Langeweile in der Bundesliga? Das kann sich in diesem Jahr ändern. Selbst ein Überraschungsmeister wie Hertha BSC muss kein Fantasiegespinst sein. Ein Ausblick von Ottmar Hitzfeld.
Bevor ich nach vorn schaue, möchte ich noch mal zurückblicken. Mich zurückversetzen und das unglaubliche Gefühl genießen, das damals meinen Körper durchströmte. Im Mai 1995 feierte ich meine erste Meisterschaft als Trainer von Borussia Dortmund. Und was für eine! Vor dem letzten Spieltag lagen wir hinter Werder Bremen zurück. Nur wenn wir unser Heimspiel gegen den HSV gewinnen würden und Bremen zeitgleich in München patzte, wären wir Meister. Die Anspannung am Spieltag war gewaltig und obwohl es für die Bayern um nichts mehr ging, hofften wir doch, dass sie den Bremern die Meisterschaft nicht so einfach überlassen wollten.
Noch einmal so ein Finale!
Vor 22 Jahren war die Verbindung in die anderen Stadien noch komplizierter, niemand konnte sein Telefon zücken und schnell mal nachschauen. Irgendwann fiel mir unten an der Seitenlinie auf, dass es merkwürdig ruhig war im Stadion. Einige hielten sich kleine Radios ans Ohr. Plötzlich setzte ein Murmeln ein, dass sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Aus dem Murmeln wurde Jubel und da dämmerte mir so langsam, dass die Bayern in Führung lagen. Am Ende gewannen sie, wir auch und der BVB war Deutscher Meister, zum ersten Mal seit 32 Jahren.
Solch ein Finale würde ich mir wieder wünschen. Für die Fans und auch für meine Kollegen auf den Trainerbänken, weil das eine Erfahrung ist, die man sein Leben lang nicht vergisst. Meisterschaften, die ich im letzten Moment gewonnen habe wie damals mit dem BVB oder mit dem FC Bayern 2001 haben emotional einen anderen Stellenwert als Titel, die mit zehn oder 15 Punkten Vorsprung eingefahren wurden.
Vielleicht sehen wir Hertha vorne
Auch wenn viele daran nicht glauben, denke ich, dass es auch in der Bundesliga bald wieder spannender zugehen wird. Warum nicht schon in dieser Saison? So eine Märchen-Meisterschaft wie von Leicester City ist ganz gewiss auch in Deutschland möglich. Schließlich ist der Abstand zwischen kleineren Klubs und dem Establishment in der Premier League noch größer. Ich will hier nicht einen alten Satz bemühen, der so auch nicht mehr stimmt, denn Geld schießt natürlich Tore, aber womöglich sehen wir in dieser Saison ja eine Mannschaft ganz vorne mitmischen, von der das niemand erwartet. Vielleicht sogar Hertha BSC.
Ich verfolge mit großem Interesse, was Pal Dardai in Berlin leistet. Ich bin mir auch sicher, dass die Mannschaft die Dreifachbelastung mit der Europa League gut wegstecken wird. Das ist möglich und gar nicht so schlimm, wie es manchmal dargestellt wird. Mit der richtigen Trainingssteuerung lässt sich da viel bewirken. Das gilt natürlich auch für RB Leipzig, von denen ich keinen großen Leistungsabfall erwarte. Dafür wird dort hinter den Kulissen einfach zu intelligent gearbeitet. Ich finde es gut, dass die Leipziger keinen ihrer Leistungsträger abgegeben haben, obwohl einige Spieler ja durchaus interessante Angebote vorliegen hatten.