Als Kind feuerte er Everton auf der Tribüne an, dann spielte er 26 Jahre für den Klub: Tony Hibbert erzählt von seiner ewigen Treue und den Tagen mit Gazza, Rooney und Gerrard.
Tony Hibbert bestritt über 300 Spiele für Everton – ohne ein einziges Tor zu erzielen. Die Fans riefen: „Wenn Hibbo trifft, rasten wir aus.“ Dann kam der 8. August 2012. Über diese besondere Geschichte lest ihr in unserem neuen 11FREUNDE SPEZIAL „Tore“. In diesem Interview spricht Hibbert über seine ewige Treue zu seinem Verein.
Tony Hibbert, gab es in Ihrer Familie eher Liverpool- oder Everton-Fans?
Hier in Liverpool sind viele Familien durchmischt. Lustigerweise war mein Vater ein wirklich extremer Liverpool-Fan, hat mich aber nie zu den Spielen mitgenommen. Also schleppten mich meine Onkel in Evertons Goodison Park. Und kurz darauf hat der Klub mich in die Jugendakademie geholt. Weswegen meine Onkel natürlich total aus dem Häuschen waren.
Wie würden Sie die Rivalität der beiden Klubs beschreiben?
Als Fan hat es sich über die Jahre normalisiert, nun können Familien aus beiden Lagern zusammen zu den Spielen gehen. Früher, in den achtziger und neunziger Jahren, da war die Rivalität schon sehr verbittert und der Besuch von Spielen unangenehm. In der heutigen Zeit hat es sich etwas beruhigt. Das Verhältnis ist eigentlich wieder so, wie es ganz früher war, als beide Vereine durch dick und dünn gingen. Da stand die Stadt an erster Stelle, nicht der Klub.
Sie sagten, die Rivalität sei früher verbittert gewesen. Wie meinen Sie das?
Überall wimmelte es vor Auseinandersetzungen und Kämpfen. Jede Begegnung war von einer gewissen Bösartigkeit geprägt. Im Stadion und außerhalb hat man davon immer etwas gesehen, auch wenn ich persönlich nie angegriffen worden bin. Es war schlicht unangenehm, zu den Spielen zu gehen.
Wie erlebten Sie die Derbys als Spieler?
Wenn der Spielplan rauskam, haben wir immer zuerst geschaut, wann wir gegen Liverpool spielen. Hier im Verein arbeiten so viele Leute aus der Gegend, du kannst der ganzen Aufregung als Spieler vor dem Merseyside-Derby nicht entgehen. Das Kribbeln beginnt am Montag vor dem Spiel und steigert sich dann täglich. Ich muss zugeben, es war auch ein Gefühl der Angst dabei. Angst, dass du das wichtigste Spiel der Saison verlierst. Gleichzeitig ein Gefühl von Stolz und Vorfreude, die anderen mit einem Spiel wegzukegeln. Sehr gemischte Emotionen also.
Sie liefen mit Steven Gerrard zusammen in der Schulmannschaft auf. Waren Sie miteinander befreundet?
Wir beide wuchsen in dem Bezirk Huyton auf, unsere Familien kennen sich. Steven war eine Stufe über mir, in der Schulmannschaft spielten wir dann zusammen, das stimmt. Manchmal schrieben wir uns während der Karriere SMS, hatten aber generell nicht mehr viel Kontakt, denn klar: Ich spielte immer für Everton, er für Liverpool. Da stoppte der Austausch naturgemäß. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Wir kommen gut miteinander klar, und wenn wir uns auf der Straße sähen, würden wir mit Sicherheit ein paar freundliche Worte wechseln.
Sie debütierten mit 19 Jahren für Everton FC. Waren Sie besonders nervös, als Fan für Ihre Lieblingsmannschaft aufzulaufen?
Um ehrlich zu sein, hatte ich gar nicht die Zeit dafür, nervös zu werden. Wir spielten am Donnerstag mit der zweiten Mannschaft, am Freitag wurde ich dazu berufen, mit der Ersten Mannschaft zum Auswärtsspiel mitzufahren. Das war erst einmal nichts Ungewöhnliches, ich wurde häufiger eingeladen, ohne zu spielen. Doch am Samstagmorgen bat mich der Trainer Walter Smith dann zu einem Gespräch. Er fragte: „Wir fühlst du dich?“ – Ich sagte: „Ok“. Er sagte: „Ok.“ Erst nach einigen Minuten wurde mir klar, dass er mich von Beginn an spielen lassen wollte. Das kam so überraschend, dass ich niemandem Bescheid geben konnte. Keiner aus meiner Familie hat mein Debüt gesehen. Es war verrückt, ich wurde sogar panisch. Aber wenn du den Rasen betrittst, verfliegt das auch schnell.
In diesen Jahren um 2000 herrschte noch eine klare Hierarchie in den Mannschaften. Wie war es damals für Sie, als Rookie in die Elf zu kommen?
Natürlich haben die älteren Spieler versucht, mich auf den Arm zu nehmen. Auf der Fahrt vom Hotel zum Stadion setzte sich einer der Mitspieler hinter mich und redete die ganze Zeit in mein Ohr: „Oh, du bist nervös. Verdammt noch mal, bist du nervös.“ Das sind nun mal die üblichen Witze. Generell waren aber die Etablierten wie Duncan Ferguson sehr hilfsbereit. Ich selbst habe zwar nie woanders gespielt, aber viele Neuzugänge haben mir gesagt, wie sehr sie das Familiäre bei Everton schätzen. Ich empfand die Atmosphäre auch immer als etwas Besonderes.
Spielten Sie auch mit Kollegen zusammen, die Sie als Kind verehrt hatten?
Es gab immer nur einen Spieler, dem ich nacheifern wollte: Joe Parkinson. Mit ihm habe ich leider nie zusammen gespielt, weil er vor meinen Debüt aufgrund von vielen Verletzungen seine Karriere beenden musste. Ich hatte eigentlich auch nie große Idole, als ich in der Jugend spielte. Ich habe meinem Vater zugesehen, als er in der Sunday League spielte. Das war für mich das Größte, nicht die Champions League oder so.
Hätten Sie sich damals träumen lassen, Ihre ganze Karriere bei Everton zu verbringen?
Mag sich komisch anhören, aber: Ja. Ich habe mir nie gedacht: Ok, du bleibst jetzt zwölf Jahre hier. Doch in mir drin war immer das Gefühl, dass ich hier niemals weggehen möchte. Ich hätte es wohl nicht übers Herz bringen können.
Gab es auch mal Angebote von anderen Vereinen?
Ja, zwei Mal. Sie riefen bei mir an, aber ich habe direkt bei diesem ersten Gespräch abgesagt. Es kam also nie zu echten Verhandlungen mit einem anderen Klub.
In Deutschland gibt es das Sprichwort: „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.“ Glauben Sie, dass die Funktionäre bei Everton beispielsweise bei Vertragsgesprächen gedacht haben: „Ach, Tony, der bleibt sowieso hier.“
Nein, ich habe Everton immer respektiert – und Everton mich. Ich glaube nicht, dass sie mich bei Vertragsgesprächen mal hochgenommen haben. Sie haben mich und meinen Einsatz nie als selbstverständlich angesehen. (Lacht.) Das glaube ich zumindest.
Kennen Sie nach all den Jahren im Verein eigentlich auch den Postboten beim Namen?
Es heißt, ich wäre ein Teil der Möbel bei Everton, aber seinen Namen kenne ich leider nicht.
Wie würden Sie den Klub einem Fremden erklären?
Zunächst einmal würde ich von den Fans erzählen. Es ist hart, sie für sich zu gewinnen. Du kannst alle Tricks dieser Welt beherrschen, der schnellste Spieler sein, das bringt dir erst einmal nicht viel. Solange du ihnen nicht zeigen kannst, dass du für sie arbeitest und ihr Trikot mit Stolz trägst, machen sie dich runter, sie buhen dich aus. Du musst alles geben, nicht mehr und nicht weniger. Dann erst würde ich in die Historie gehen und darüber erzählen, was Everton alles erreicht und gewonnen hat. Aber noch mal: Das Wichtigste hier sind die Fans.
Wann haben Sie persönlich die Fans für sich gewonnen?
Ich weiß nicht so recht. Eigentlich musste ich mich jedes Spiel aufs Neue beweisen. Die Leute hier halten mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg zurück. Wenn du schlecht gespielt hast, sagen sie dir das ins Gesicht – das war auch bei mir so. Da spielt es keine Rolle, dass ich von hier stamme. Die Fans zahlen einen großen Preis dafür, die Spiele zu sehen. Sie haben also jedes Recht dazu, dir auf die Finger zu hauen.
Sie spielten über eine Dekade lang für Everton. Wer war der beste Spieler, den Sie hier erlebt haben?
Es war großartig, mit Paul Gascoigne zusammen zu spielen. Auch wenn er damals schon seinen Höhepunkt hinter sich hatte. Er war immer noch ein Genie am Ball, einfach unglaublich. Und vor allem außerhalb des Platzes der netteste Typ, den du dir vorstellen kannst. Die Leute verstehen einfach nicht, wie nett er tatsächlich war. Vielleicht hat diese Eigenschaft zu seinem tiefen Fall beigetragen, weil er zu gutmütig und gutgläubig war. Er hätte dir alles geschenkt, was er hat, um dir eine Freude zu machen. Außerdem war Big Fergie (Duncan Ferguson, die Red.) unglaublich am Ball, David Ginola, Wayne Rooney – diese Jungs habe ich gesehen und war vom ersten Moment an von den Socken.
Haben Sie echte Freundschaften während Ihrer Karriere geschlossen?
Leon Osman und ich sind zusammen aufgewachsen und haben gemeinsam den Durchbruch geschafft – also sind wir immer in Kontakt geblieben. Unsere Familien kennen sich gut. Wir sind schon echte Freunde. Doch im Fußball gibt es ein ständiges Kommen und Gehen, deswegen ist diese besondere Verbindung zueinander sehr selten.
Ihr Ende bei Everton soll nicht gerade angenehm verlaufen sein. Sie und Osman erfuhren von Ihrem Vertragsende angeblich durch eine Meldung auf der Homepage.
Roberto Martinez war damals der Trainer. Er wollte sich um alle Verträge im Sommer kümmern, er verschob es immer wieder – und wurde dann entlassen. Also gab es in dieser Zeit eine Lücke im Verantwortungsbereich, um es mal so zu sagen. Niemand vom Klub sprach mit mir und Osman. Meine Frau rief mich an und erzählte mir von dieser Meldung im Internet. Ich muss sagen: Das hat mich sehr traurig gemacht. Keiner konnte mir eine Antwort geben, was mit mir passieren würde. Ende Juni fand ich also heraus, dass mich niemand mehr wollte. Ich hatte nicht mal mehr die Chance, mich zu verabschieden. Wenn man mir sechs Wochen vorher gesagt hätte, dass mein Vertrag nicht verlängert werden würde, dann hätte ich gesagt: „Ok, das war’s.“ Und hätte jedem im Verein die Hand geschüttelt.
Gab es danach Pläne, dass Sie noch einmal für den Klub arbeiten?
Nein, auch darüber hat niemand mit mir gesprochen.
Heute fischen Sie also nur noch?
Ja, ich habe ein altes Haus an einem See in Frankreich gepachtet. Dort kann ich wunderbar angeln. Leider war ich seit dem vergangenen Sommer nicht mehr drüben. In Deutschland ist das Fischen auch beliebt, oder?
Oh ja, sehr.
Ich muss mal nach Deutschland kommen zum Fischen. Bei euch soll man wunderbar Karpfen fangen können. Dann habe ich noch etwas vor.