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Ich möchte diesen Text mit meinem Ex-Mit­be­wohner beginnen. Mein Ex-Mit­be­wohner, Grüße an dieser Stelle, ist der viel­leicht größte Experte zum Thema SC Frei­burg. Er sieht jedes Spiel, kennt jedes Gerücht, liest alles. Oft kam ich nach Hause, wollte ihm erzählen, was irgendein Spieler in irgend­einem Inter­view mit der Lokal­zei­tung gesagt hat, und er ant­wor­tete: Kenn’ ich schon.“ Manchmal glaube ich, er hatte das Trai­ner­büro von Chris­tian Streich ver­wanzt. 

Der junge Mann spielt in diesem Text eine Rolle, weil er zu Ende der ver­gan­genen Saison einen bemer­kens­werten Satz sagte. Hof­fent­lich ver­ka­cken wir’s“, so lau­tete der. Mit wir“ meinte er den SC Frei­burg, der in der Tabelle höher und höher klet­terte, in Rich­tung der euro­päi­schen Plätze. Und mein Ex-Mit­be­wohner war nicht der ein­zige, der den Satz sagte. Überall hörte man ihn, auf der Nord­tri­büne im Schwarz­wald-Sta­dion, in den Kneipen, vor den Fern­se­hern. Haupt­sache nicht inter­na­tional spielen, das wünschten sich viele Fans. Wie bitte?

Drei Mal Europa, drei Mal Abstieg

Die Angst der Frei­burger vor der Europa League hat einen Grund. Drei Mal erreichte der SC die inter­na­tio­nalen Ränge in seiner Ver­eins­ge­schichte, drei Mal ging es kurz darauf wieder in Liga zwei. Jeweils köderten die guten Leis­tungen Männer mit großen Porte­mon­naies in den Breisgau, die, als sie wieder gingen, die besten Spieler in ihre Trans­porter luden und mit­nahmen.

Das war schon 1996 so: Nach einer furiosen Saison (Frei­burg gewann damals 5:1 gegen Bayern) spielte sich der SC auf Tabel­len­platz drei. Im Sommer kaufte Werder Bremen den genialen Spiel­ma­cher Rodolfo Esteban Car­doso und zwei Jahre später spielte Frei­burg zweit­klassig. 2001 stieg Frei­burg im Euro­pa­po­kal­jahr ab, 2013 ver­ließen nach starker Saison die fünf besten Spieler das Team: Max Kruse, Daniel Cali­giuri, Ced­rick Makiadi, Johannes Flum und Jan Rosen­thal. Eine Saison darauf folgte der erneute Abstieg.

Nach Platz sieben in der ver­gan­genen Saison kamen die Männer mit den großen Geld­beu­teln wieder. Sie bezahlten 27 Mil­lionen Euro und nahmen Maxi­mi­lian Philipp und Vin­cenzo Grifo mit, den besten Tor­schützen und den besten Vor­la­gen­geber. Warum sollte der SC Frei­burg also nicht auch in diesem Jahr an der Dop­pel­be­las­tung schei­tern und gna­denlos unter­gehen?

Weil alles anders ist. Man balan­ciert natür­lich ein­beinig auf dem Fens­ter­brett mit so einem Satz, aber es gibt Gründe für meinen Opti­mismus.

Zuerst ist da das Trai­ner­team. Chris­tian Streich ist inzwi­schen der dienst­äl­teste Trainer der Bun­des­liga, seine Erfah­rung ist immens. Seit 22 Jahren trai­niert er Mann­schaften des SC Frei­burg, seine drei Co-Trainer kommen ins­ge­samt auf wei­tere 46 Jahre Berufs­er­fah­rung – nur beim SC. Sie kommen alle aus der Region, kennen sich lange, der Sport-Club ist für sie nicht Arbeits­platz son­dern Leben. Ver­zahntes Wissen, gute Zusam­men­ar­beit. Gemeinsam haben sie ihre Lehren gezogen aus dem miss­glückten Europa-Aben­teuer 2014. 

Streich, das ist bekannt, kann so ruhig arbeiten wie kein anderer Bun­des­li­ga­trainer. Kritik an ihm ist in Frei­burg so ver­pönt wie Kritik an Solar­zellen, die ja auch ein­fach eine gute Erfin­dung sind. Unruhe wird ganz sicher keine auf­kommen. Not­falls würden die Fans ihrem Trainer noch ver­trauen, wenn er sich selbst als Innen­ver­tei­diger auf­stellen würde. Ein Bekannter, treuer SC-Fan seit Jahr­zehnten, schrieb heute bei Insta­gram (bei ihm nur echt in Klein­buch­staben):

heute spielt der sport­club frei­burg seit vielen jahren wieder inter­na­tional! ich bin vor­freudig gelaunt und stolz aufs team. egal wie sie sich schlagen werden.“

Das ist der Spirit in Frei­burg. Und der kann viel bewegen.

Wie gut ist der Kader in der Breite auf­ge­stellt?

Natür­lich haben Philipp und Grifo eine Lücke hin­ter­lassen. Aber abge­sehen davon ist die Mann­schaft die­selbe geblieben, das Gefüge stimmt. Man darf nicht ver­gessen: Das Team, das nun gegen die Großen Europas spielen könnte (wenn sie gegen Dom­zale gewinnen), ist in nahezu selber Beset­zung in der vorigen Saison aus der zweiten Liga auf­ge­stiegen – so was schweißt zusammen. Ein Reporter der Badi­schen Zei­tung fragte Kapitän Julian Schuster neu­lich, was Unter­schiede seien im Ver­gleich zur letzten Europa-League-Saison. Schuster sagte: 

„…Bei uns gibt es keine Grüpp­chen­bil­dung. Jeder kann mit jedem. Man muss immer auf­passen, dass es nicht zu har­mo­nisch wird. Aber auf dem Trai­nings­platz herrscht eine gesunde Aggres­si­vität. Das ist eine gesunde Mischung: Einer­seits elf Freunde, ande­rer­seits geht es ordent­lich zur Sache.“ 

Eine Frage, die auch Chris­tian Streich der­zeit umtreibt, ist die der Qua­lität des Kaders. Reicht sie in der Breite für drei Wett­be­werbe? 

Ich habe meinem Ex-Mit­be­wohner eine SMS geschrieben. Er sagt: Drei Spieler braucht Frei­burg noch, wenn sie in die Grup­pen­phase der Euro-League ein­ziehen, ein bis zwei, wenn sie es nicht schaffen. Mit Kle­mens Har­ten­bach und Jochen Saier hat Frei­burg Männer in der Ver­ant­wor­tung, die schon mehr­fach ihr Genie unter Beweis gestellt haben. Als damals Kruse ging, holten sie Meh­medi, als Meh­medi ging, holten sie Grifo. Sie gaben wenig Geld aus und nahmen viel ein. Ziem­lich schlau. 

Für Maxi­mi­lian Philipp bekam Frei­burg unlängst 20 Mil­lionen Euro. Bei Hertha hatten sie zu ihm gesagt: Du bist zu schmächtig. Auch in diesem Jahr wird Frei­burg noch einen Philipp ver­pflichten, wahr­schein­lich haben sie ihn mit dem 20-jäh­rigen Polen Bar­tosz Kapustka schon geholt. Kapustka gilt als Rie­sen­ta­lent, er kam von Lei­cester City, wo er nach einem Rake­ten­kar­rie­re­start aus Polen ver­früht hin­ge­wech­selt war. Julian Schuster sagt, Kapustka habe schon in den ersten Tagen Trai­ning das gespürt, was er bei Lei­cester ver­misst habe: Ver­trauen, Geduld, Liebe. Die Grund­tu­genden des SC.

Sysi­phos und andere Weis­heiten

Wir müssen uns Sysi­phos als einen glück­li­chen Men­schen vor­stellen“, schrieb Albert Camus. Chris­tian Streich würde dieser Satz gefallen, ziem­lich sicher, bestimmt hat er Camus gelesen. Ein biss­chen ähnelt seine Auf­gabe beim SC der des jungen Mannes aus der grie­chi­schen Mytho­logie. Stein hoch­rollen, Stein rollt wieder runter, neu anfangen. Streich und seine Leute kennen das und sie würden es wieder tun, wenn es sein müsste. Sie tun aber auch alles, um den Stein am Ende der Saison auf dem Berg fest­zu­halten.

Dafür, dass das klappt, spre­chen viele Dinge, man könnte tief ein­steigen. Zum Bei­spiel könnte man erklären, wie wichtig Maik Frantz für den SC ist, wie tor­ge­fähr­lich der Dop­pel­sturm Niederlechner/​Petersen in dieser Saison erst sein wird, was Janik Haberer alles drauf hat, wie das Innen­ver­tei­di­gerduo Söyüncü/​Kempf zum Liga­primus auf­steigen könnte und wie der SC Domžale heute Abend zer­legt – aber nie könnte man es so weise aus­drü­cken wie mein Ex-Mit­be­wohner.

Auf meine Frage, wie weit der SC kommen wird in der Euro League, ant­wor­tete er, mal wieder, mit einem bemer­kens­werten Satz: Wir holen den Pott.“