Vergesst Inter, vergesst Milan, vergesst Juventus — die AS Roma ist der alte neue heiße Scheiß in Italien. Seit zwei Jahren entwickelt sich in der Hauptstadt eine neue Euphorie. Eine Chronik der Ereignisse.
Wir befinden uns im Juli 2022 n. Chr. Ganz Europa ist im Fußball-Sommerloch… Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Römern bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Liebe zu ihrem Verein Ausdruck zu verleihen. Bei der Präsentation ihres neuen Spielmachers Paulo Dybala versammeln sich tausende Tifosis im Süden von Rom um ihn zu begrüßen. Und wie. Roter Rauch umhüllt die kilometerlange Fanmeile und die Hymne „Roma, Roma, Roma“ wird wohl auch bei den entferntesten Nachbarn in der Region Lazio zu hören gewesen sein. Die Vorstellung des Neuzugangs gleicht einer Meisterfeier.
Klar, die Italiener sind, was den Fußball angeht, verrückt. Doch dieser Empfang war selbst in Rom nicht alltäglich. Er war vielmehr symptomatisch für die Stimmung, die gerade rund um die Roma herrscht. Nach jahrelanger Tristesse erlebt die AS zurzeit einen Aufschwung. Die Euphorie bei den Anhängern wird seit zwei Jahren größer und größer. Die Verpflichtung von José Mourinho, der Gewinn der Europa Conference League und nun die Ankunft von Dybala haben im Umfeld des Vereins einiges bewegt. Nun träumen die ersten Fans bereits vom Scudetto. Doch was ist dran am Roma-Hype?
Als die amerikanische Investmentfirma „Friedkin Group“ um den Milliardär Dan Friedkin im August 2020 den Verein übernahm, hielten sich die Schlagzeilen der internationalen Presse in Grenzen. Ein amerikanischer Investor in der Serie A — nichts besonderes. Auch das Auftreten des neuen Mäzens war nicht sonderlich auffällig. Wenn überhaupt war es auffällig unauffällig.
Friedkin gab keine Pressekonferenzen, keine Interviews und trat insgesamt kaum in Erscheinung. Auch im operativen Geschäft hielt sich die Friedkin Group vorerst zurück. Der damalige Trainer Paulo Fonseca durfte bleiben und auf dem Transfermarkt wurden im ersten Sommer keine herausragenden Käufe getätigt. Mit Gianluca Mancini und Jordan Veretout kamen lediglich zwei solide Serie A‑Spieler von der nationalen Konkurrenz. Kein Grund zur Euphorie also. Die Romanisti waren das Mittelmaß ja mittlerweile auch gewöhnt. 2001 wurde der Verein zum letzten Mal italienischer Meister. In den Nuller Jahren kamen noch zwei Pokalsiege dazu, seitdem ist Flaute in der Hauptstadt.
Die erste Saison unter den neuen Besitzern verlief auch dementsprechend ruhig. Fonseca konnte die solide Leistung aus der Vorsaison (5. Platz) nicht ganz duplizieren, Rom schloss die Saison auf Platz sieben ab. Bereits im April 2021 war absehbar, dass Fonseca nicht über die Saison hinaus bleiben würde. Die italienische Presse munkelte über mögliche Nachfolger und war sich größtenteils einig: Maurrizio Sarri würde die Mannschaft übernehmen. Dann kam der 4. Mai. Und der Verein stellte José Mourinho vor.
Die Nachricht schlug im italienischen Fußballkosmos ein wie eine Bombe. In Italien hatte kein Medium diesen Transfer auf dem Schirm, und das ist dort wahrlich keine Selbstverständlichkeit. „In Italien zu arbeiten ist wie vor einem Schaufenster zu arbeiten — alles landet in den Nachrichten“, sagte der ehemalige Sportdirektor Monchi einmal über die italienische Presse. Sein Nachfolger Tiago Pinto, der erst im Januar 2021 übernommen hatte, zauberte Mourinho unter der Ladentheke hervor.
José Mourinho wäre eh bei jedem Verein ein bedeutender Neuzugang. In Italien erfährt der Portugiese aber eine ganz besondere Würdigung. Zuletzt arbeitete er von 2008 bis 2010 in Italien. Bei Inter Mailand. Dort gewann er als bisher einziger Trainer in Italien das Triple. Seitdem wird er dort verehrt. In der Curva Nord von Inter Mailand hängt bis heute ein Banner, auf dem er honoriert wird. Die Erwartungen sind in Rom mit der Verpflichtung des Trainers größer geworden. Dass er Zeit brauche, um diese zu erfüllen, betonte er selbst. „Wir sprechen über Zeit, über ein Projekt, über eine Entwicklung. Wir wollen keinen isolierten Erfolg“, sagte Mourinho auf seiner ersten Pressekonferenz. „Die Titel werden von allein kommen.“