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Tony Hib­bert bestritt über 300 Spiele für Everton – ohne ein ein­ziges Tor zu erzielen. Die Fans riefen: Wenn Hibbo trifft, rasten wir aus.“ Dann kam der 8. August 2012. Über diese beson­dere Geschichte lest ihr in unserem neuen 11FREUNDE SPE­ZIAL Tore“. In diesem Inter­view spricht Hib­bert über seine ewige Treue zu seinem Verein.



Tony Hib­bert, gab es in Ihrer Familie eher Liver­pool- oder Everton-Fans?
Hier in Liver­pool sind viele Fami­lien durch­mischt. Lus­ti­ger­weise war mein Vater ein wirk­lich extremer Liver­pool-Fan, hat mich aber nie zu den Spielen mit­ge­nommen. Also schleppten mich meine Onkel in Ever­tons Goodison Park. Und kurz darauf hat der Klub mich in die Jugend­aka­demie geholt. Wes­wegen meine Onkel natür­lich total aus dem Häus­chen waren.

Wie würden Sie die Riva­lität der beiden Klubs beschreiben?
Als Fan hat es sich über die Jahre nor­ma­li­siert, nun können Fami­lien aus beiden Lagern zusammen zu den Spielen gehen. Früher, in den acht­ziger und neun­ziger Jahren, da war die Riva­lität schon sehr ver­bit­tert und der Besuch von Spielen unan­ge­nehm. In der heu­tigen Zeit hat es sich etwas beru­higt. Das Ver­hältnis ist eigent­lich wieder so, wie es ganz früher war, als beide Ver­eine durch dick und dünn gingen. Da stand die Stadt an erster Stelle, nicht der Klub.

Sie sagten, die Riva­lität sei früher ver­bit­tert gewesen. Wie meinen Sie das?
Überall wim­melte es vor Aus­ein­an­der­set­zungen und Kämpfen. Jede Begeg­nung war von einer gewissen Bös­ar­tig­keit geprägt. Im Sta­dion und außer­halb hat man davon immer etwas gesehen, auch wenn ich per­sön­lich nie ange­griffen worden bin. Es war schlicht unan­ge­nehm, zu den Spielen zu gehen.

Wie erlebten Sie die Derbys als Spieler?
Wenn der Spiel­plan rauskam, haben wir immer zuerst geschaut, wann wir gegen Liver­pool spielen. Hier im Verein arbeiten so viele Leute aus der Gegend, du kannst der ganzen Auf­re­gung als Spieler vor dem Mer­sey­side-Derby nicht ent­gehen. Das Krib­beln beginnt am Montag vor dem Spiel und stei­gert sich dann täg­lich. Ich muss zugeben, es war auch ein Gefühl der Angst dabei. Angst, dass du das wich­tigste Spiel der Saison ver­lierst. Gleich­zeitig ein Gefühl von Stolz und Vor­freude, die anderen mit einem Spiel weg­zu­ke­geln. Sehr gemischte Emo­tionen also.

Sie liefen mit Steven Ger­rard zusammen in der Schul­mann­schaft auf. Waren Sie mit­ein­ander befreundet?
Wir beide wuchsen in dem Bezirk Huyton auf, unsere Fami­lien kennen sich. Steven war eine Stufe über mir, in der Schul­mann­schaft spielten wir dann zusammen, das stimmt. Manchmal schrieben wir uns wäh­rend der Kar­riere SMS, hatten aber gene­rell nicht mehr viel Kon­takt, denn klar: Ich spielte immer für Everton, er für Liver­pool. Da stoppte der Aus­tausch natur­gemäß. Aber ver­stehen Sie mich nicht falsch: Wir kommen gut mit­ein­ander klar, und wenn wir uns auf der Straße sähen, würden wir mit Sicher­heit ein paar freund­liche Worte wech­seln.

Sie debü­tierten mit 19 Jahren für Everton FC. Waren Sie beson­ders nervös, als Fan für Ihre Lieb­lings­mann­schaft auf­zu­laufen?
Um ehr­lich zu sein, hatte ich gar nicht die Zeit dafür, nervös zu werden. Wir spielten am Don­nerstag mit der zweiten Mann­schaft, am Freitag wurde ich dazu berufen, mit der Ersten Mann­schaft zum Aus­wärts­spiel mit­zu­fahren. Das war erst einmal nichts Unge­wöhn­li­ches, ich wurde häu­figer ein­ge­laden, ohne zu spielen. Doch am Sams­tag­morgen bat mich der Trainer Walter Smith dann zu einem Gespräch. Er fragte: Wir fühlst du dich?“ – Ich sagte: Ok“. Er sagte: Ok.“ Erst nach einigen Minuten wurde mir klar, dass er mich von Beginn an spielen lassen wollte. Das kam so über­ra­schend, dass ich nie­mandem Bescheid geben konnte. Keiner aus meiner Familie hat mein Debüt gesehen. Es war ver­rückt, ich wurde sogar panisch. Aber wenn du den Rasen betrittst, ver­fliegt das auch schnell.

In diesen Jahren um 2000 herrschte noch eine klare Hier­ar­chie in den Mann­schaften. Wie war es damals für Sie, als Rookie in die Elf zu kommen?
Natür­lich haben die älteren Spieler ver­sucht, mich auf den Arm zu nehmen. Auf der Fahrt vom Hotel zum Sta­dion setzte sich einer der Mit­spieler hinter mich und redete die ganze Zeit in mein Ohr: Oh, du bist nervös. Ver­dammt noch mal, bist du nervös.“ Das sind nun mal die übli­chen Witze. Gene­rell waren aber die Eta­blierten wie Duncan Fer­guson sehr hilfs­be­reit. Ich selbst habe zwar nie woan­ders gespielt, aber viele Neu­zu­gänge haben mir gesagt, wie sehr sie das Fami­liäre bei Everton schätzen. Ich emp­fand die Atmo­sphäre auch immer als etwas Beson­deres.

Spielten Sie auch mit Kol­legen zusammen, die Sie als Kind ver­ehrt hatten?
Es gab immer nur einen Spieler, dem ich nach­ei­fern wollte: Joe Par­kinson. Mit ihm habe ich leider nie zusammen gespielt, weil er vor meinen Debüt auf­grund von vielen Ver­let­zungen seine Kar­riere beenden musste. Ich hatte eigent­lich auch nie große Idole, als ich in der Jugend spielte. Ich habe meinem Vater zuge­sehen, als er in der Sunday League spielte. Das war für mich das Größte, nicht die Cham­pions League oder so.

Hätten Sie sich damals träumen lassen, Ihre ganze Kar­riere bei Everton zu ver­bringen?
Mag sich komisch anhören, aber: Ja. Ich habe mir nie gedacht: Ok, du bleibst jetzt zwölf Jahre hier. Doch in mir drin war immer das Gefühl, dass ich hier nie­mals weg­gehen möchte. Ich hätte es wohl nicht übers Herz bringen können.

Gab es auch mal Ange­bote von anderen Ver­einen?
Ja, zwei Mal. Sie riefen bei mir an, aber ich habe direkt bei diesem ersten Gespräch abge­sagt. Es kam also nie zu echten Ver­hand­lungen mit einem anderen Klub.

In Deutsch­land gibt es das Sprich­wort: Der Pro­phet gilt nichts im eigenen Land.“ Glauben Sie, dass die Funk­tio­näre bei Everton bei­spiels­weise bei Ver­trags­ge­sprä­chen gedacht haben: Ach, Tony, der bleibt sowieso hier.“
Nein, ich habe Everton immer respek­tiert – und Everton mich. Ich glaube nicht, dass sie mich bei Ver­trags­ge­sprä­chen mal hoch­ge­nommen haben. Sie haben mich und meinen Ein­satz nie als selbst­ver­ständ­lich ange­sehen. (Lacht.) Das glaube ich zumin­dest.

Kennen Sie nach all den Jahren im Verein eigent­lich auch den Post­boten beim Namen?
Es heißt, ich wäre ein Teil der Möbel bei Everton, aber seinen Namen kenne ich leider nicht.

Wie würden Sie den Klub einem Fremden erklären?
Zunächst einmal würde ich von den Fans erzählen. Es ist hart, sie für sich zu gewinnen. Du kannst alle Tricks dieser Welt beherr­schen, der schnellste Spieler sein, das bringt dir erst einmal nicht viel. Solange du ihnen nicht zeigen kannst, dass du für sie arbei­test und ihr Trikot mit Stolz trägst, machen sie dich runter, sie buhen dich aus. Du musst alles geben, nicht mehr und nicht weniger. Dann erst würde ich in die His­torie gehen und dar­über erzählen, was Everton alles erreicht und gewonnen hat. Aber noch mal: Das Wich­tigste hier sind die Fans.

Wann haben Sie per­sön­lich die Fans für sich gewonnen?
Ich weiß nicht so recht. Eigent­lich musste ich mich jedes Spiel aufs Neue beweisen. Die Leute hier halten mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg zurück. Wenn du schlecht gespielt hast, sagen sie dir das ins Gesicht – das war auch bei mir so. Da spielt es keine Rolle, dass ich von hier stamme. Die Fans zahlen einen großen Preis dafür, die Spiele zu sehen. Sie haben also jedes Recht dazu, dir auf die Finger zu hauen.

Sie spielten über eine Dekade lang für Everton. Wer war der beste Spieler, den Sie hier erlebt haben?
Es war groß­artig, mit Paul Gas­coigne zusammen zu spielen. Auch wenn er damals schon seinen Höhe­punkt hinter sich hatte. Er war immer noch ein Genie am Ball, ein­fach unglaub­lich. Und vor allem außer­halb des Platzes der net­teste Typ, den du dir vor­stellen kannst. Die Leute ver­stehen ein­fach nicht, wie nett er tat­säch­lich war. Viel­leicht hat diese Eigen­schaft zu seinem tiefen Fall bei­getragen, weil er zu gut­mütig und gut­gläubig war. Er hätte dir alles geschenkt, was er hat, um dir eine Freude zu machen. Außerdem war Big Fergie (Duncan Fer­guson, die Red.) unglaub­lich am Ball, David Ginola, Wayne Rooney – diese Jungs habe ich gesehen und war vom ersten Moment an von den Socken.

Haben Sie echte Freund­schaften wäh­rend Ihrer Kar­riere geschlossen?
Leon Osman und ich sind zusammen auf­ge­wachsen und haben gemeinsam den Durch­bruch geschafft – also sind wir immer in Kon­takt geblieben. Unsere Fami­lien kennen sich gut. Wir sind schon echte Freunde. Doch im Fuß­ball gibt es ein stän­diges Kommen und Gehen, des­wegen ist diese beson­dere Ver­bin­dung zuein­ander sehr selten.

Ihr Ende bei Everton soll nicht gerade ange­nehm ver­laufen sein. Sie und Osman erfuhren von Ihrem Ver­trags­ende angeb­lich durch eine Mel­dung auf der Home­page.
Roberto Mar­tinez war damals der Trainer. Er wollte sich um alle Ver­träge im Sommer küm­mern, er ver­schob es immer wieder – und wurde dann ent­lassen. Also gab es in dieser Zeit eine Lücke im Ver­ant­wor­tungs­be­reich, um es mal so zu sagen. Nie­mand vom Klub sprach mit mir und Osman. Meine Frau rief mich an und erzählte mir von dieser Mel­dung im Internet. Ich muss sagen: Das hat mich sehr traurig gemacht. Keiner konnte mir eine Ant­wort geben, was mit mir pas­sieren würde. Ende Juni fand ich also heraus, dass mich nie­mand mehr wollte. Ich hatte nicht mal mehr die Chance, mich zu ver­ab­schieden. Wenn man mir sechs Wochen vorher gesagt hätte, dass mein Ver­trag nicht ver­län­gert werden würde, dann hätte ich gesagt: Ok, das war’s.“ Und hätte jedem im Verein die Hand geschüt­telt.



Gab es danach Pläne, dass Sie noch einmal für den Klub arbeiten?

Nein, auch dar­über hat nie­mand mit mir gespro­chen.

Heute fischen Sie also nur noch?
Ja, ich habe ein altes Haus an einem See in Frank­reich gepachtet. Dort kann ich wun­derbar angeln. Leider war ich seit dem ver­gan­genen Sommer nicht mehr drüben. In Deutsch­land ist das Fischen auch beliebt, oder?

Oh ja, sehr.
Ich muss mal nach Deutsch­land kommen zum Fischen. Bei euch soll man wun­derbar Karpfen fangen können. Dann habe ich noch etwas vor.

Inter­views mit Berg­kamp und Fjört­foft, Repor­tagen über Mara­dona und Messi, Texte von Valdano und Ricken. Das und vieles mehr in: 11FREUNDE SPE­ZIAL Tore“. Ab morgen am Kiosk, jetzt schon bei uns im Shop und in digi­taler Ver­sion für Android und iOS.