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Es ist trist auf dem Flur vor den Umklei­de­ka­binen. Ein leises Plät­schern aus den Dusch­räumen, sonst herrscht Stille. Die Luft­feuch­tig­keit ist hoch, wer hier lang läuft, kommt auto­ma­tisch ins Schwitzen. Am Ende des Kor­ri­dors liegt die Schieds­rich­ter­ka­bine, eng und spar­ta­nisch ein­ge­richtet. Auf einer schlichten Holz­bank sitzt Cem Yazir­lioglu. Er schnürt die Schuhe, schließt die Augen und geht noch mal in sich. Höchste Kon­zen­tra­tion. Dann steht er auf und ver­lässt die Kabine. Ein Schieds­richter wie jeder andere. Kein Schieds­richter wie jeder andere. Ein­sach­t­und­dreißig.

Cem Yazir­lioglu ist einer von 80 000 Fuß­ball­re­fe­rees in Deutsch­land. Der 23-Jäh­rige ist in Berlin geboren und auf­ge­wachsen, seine Wur­zeln hat er in der Türkei. Eine ganz nor­male Bio­grafie in der Haupt­stadt. Eines aller­dings ist an Cem beson­ders: Er ist der kleinste Schieds­richter Deutsch­lands. Jeder Mensch hat irgend­eine Art Han­dicap“, sagt er. Aber nicht jeder kann damit leben.“ Wenn Cem mit seinen 1,38 Metern Kör­per­größe in der Schieds­rich­ter­kluft und mit dem Spiel­ball in der Hand den Platz betritt, erntet er oft zwei­felnde Blicke. Wie will der denn alles sehen?“ Oder: Der kann sich doch gar nicht durch­setzen, der Kleine.“ Das sind Sätze, die er häufig zu hören bekommt. Doch solche Sprüche spornen ihn erst richtig an. Laut­stark macht er auf sich auf­merksam und fragt, ob der Schmuck abge­legt worden sei. Auch die Intim-Pier­cings?“ Gelächter unter den Spie­lern, durchaus gewollt. Oft baut Cem Yazir­lioglu einen Gag in die Begrü­ßung der Sportler ein, um die Stim­mung zu lockern. So möchte er von sich und seiner Statur ablenken, und auch seinem Gegen­über die Ver­un­si­che­rung nehmen. Trotzdem macht er von Beginn an klar, wer hier die Auto­rität auf dem Platz ist. 

Er benö­tigt mehr Schritte als andere

Ich habe eine klare Linie. Mecke­reien ahnde ich umge­hend mit der Gelben Karte, ver­standen?“ Dann pfeift er an. Gleich zu Beginn ein Konter – jetzt geht es schnell. Der Referee muss immer auf Ball­höhe sein, und dazu benö­tigt Cem viel mehr Schritte als die Spieler oder andere Schieds­richter. Topfit muss er des­halb sein, und das ist er. Der Angriff ver­pufft, weil ein Stürmer im Abseits steht. Gut gesehen, Schiri! Yazir­lioglu, der einer christ­li­chen tür­ki­schen Gemeinde ange­hört, lebt von seinem Selbst­be­wusst­sein. Er beschreibt sich selbst als lus­tigen und lebens­frohen jungen Mann, der sagt, was er denkt“. Wenn er etwas nicht will, dann ist das Mit­leid. Wofür denn? Es gibt viele, die nicht das machen können, was ich mache.“

Der Ber­liner ordnet den Waren­ver­kehr in einem Ber­liner Restau­rant und ist als Fernseh- und Opern­kom­parse gefragt. Hypo­chon­dro­plasie ist die häu­figste Form des Klein­wuchses und erb­lich. Als Cems Spiel­ka­me­raden mit den Jahren immer größer wurden und er weiter klein blieb, kam ihm eine erste Ahnung. Sein eben­falls klein­wüch­siger Vater nahm ihn dann oft an die Hand und ging mit ihm spa­zieren. Cem sollte so früh wie mög­lich lernen, wie es ist, beob­achtet zu werden. Heute mag er das Leben im Ram­pen­licht.

Plötz­lich Auf­re­gung auf dem Platz: Nach einem ver­meint­li­chen Foul im Straf­raum erfolgt zum Leid­wesen des Angrei­fers kein Elf­me­ter­pfiff. Für das fol­gende Gezeter hat der Pfei­fen­mann kein Ohr und zückt umge­hend die Gelbe Karte. Klare Linie. 

Um den Über­blick zu behalten, braucht er andere Stra­te­gien

Cem Yazir­lioglu ist Schieds­richter geworden, weil er ein Fuß­ball-Junkie“ ist, wie er selbst sagt. Das Fuß­ball-ABC lernte er bei den D‑Junioren des Ber­liner SV 92, von dort ging es weiter zu Hertha Zehlen­dorf. Seine Mit- und Gegen­spieler wuchsen aller­dings immer weiter, wes­halb er in der C‑Jugend seinen Stamm­platz verlor. Beson­ders bei hohen Bällen sah ich schlecht aus“, erin­nert er sich. Also schlug er einen anderen Weg ein, ohne seine große Liebe, den Fuß­ball, zu ver­raten. Um auf dem Platz den Über­blick zu behalten, muss Schieds­richter Yazir­lioglu andere Stra­te­gien anwenden als die übrigen Pfei­fen­leute. Wäre er noch näher dran am Geschehen, würde er unmit­telbar in den Clinch um das Leder invol­viert. Als gelernter Innen­ver­tei­diger scheut er den Kör­per­kon­takt jedoch nicht, und wenn er doch mal den Ball berührt: Der Schiri ist Luft.

Cems Ziel ist es, irgend­wann in der Regio­nal­liga Spiele zu leiten. Unmög­lich ist das nicht. 2005 hat er den Schieds­rich­ter­schein gemacht und sich bereits von der Jugend bis zur Lei­tung von Her­ren­spielen hoch­ge­ar­beitet. In der Ber­liner Lan­des­liga war er des Öfteren als Assis­tent mit von der Partie. Regel­mäßig nimmt er an Fort­bil­dungs­abenden teil, die der FIFA-Schieds­richter Manuel Gräfe leitet. Cem ist eine sehr posi­tive Erschei­nung im Schieds­rich­ter­wesen“, lobt Gräfe. Der Junge geht seinen Weg.“

Hier ein Plausch, da ein Lacher

Das Spiel ist aus. Nur eine Gelbe Karte hat es gegeben, und die wegen Meckerns. Die Akteure beglück­wün­schen Cem zu einer sou­ve­ränen Leis­tung. Mit breiter Brust ver­lässt er den Rasen und geht zurück in seine Kabine. Hier ein Plausch, dort ein Lacher. Plötz­lich wirkt es gar nicht mehr so trist und einsam da unten. Cem Yazir­lioglu geht unter die Dusche. Und irgendwie fühlt er sich unter dem wär­menden Strahl richtig gut.