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Seite 3: Abbruch, wenn es piept

Eine andere Erleich­te­rung ist die sehr exklu­sive Regel, mehr als drei Wechsel pro Spiel vor­nehmen zu können. Diese wurde ein­ge­führt, weil in den Teams Poli­zisten, Feu­er­wehr­leute und Ret­tungs­sa­ni­täter spielen, die, sobald die Alarm­si­rene im Dorf ertönt, sofort zum Ein­satzort eilen müssen. Als letzte Saison plötz­lich vier Spieler zur Kabine sprin­teten, weil ihre Pieper klin­gelten, waren nicht genug Aus­wech­sel­spieler vor­handen. Die Partie stand vor dem Abbruch. Doch schon wenige Minuten später waren die Spieler wieder da. Fal­scher Alarm. Sie signa­li­sierten dem Schieds­richter ihre Rück­kehr und liefen aufs Feld, als wären sie nie fort gewesen.

Eine Sache, die nie in Gänze auf­ge­klärt wurde, ist die His­torie der Liga. Sie hängt nicht an den bier- und steak­be­la­denen Tresen des Mer­maid-Pubs oder des Atlantic Inns, sie ist nicht fest­ge­halten in Ord­nern oder Alma­na­chen. Einer, der einst Buch führte, sei vor langer Zeit aufs Fest­land aus­ge­wan­dert, heißt es. Nie­mand weiß, ob er noch lebt. Frag Stomper“, sagen sie in der Stadt. Sie meinen Michael Bal­kuill, der in einem kleinen Krä­mer­laden in Old Town arbeitet, etwa zehn Geh­mi­nuten von Hugh Town ent­fernt.

Zwei Teams, eine Liga – höchst seltsam

An der Kirche rechts“, erklärt Andy Hicks, dann der Straße folgen.“ An der Kirche hat die Straße einen ganz leichten Knick, es geht vorbei an drei, vier Häu­sern, der Hugh-Town-Sub­urbia, danach kommen die Felder, und dann sieht man, was es bedeutet, auf dieser Insel zu leben. Behutsam und doch ener­gisch ziehen Blu­men­pflü­cker Nar­zissen aus der Erde, sie sind zu dritt. Manchmal pas­siert etwas, Bus­sarde schweben über das Feld, ein Traktor fährt vorbei, ein Mann bleibt am Holz­zaun stehen, stopft seine Pfeife nach und schaut ihnen bei der Arbeit zu.

Dann erheben sich die Blu­men­pflü­cker aus ihrer gebückten Stel­lung und halten für einen kleinen Moment inne. Einer von ihnen trägt einen dicken Man­chester-United-Pull­over, die Woll­mütze hat er tief ins Gesicht gezogen. Er sitzt bei nahezu jedem Spiel der Pre­mier League im Pub, die lokale Scilly League inter­es­siert ihn aber nicht. Zwei Teams, eine Liga – höchst seltsam, findet er das. Er sagt: Ich mag Blumen.“

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Acht Pokale für zwei Mann­schaften: Einen Seri­en­meister gibt es nicht. In den letzten fünf Jahren ent­schied sich die Liga am letzten Spieltag.

Jacopo Benassi

Es ist ein Kno­chenjob, doch er ist sicher und einer der wenigen Jobs auf Scilly, die sai­son­un­ab­hängig sind, denn der nahe Golf­strom sorgt für ein mildes Klima, und die Blumen sprießen das ganze Jahr über. Der Laden, in dem Michael Bal­kuill arbeitet, liegt direkt an der Old Town Lane, dort, wo der alte Austin parkt, nur vorbei an dem Holz­pfeil, auf den jemand Nowhere“ geschrieben hat, dahinter der Friedhof, die See, Wasser, das die Klippen umspült, noch ein Gemü­se­garten, nichts weiter. Dann der Laden. Es riecht nach Algen.

Das Geschäft ist groß genug für einen kleinen Tisch, auf dem die Kasse steht, daneben eine Eis­truhe, an der Wand ein paar Regale mit dem Nötigsten: Toi­let­ten­pa­pier, Nudeln, Seife, Kekse. Sie nennen Michael Bal­kuill den Stomper“, weil an ihm alles mächtig ist: die Ohren, der Kopf, das Kinn, der ganze Körper, eine Kaf­fee­tasse in seiner Hand wirkt wie Pup­pen­spiel­zeug. Bal­kuill lebt seit 50 Jahren auf St. Mary‘s, auf­ge­wachsen ist er in Ply­mouth, er arbei­tete dort als Hand­werker. Eines Tages erfuhr sein Chef, dass sie auf St. Mary‘s Klempner suchten, und so schickte er Bal­kuill hin­unter; Ostern 1960 war das. Eigent­lich sollte er nach sechs Wochen zurück­kommen, doch er blieb für immer. Ich ver­liebte mich in Valerie und in die Insel. Als mein Groß­vater zum ersten Mal hier war, sagte er zu mir: ›Boy, das ist der beste Platz auf der ganzen Welt. Und du weißt, ich habe die ganze Welt gesehen.‹“

Spielst du Fuß­ball?“

Den Groß­vä­tern seiner Freunde hörte Bal­kuill dabei zu, wenn sie die Geschichten der frühen Liga­jahre erzählten. In den Zwan­zi­gern, berich­teten sie, habe es zum ersten Mal Fuß­ball auf den Scil­lies gegeben. Damals spielten die Inseln St. Mary‘s, Tresco, St. Martin’s, Bryher und St. Agnes den Lyon­nesse Inter-Island Cup aus. Das war für jene Jahre überaus bemer­kens­wert, denn auf den anderen Inseln lebten kaum mehr als 100 Men­schen. Als Bal­kuill 1960 nach St. Mary‘s kam, sah er am Mer­maid-Pub einen Zettel, auf den jemand geschrieben hatte: Spielst du Fuß­ball?“

In jenen Jahren hießen die Teams auf St. Mary‘s noch Ran­gers und Rovers. Bal­kuill begann für das Team der Ran­gers zu spielen, das vor­nehm­lich aus Zuge­zo­genen bestand. Die Rovers hin­gegen galten als der Klub der Arbei­ter­klasse und der Ein­hei­mi­schen. Von den Nach­bar­inseln waren zu jener Zeit ledig­lich die Teams aus Tresco und St. Martin’s übrig­ge­blieben. Beson­ders hart ging es gegen die St. Martin’s Rebels zur Sache“, erin­nert sich Bal­kuill. Bei den Matches standen die Frauen der Spieler dicht am Feld und traten nach unseren Beinen, wenn wir die Sei­ten­linie ent­lang­liefen.“ Doch auch auf Tresco und St. Martin‘s bekamen sie immer mehr Schwie­rig­keiten, genü­gend Leute für ihre Mann­schaften zu mobi­li­sieren, viele wurden zu alt, einige wech­selten zum Cri­cket, zudem bedeu­teten die Über­fahrten jedes Mal einen immensen orga­ni­sa­to­ri­schen Auf­wand.

CP football 03

Die Taktik war gut, doch die Mann­schaft noch nicht bereit. Andy Hicks (2. von links) in der Stunde der Nie­der­lage.

Chris­to­pher Pledger (eye­vine)

So blieben irgend­wann nur noch die Teams auf St. Mary‘s zurück. Die Rovers und Ran­gers star­teten eine eigene Meis­ter­schaft, wenn­gleich die größte Her­aus­for­de­rung darin bestand, gegen aus­wär­tige Mann­schaften zu bestehen. So etwa im Sommer 1965: Ein rie­siger Navy-Zer­störer lag seit Tagen vor der Küste von St. Mary‘s. Bald erfuhren die Matrosen, dass auf der Insel Fuß­ball gespielt wird und for­derten die hei­mi­schen Mann­schaften zum Duell. Es war brutal, die Männer waren gestählte Navy-Typen, und sie gingen in Zwei­kämpfe ohne Rück­sicht auf Ver­luste. Doch auch wir liebten dieses harte Spiel“, schwärmt Bal­kuill.

Die Ran­gers spielten die Matrosen in Grund und Boden, und als Bal­kuill in der 70. Minute sein viertes Tor geschossen hatte, fragte sein Trainer: Willst du raus, Mike?“ Er ant­wor­tete: Noch zwei Minuten.“ Im selben Moment gif­tete sein Gegen­spieler: Du gehst jetzt!“ Er rammte ihm seinen Ell­bogen ins Gesicht und schlug ihm die vor­dere Zahn­reihe aus. Was hast du gemacht?“, fragt Valerie. Ich brach ihm das Fuß­ge­lenk“, sagt Stomper, danach bin ich mit ihm für ein paar Pints in den Pub. Später sind wir zusammen zum Arzt.“

Keine Liga ohne sport­man­ship

Diesen beson­deren Geist, in Eng­land nennen sie ihn sports­man­ship, beschwören sie auf der ganzen Welt, doch ver­mut­lich nir­gendwo so sehr wie im bri­ti­schen Fuß­ball. So hart und brutal es mit­unter auf dem Fuß­ball­platz zugeht, nach dem Spiel stoßen sie im Pub an, und alles, was in den Stunden zuvor die Gemüter erhitzte, ist ver­gessen. Auf St. Mary‘s würde die Liga ohne sports­man­ship nicht funk­tio­nieren, das Insel­i­dyll würde in sich zusam­men­fallen, weil die meisten Spieler im selben Betrieb arbeiten oder gar unter einem Dach wohnen.