Er ist nicht gerade der Talentierteste und trotzdem Grund und Hoffnung für Islands EM-Teilnahme – was auch am Schicksal seines Bruders liegt.
Bielefeld.
Island hat so viele Einwohner wie Bielefeld. Und sich für die Europameisterschaft qualifiziert. Und das nicht mal, weil das Turnier inzwischen so aufgebläht ist wie das Dekolleté irgendeiner blondierten RTL2-Hohlbirne, die ihre Karriere mit Vorschubfinanzierung beim Schönheitschirurgen in Gang bringt. Sondern schlicht, weil sie in ihrer Qualifikationsgruppe A besser waren als die Türkei, als Kasachstan, als Lettland – und als die Niederlande.
Das liegt am schwedischen Trainer, an Lars Lagerbäck. Der es einst schon mit der Nationalelf seiner Heimat geschafft hatte, ein Kollektiv auf den Rasen zu bringen, das man erstmal bezwingen muss. Und an Spielern wie Gylfi Sigurdsson, ehemals Hoffenheim, Augsburgs Alfred Finnbogason und Kolbeinn Sigthorsson. Dieser gelebten Lautmalerei eines Stürmers. Auch wenn sein Name unter dem Wörterbuchmikroskop nichts weiter bedeutet als: Sohn des Selbst-Donnerers.
„Alter, niemals! Krass, drin“
Dabei ist Islands Nummer elf alles andere als der althergebrachte Phänotyp eines egozentrischen Knipsers. Dafür ist Sigthorsson, mit Verlaub, auch viel zu untalentiert. Die Stärken, die er in das Spiel einbringt, sind nicht gerade die typischen Merkmale eines Ausnahmespielers. Wer auf Übersteiger, Dribblings und Traumtore steht, sollte um sein Spiel einen weiten Bogen schlagen.
Wer es hingegen ehrlich mag, wer auf Einsatz, Wille und den Glauben daran, dass Qualität tatsächlich von quälen kommt, steht, sollte schleunigst Sigthorsson-Fanboy werden. Einem Spieler, der nicht mit dem Ball spielt, sondern um ihn kämpft. Der ihn ins Tor arbeitet. Je mehr Gewimmel sich dabei um ihn herum entwickelt, desto besser. Die typische, innere Kommentatoren-Stimme, die bei Sigthorsson-Toren immer auch irgendwie mitläuft, klingt ungefähr so: „Oh, Alter, niemals! Das muss doch wehtun. Krass, drin.“
Sternchen im Schatten seines Bruders
Dabei läuft das mit dem Tore schießen in jüngster Vergangenheit eher so mittelprächtig. Bei seinem aktuellen Verein, dem FC Nantes, 14. der abgelaufenen Ligue-1-Saison, waren es schlappe drei Saisontore. Bei 26 Einsätzen. Auch bei seinem vorigen Verein, Ajax Amsterdam, firmierte Sigthorsson nicht gerade unter dem Etikett Torgarant.
In einer Liga wie der holländischen Eredivisie, in der traditionell viele Tore fallen, sind drei Mal sieben und ein Mal zehn Saisontore kein Gütesiegel der Extraklasse. Nur bei seiner ersten Station fernab der nordischen Heimat, bei AZ Alkmaar, lief es mit 15 Toren in 32 Spielen überdurchschnittlich. Genug, dass Ajax nach nur einer Saison für den damals 21 Jahre alten Stürmer immerhin vier Millionen Euro hinblätterte. Nicht schlecht für einen, der bei HK Kópavogs seine ersten Profischritte unternahm und für überschaubare 150.000 Euro nach Holland transferiert wurde.
Auch wenn er da in seiner Heimat längst ein Sternchen war. Was, zugegeben, auch daran liegt, dass Island nun einmal verdammt nochmal die Einwohnerzahl von Bielefeld deckelt. Da hebt man sich schnell von der überschaubaren Masse ab. Und an den sieben Toren in zwölf Spielen, die Sigthórsson für die isländische U17 markierte.
Da schießen selbst im nüchternen Norden schnell Wunderkind-Superlative in den Blätterwald. Und so musste er schon Autogramme schreiben, als er noch Schulkind war. Nicht leicht für den Sohn eines Bäckers, dessen älterer Bruder bereits eine ähnliche Geschichte durchlebt hatte.