2009 gründet der Brite Henry May ein Hobbyliga-Team. Bald darauf kicken die Jungs vor 35.000 Fans in Argentinien – und Henry hält eine Ansprache vor 10.000 Zuhörern im Zentrum von Buenos Aires.
Das Ganze liegt schon zehn Jahre zurück. Henry May war damals erst 24 Jahre alt und gänzlich unerfahren auf dem diplomatischen Parkett. „Wir waren in die wunderschöne Residenz des britischen Botschafters in Buenos Aires eingeladen und wurden gelobt als gutes Beispiel, wie britische und argentinische Menschen zusammenfinden können“, erzählte Henry kürzlich der Daily Mail. Wir, das waren Henry May und seine Mitspieler vom Huracan FC, einem Londoner Hobbyliga-Team, das seine Spiele allsonntäglich auf einer matschigen Wiese in einem öffentlichen Park austrägt. Selten vor mehr als acht Schaulustigen.
Wenige Tage vor dem Botschafts-Empfang aber waren die Jungs im gewaltigen Estadio Tomas Adolfo Duco des argentinischen Erstligisten CA Huracan angetreten – vor 35.000 Zuschauern. Gegner war die 2. Mannschaft des Profiklubs, die den Engländern netterweise einen voll austrainierten Torwart zur Verfügung gestellt hatte. So verloren Henry und die Jungs nur mit 3:0 – und gewannen Zehntausende argentinischer Herzen. Großbritanniens Botschafter erwog sogar, die Hobbykicker auf die Falkland-Inseln fliegen zu lassen – für ein Freundschaftsspiel gegen eine argentinische Mannschaft, zum Zeichen der Versöhnung. „Das wurde damals wirklich diskutiert“, bestätigte Henry.
„Ich erzählte meinen künftigen Mitspielern die komplette Geschichte von Huracan“
England und Argentinien sind verbunden durch eine brisante gemeinsame Geschichte. Die bekanntesten Kapitel sind der Falklandkrieg 1982 und Diego Maradonas Rache bei der WM 1986 („Die Hand Gottes“). Viele ältere Briten und Argentinier pflegen bis heute eine herzliche gegenseitige Abneigung, speziell wenn die Falkland-Frage zur Sprache kommt: Die Inselgruppe vor der Südspitze Argentiniens ist britisches Überseegebiet, wird jedoch auch von den Südamerikanern beansprucht. Als es zum Krieg kam, weil argentinische Truppen die Inseln besetzt hatten, starben 649 Argentinier und 258 Briten.
Doch zum Glück gibt es Jungs wie Henry May, der bewiesen hat: Auch eine Schnapsidee kann einen veritablen Beitrag zum Weltfrieden leisten. Der unbekümmerte Blondschopf gründete 2009 in einem Pub den Huracan FC London, benannt nach dem großen alten CA Huracan aus Buenos Aires, den Henry im Jahr zuvor während eines Studienaufenthalts in Argentinien kennen und lieben gelernt hatte. „Ich erzählte meinen künftigen Mitspielern die komplette Geschichte von Huracan und fragte: ‚Warum benennen wir uns nicht einfach nach denen?‘ Es klang ein bisschen exotisch, aber die Jungs sagten: Okay.“
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Dass der kleine Huracan FC auch in Argentinien bekannt wurde, ist einem gewaltigen Zufall zu verdanken. 2010 war Henry wieder einmal nach Buenos Aires geflogen, um den großen CA Huracan im Derby gegen den Erzrivalen San Lorenzo zu unterstützen. Im Stadion traf er auf den argentinischen Journalisten Ariel Schvartzbard, der sich Henrys Geschichte notierte und dem Gast aus Großbritannien empfahl, seiner Hobbytruppe einen Social-Media-Auftritt zu gönnen – vielleicht gäbe es ja den einen oder anderen Argentinier, der sich für den Huracan FC London interessiere. Zwei Wochen später zählte die neue Facebook-Seite der Hobbykicker 2.500 Likes aus dem Großraum Buenos Aires.
Heute pilgern alljährlich Dutzende argentinischer Huracan-Fans in den meist matschigen Park in Süd-London, wo die englischen Hobbykicker – in der Regel vollverkatert – ihre Spiele austragen. Henry konnte das Interesse anfangs kaum fassen: „Immer wieder schrieben mir die Leute: ‚Hey, ich bin gerade in Europa und habe meine Reisepläne geändert, damit ich mir am Sonntag euer Spiel gegen die Melfort Eagles anschauen kann.‘ Ich entgegnete: ‚Okay, aber weißt du auch, dass wir nur auf einer Wiese spielen?‘ Sie antworteten: ‚Ja klar, wir lieben euch trotzdem. Wir kommen auf jeden Fall!‘“
Und so entwickelte sich buchstäblich eine transatlantische Bewegung, angetrieben durch immer mehr Freundschaften und Bekanntschaften – und durch die gemeinsame Liebe zum Fußball: Bis heute reist der Huracan FC London alle paar Jahre zu einer Freundschaftsspiel-Tournee nach Argentinien, wo man meist gegen CA-Huracan-Fanclubs antritt. Einmal, im Jahr 2013, trafen Henry und seine Jungs auch auf eine Auswahl argentinischer Richter. Die Partie endete 1:1. Im anschließenden Elfmeterschießen unterlagen, natürlich, die Engländer.
Zwei Tage später stand Henry mit zittrigen Knien auf einem Podest hinter einem Mikrofon. Vor ihm: 10.000 Zuhörer auf einem riesigen Platz, mitten in der argentinischen Hauptstadt. Zum Glück hatte der Blondschopf aus London noch etwas Restalkohol im Blut. Und irgendwo da unten, in dieser gewaltigen Menschenmenge, standen schließlich seine „Lads“ aus London. Bloß nicht blamieren. Also holte Henry einmal kurz Luft und begann zu reden. Über Argentinien, über Großbritannien, über den Frieden, die Freundschaft, den Fußball. Und natürlich über seine Liebe zu CA Huracan. Das Publikum johlte, schließlich bestand es zu 100 Prozent aus Huracan-Fans, die sich alljährlich – immer am 1. November – versammeln, um den Geburtstag ihres Klubs zu feiern.
Henry May lebt heute übrigens in Kolumbien. Das hat vorrangig berufliche Gründe, passt ihm aber auch sonst gut in den Kram, ist er doch näher bei seiner großen Liebe. Und wer weiß, vielleicht lässt sich die Beziehung zu CA Huracan ja noch etwas intensivieren: „In mir schlummert diese verrückte Idee, dass ich in 20 Jahren für das Amt des Vereinspräsidenten kandidiere“, so Henry. „Das wäre für mich das perfekte Ende dieser Geschichte.“
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