Kolasinac die nächste Chance. Und es funktionierte.
3−5−2 war der Schlüssel
Erst als Linksverteidiger in einer Viererkette beim 4:0‑Sieg über Borussia Mönchengladbach. Dann, nach einer weiteren taktischen Umbaumaßnahme Weinzierls, als Teil einer Fünferkette im neuen 3 – 5‑2-System. Denn für diese Idee benötigte Weinzierl zwei Außenspieler, die schnell und lauffreudig genug sind, um zugleich Überzahl in der Offensivbewegung als auch in der Defensive – wenn die Dreierkette zur Fünferkette wird – zu schaffen. Spieler, die hinten Bälle gewinnen und vorne schon wieder Tore schießen. Schöpf und Kolasinac können es beide auf knapp einen Kilometer reine Sprintdistanz pro Spiel bringen. Ein absurder Wert.
„Ich bin ein ekelhafter Gegenspieler“, bescheinigt sich derweil Kolasinac selbst. Im Derby gegen Dortmund bekam das vor allem Christian Pulisic zu spüren, der nach Abpfiff das Spielfeld frustriert und mit einigen königsblauen Flecken mehr verließ. Sein Gegenspieler Kolasinac dürfte die Gelbe Karte als hinreichendes Lob wahrgenommen haben. Es war das einzige Duell, das die Schalker seit dem 1:1 gegen Augsburg nicht als Sieger verließen. Und es dürfte klar sein, dass sie sich nach einem 0:0 in Dortmund trotzdem als Gewinner fühlten.
England wäre ein schwieriger Schritt
Kolasinac nimmt den Zweikampf an. Mit 2,8 Balleroberungen pro Spiel gehört der bosnische Nationalspieler zu den 30 besten Spielern der Liga – ebenso wie sein Pendant Alessandro Schöpf auf der linken Seite. Den Zweikampf gegen Baba hat er damit längst gewonnen. Es ist ein körperbetontes, physisch belastendes Spiel unter Weinzierl. Der Trainer weiß das und gönnte beiden Außenspielern in der Europa League zuletzt viele Pausen. Denn erst nach der Winterpause wird sich der wahre Wert der jetzigen Siegesserie herauskristallisieren.
Im Sommer würde der Vertrag des Geschmiedeten übrigens auslaufen. Bisher haben sich Sportdirektor Christian Heidel und Kolasinac nicht auf eine Verlängerung einigen können. Mit einem Wechsel nach England, wo seine Spielweise immer gefragt ist, wird spekuliert. Kolasinac machte jedoch kürzlich klar: „Man verlässt sein gesamtes Umfeld, muss etwas Neues aufbauen – ein schwieriger Schritt, den man sich sehr gut überlegen muss.“ Abschiedsgedanken klingen anders.