Wie geil ist eigentlich Europapokal auswärts? Ziemlich geil, befand unser Autor auf seinem Trip mit Borussia Mönchengladbach. Ein sonniger Reisebericht aus Zypern.
„Wir haben November. Und ich war im Meer. Ist das nicht geil?“ Der junge Mann, der gerade erklären soll, was am Gladbacher Gastspiel auf Zypern so besonders ist, wankt schon leicht – und schielt während unseres kleinen Interviews auffällig häufig zur Cocktailtheke herüber. Seinen Ausführungen stimmen allerdings auch die anderen umherstehenden Fans ohne Umschweife zu: „Dieses Spiel ist das Highlight der Vorrunde.“
Dann stimmt der Cocktail-Liebhaber einen alten Fan-Klassiker an: „Erste Runde Bukarest, zweite Runde Rom…“ Seine Kumpels steigen ein. Und irgendwann grölen knapp 50 Gladbacher Fans in Badehose und mit nacktem Oberkörper „Vielleicht nach Teneriffa eine Woche Sandstrand“. Tatsächlich ist es an diesem Novembertag eine der häufigsten Aussagen, die man zu hören bekommt. Sinngemäß sagen viele Gladbacher: Wie schön ist eigentlich das Fan-Dasein wenn man zu dieser Jahreszeit bei 25 Grad und Sonne pur am Strand sitzt.
„Nur der harte Kern!“
Die Borussia spielt in der Europa League gegen Apollon Limassol, aktuell Tabellenzweiter der zypriotischen Division A. Knapp 1.300 Gladbach-Fans haben sich auf den Weg in Richtung östliches Mittelmeer gemacht. „Zahlenmäßig geht da vielleicht sogar noch ein bisschen mehr“, konstatiert Borussias Fanbeauftragter Thomas Jaspers, fügt aber hinzu: „Diese Reise ist allerdings deshalb so besonders, weil sich hier nur der harte Kern unserer Allesfahrer-Szene trifft.“
Seit es für Mönchengladbach sportlich wieder deutlich bergauf geht, hat sich die Anhängerschaft entwickelt. Nicht selten begleiten den Verein mehrere tausend Fans. Das birgt nicht nur positive Aspekte. Ähnlich wie bei den Ligagrößen aus Dortmund oder Gelsenkirchen haben auch in Mönchengladbach längst einige Eventfans Fuß gefasst. Von denen ist auf Zypern allerdings wenig zu sehen. Stattdessen sieht der Gladbacher Fanbeauftragte Jaspers „fast ausschließlich bekannte Gesichter. Und das finde ich einfach nur klasse.“
Über Istanbul nach Zypern
Zusammen mit dem Fanprojekt Mönchengladbach haben Jaspers und seine Kollegen aus der Fanbetreuung einen Fanflieger“ organisiert, der 180 Anhänger zum Spiel chauffierte. Organisation und Reise klappten hervorragend. Am Donnerstagmorgen ging es von Düsseldorf los, nach einer Übernachtung folgte die Abreise. Alle anderen Anhänger reisten individuell an – auf abenteuerlichsten Wegen über Rom, Budapest oder Wien. Oder Istanbul.
Das taten Tim Paulußen und Katja Peters. Die beiden Fans, die zu jedem Heim- und Auswärtsspiel aus der Nähe von Goslar anreisen, sind über die Türkei nach Zypern eingereist – in den zypriotisch-türkischen Teil der Insel. Per Mietauto ging es dann nach Nikosia und dort über die Grenze. „Der Linksverkehr und die angeblich so strenge Grenze bereiten einem im Vorfeld schon erstmal Bauchschmerzen“, sagt Paulußen. Letztlich klappte alles hervorragend.
Die ganz eigene Party.
Zusammen mit den anderen Gladbacher Anhängern feiern Paulußen und Peters am Spieltag ihre ganz eigene Party – fernab von, fast im Alltagstrott untergehenden, Spielen in Hoffenheim oder Augsburg. Ein Kern älterer Anhänger hat sich, seitdem die Uefa das Spiel terminiert hat, um das Wohl der deutschen „Urlaubsfans“ gekümmert. Das Organisationsteam um Ralf Adam, den in der Fanszene alle nur „Ralle“ nennen, konnte dabei bereits auf einige Erfahrungswerte zurückgreifen.
Eigene Getränkekarte, eigener DJ
Vor zwei Jahren spielten die Gladbacher schon einmal auf Zypern, nun entschied man sich für die gleiche Bar, direkt am Mittelmeerstrand in Larnaca, etwa 45 Kilometer südlich von Nikosia. Mit Barbesitzer Dinos verhandelte „Ralle“ eine eigene Speise- und Getränkekarte, die Bar stellte darüber hinaus einen DJ. „Da wir vor zwei Jahren auch schon dort waren, verliefen die Planungen total unkompliziert“, erklärt Adam und ergänzt: „Letztlich hat da jeder was von. Die Bar macht außerhalb der Saison einen Riesen-Umsatz und wir haben einen perfekten Tag.“
Doch Adam kümmerte sich nicht nur um das leibliche Wohl der mitgereisten Anhänger. Um zum Stadion zu kommen, verfrachtete er die Fans in Zusammenarbeit mit dem Verein in zwölf Reisebusse. Eine imposante Kolonne, die sich da begleitet von der zypriotischen Polizei auf den Weg in Richtung GSP-Stadion in Nikosia machte – und ein logistisches Meisterwerk, 3000 Kilometer fernab der Heimat.
Im Stadion: Eine andere Welt
Stadionbesuche in der Bundesliga gleichen sich ja mittlerweile immer mehr an. Gibt es noch das charakteristische Stadion? Verkommen die Spielstätten in Deutschland nicht zu einem Einheitsbrei hochmoderner Arenen? Spiele im Europapokal sind da, das wird auch jeder Bayern‑, Dortmund- oder Frankfurt-Anhänger bestätigen, anders. Im GSP-Stadion dürfte, wäre es ein deutsches Stadion, vermutlich gar nicht mehr gespielt werden.
Dreckige, weiße Sitzschalen, zu großen Teilen schon kaputt, kaum Sicherheitsmaßnahmen, schäbige Infrastruktur. Was deutschen Behörden den Schweiß auf die Stirn treiben würde, ist für Fußball-Romantiker, die sonst Gästeblöcke in Bremen oder Wolfsburg bevölkern, ein Sehnsuchtsort. Auf Zypern ist das leicht heruntergekommene GSP-Stadion die modernste Spielstätte – und wird deshalb von fast allen Insel-Vereinen bei internationalen Spielen genutzt.
Für die einheimischen Fans ist das nicht ganz leicht. Jedes Spiel ist eine Art Auswärtsspiel. Rund um das Stadion herrscht keine wirkliche Fußballatmosphäre. Weil die Zyprioten trotz eines vermeidlichen Heimspiels selber anreisen müssen, schlugen die aktiven Fans im Spiel gegen die Gladbacher Borussia beispielsweise erst eine knappe halbe Stunde vor Anpfiff im Stadion auf. Und verschwanden nach dem Abpfiff bis auf wenige Ausnahmen auch rasch.
„Aller guten Dinge sind drei!“
Für die meisten Gladbacher hingegen ging es mit Spielschluss sofort wieder zurück zu besagter Mittelmeerstrand-Bar. Sie feierten weiter. Eine gelungene Auswärtstour, das 18. ungeschlagene Spiel ihrer Mannschaft infolge (Vereinsrekord!) und irgendwie auch sich selbst. Fanbetreuer Jaspers: „Diese Tour könnte historisch sein. Sie ist ohnehin ein Highlight und dann auch noch dieser Vereinsrekord. Vermutlich werden viele Fans ein Leben lang davon erzählen.“
Und während sich noch knapp 500 feierwütige und siegestrunkene Anhänger zur inoffiziellen Vereinshymne „Die Seele brennt“ in den Armen liegen, taucht plötzlich der bereits erwähnte Cocktail-Liebhaber vom Mittag auf. Der junge Mann hat mittlerweile offensichtlich noch tiefer ins Glas geschaut. Trotzdem bringt er es mit seiner Aussage wieder auf den Punkt: „Wir waren jetzt zweimal auf Zypern. Aller guten Dinge sind drei. Ich fahre viel lieber hierhin als nach Hoffenheim.“