Auf den Scilly Inseln, 50 Kilometer westlich von Cornwall, treten Woche für Woche zwei Teams in der kleinsten Liga der Welt gegeneinander an. Wird das nicht irgendwann langweilig?
Eine andere Erleichterung ist die sehr exklusive Regel, mehr als drei Wechsel pro Spiel vornehmen zu können. Diese wurde eingeführt, weil in den Teams Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter spielen, die, sobald die Alarmsirene im Dorf ertönt, sofort zum Einsatzort eilen müssen. Als letzte Saison plötzlich vier Spieler zur Kabine sprinteten, weil ihre Pieper klingelten, waren nicht genug Auswechselspieler vorhanden. Die Partie stand vor dem Abbruch. Doch schon wenige Minuten später waren die Spieler wieder da. Falscher Alarm. Sie signalisierten dem Schiedsrichter ihre Rückkehr und liefen aufs Feld, als wären sie nie fort gewesen.
Eine Sache, die nie in Gänze aufgeklärt wurde, ist die Historie der Liga. Sie hängt nicht an den bier- und steakbeladenen Tresen des Mermaid-Pubs oder des Atlantic Inns, sie ist nicht festgehalten in Ordnern oder Almanachen. Einer, der einst Buch führte, sei vor langer Zeit aufs Festland ausgewandert, heißt es. Niemand weiß, ob er noch lebt. „Frag Stomper“, sagen sie in der Stadt. Sie meinen Michael Balkuill, der in einem kleinen Krämerladen in Old Town arbeitet, etwa zehn Gehminuten von Hugh Town entfernt.
Zwei Teams, eine Liga – höchst seltsam
„An der Kirche rechts“, erklärt Andy Hicks, „dann der Straße folgen.“ An der Kirche hat die Straße einen ganz leichten Knick, es geht vorbei an drei, vier Häusern, der Hugh-Town-Suburbia, danach kommen die Felder, und dann sieht man, was es bedeutet, auf dieser Insel zu leben. Behutsam und doch energisch ziehen Blumenpflücker Narzissen aus der Erde, sie sind zu dritt. Manchmal passiert etwas, Bussarde schweben über das Feld, ein Traktor fährt vorbei, ein Mann bleibt am Holzzaun stehen, stopft seine Pfeife nach und schaut ihnen bei der Arbeit zu.
Dann erheben sich die Blumenpflücker aus ihrer gebückten Stellung und halten für einen kleinen Moment inne. Einer von ihnen trägt einen dicken Manchester-United-Pullover, die Wollmütze hat er tief ins Gesicht gezogen. Er sitzt bei nahezu jedem Spiel der Premier League im Pub, die lokale Scilly League interessiert ihn aber nicht. Zwei Teams, eine Liga – höchst seltsam, findet er das. Er sagt: „Ich mag Blumen.“
Es ist ein Knochenjob, doch er ist sicher und einer der wenigen Jobs auf Scilly, die saisonunabhängig sind, denn der nahe Golfstrom sorgt für ein mildes Klima, und die Blumen sprießen das ganze Jahr über. Der Laden, in dem Michael Balkuill arbeitet, liegt direkt an der Old Town Lane, dort, wo der alte Austin parkt, nur vorbei an dem Holzpfeil, auf den jemand „Nowhere“ geschrieben hat, dahinter der Friedhof, die See, Wasser, das die Klippen umspült, noch ein Gemüsegarten, nichts weiter. Dann der Laden. Es riecht nach Algen.
Das Geschäft ist groß genug für einen kleinen Tisch, auf dem die Kasse steht, daneben eine Eistruhe, an der Wand ein paar Regale mit dem Nötigsten: Toilettenpapier, Nudeln, Seife, Kekse. Sie nennen Michael Balkuill den „Stomper“, weil an ihm alles mächtig ist: die Ohren, der Kopf, das Kinn, der ganze Körper, eine Kaffeetasse in seiner Hand wirkt wie Puppenspielzeug. Balkuill lebt seit 50 Jahren auf St. Mary‘s, aufgewachsen ist er in Plymouth, er arbeitete dort als Handwerker. Eines Tages erfuhr sein Chef, dass sie auf St. Mary‘s Klempner suchten, und so schickte er Balkuill hinunter; Ostern 1960 war das. Eigentlich sollte er nach sechs Wochen zurückkommen, doch er blieb für immer. „Ich verliebte mich in Valerie und in die Insel. Als mein Großvater zum ersten Mal hier war, sagte er zu mir: ›Boy, das ist der beste Platz auf der ganzen Welt. Und du weißt, ich habe die ganze Welt gesehen.‹“
„Spielst du Fußball?“
Den Großvätern seiner Freunde hörte Balkuill dabei zu, wenn sie die Geschichten der frühen Ligajahre erzählten. In den Zwanzigern, berichteten sie, habe es zum ersten Mal Fußball auf den Scillies gegeben. Damals spielten die Inseln St. Mary‘s, Tresco, St. Martin’s, Bryher und St. Agnes den Lyonnesse Inter-Island Cup aus. Das war für jene Jahre überaus bemerkenswert, denn auf den anderen Inseln lebten kaum mehr als 100 Menschen. Als Balkuill 1960 nach St. Mary‘s kam, sah er am Mermaid-Pub einen Zettel, auf den jemand geschrieben hatte: „Spielst du Fußball?“
In jenen Jahren hießen die Teams auf St. Mary‘s noch Rangers und Rovers. Balkuill begann für das Team der Rangers zu spielen, das vornehmlich aus Zugezogenen bestand. Die Rovers hingegen galten als der Klub der Arbeiterklasse und der Einheimischen. Von den Nachbarinseln waren zu jener Zeit lediglich die Teams aus Tresco und St. Martin’s übriggeblieben. „Besonders hart ging es gegen die St. Martin’s Rebels zur Sache“, erinnert sich Balkuill. „Bei den Matches standen die Frauen der Spieler dicht am Feld und traten nach unseren Beinen, wenn wir die Seitenlinie entlangliefen.“ Doch auch auf Tresco und St. Martin‘s bekamen sie immer mehr Schwierigkeiten, genügend Leute für ihre Mannschaften zu mobilisieren, viele wurden zu alt, einige wechselten zum Cricket, zudem bedeuteten die Überfahrten jedes Mal einen immensen organisatorischen Aufwand.
So blieben irgendwann nur noch die Teams auf St. Mary‘s zurück. Die Rovers und Rangers starteten eine eigene Meisterschaft, wenngleich die größte Herausforderung darin bestand, gegen auswärtige Mannschaften zu bestehen. So etwa im Sommer 1965: Ein riesiger Navy-Zerstörer lag seit Tagen vor der Küste von St. Mary‘s. Bald erfuhren die Matrosen, dass auf der Insel Fußball gespielt wird und forderten die heimischen Mannschaften zum Duell. „Es war brutal, die Männer waren gestählte Navy-Typen, und sie gingen in Zweikämpfe ohne Rücksicht auf Verluste. Doch auch wir liebten dieses harte Spiel“, schwärmt Balkuill.
Die Rangers spielten die Matrosen in Grund und Boden, und als Balkuill in der 70. Minute sein viertes Tor geschossen hatte, fragte sein Trainer: „Willst du raus, Mike?“ Er antwortete: „Noch zwei Minuten.“ Im selben Moment giftete sein Gegenspieler: „Du gehst jetzt!“ Er rammte ihm seinen Ellbogen ins Gesicht und schlug ihm die vordere Zahnreihe aus. „Was hast du gemacht?“, fragt Valerie. „Ich brach ihm das Fußgelenk“, sagt Stomper, „danach bin ich mit ihm für ein paar Pints in den Pub. Später sind wir zusammen zum Arzt.“
Keine Liga ohne sportmanship
Diesen besonderen Geist, in England nennen sie ihn sportsmanship, beschwören sie auf der ganzen Welt, doch vermutlich nirgendwo so sehr wie im britischen Fußball. So hart und brutal es mitunter auf dem Fußballplatz zugeht, nach dem Spiel stoßen sie im Pub an, und alles, was in den Stunden zuvor die Gemüter erhitzte, ist vergessen. Auf St. Mary‘s würde die Liga ohne sportsmanship nicht funktionieren, das Inselidyll würde in sich zusammenfallen, weil die meisten Spieler im selben Betrieb arbeiten oder gar unter einem Dach wohnen.