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Seite 2: Der Draft von Scilly

Was merk­würdig klingt, wird bei näherer Betrach­tung noch gro­tesker, denn die Teams geben sich nicht mit der regu­lären Meis­ter­schaft zufrieden. Als reiche es ihnen nicht, sech­zehn Mal den Atem des immer­glei­chen Gegen­spie­lers im Nacken zu spüren, spielen sie, in Anleh­nung an FA- und League-Cup, den Scilly-Fore­deck- und den Who­le­sa­lers-Cup aus. Zudem gibt es am Boxing Day, dem zweiten Weih­nachtstag, ein Spiel der Insel­äl­teren gegen die Insel­jün­geren, und zu Beginn jeder Saison wird das Cha­rity Shield aus­ge­spielt, bei dem, wie beim FA Com­mu­nity Shield, Pokal­sieger und Meister der zurück­lie­genden Saison auf­ein­an­der­treffen. Hat eine Mann­schaft Liga und Pokal gewonnen, spielt sie im Cha­rity Shield gegen den Vize-Meister bezie­hungs­weise Vize-Pokal­sieger.

Big G

Andy Hicks ist eine trei­bende Kraft der Liga. Im Gegen­satz zu vielen seiner leicht bis sehr stark über­ge­wich­tigen Mit­spieler ist er fit wie ein Profi, letztes Jahr lief er auf der Nach­bar­insel Tresco den ersten Mara­thon seines Lebens und wurde Zweiter.

In das land­läu­fige Bild eines bär­bei­ßigen Insu­la­ners passt er nicht. Hicks mag elek­tro­ni­sche Musik, spielt Video­spiele und sam­melt Fuß­ball­tri­kots aus aller Welt. Und er redet viel, schnell, die Worte pur­zeln manchmal aus seinem Mund, so dass sie sich immer wieder über­schlagen. Wenn er von großen Par­tien und legen­dären Spie­lern der Scilly Foot­ball League berichtet, leuchten seine Augen.

Vor vielen Jahren gab es diesen Typen, Garraf Tor­rens, wir nannten ihn Big G‘“, erin­nert sich Hicks. Er stol­perte ständig über seine Beine, doch er kam immer wieder und wir stellten ihn auf, denn er war ein guter Junge. Dann kam es zum ent­schei­denden Match, und wir brauchten ein Tor. Plötz­lich fiel ihm der Ball genau vor die Füße, einen Meter vor der Tor­linie – und alle hielten die Luft an.“

Hicks atmet hastig, er spielt am Reiß­ver­schluss seines Arsenal-Swea­ters, und dann zeichnet er die Szene mit dem Zei­ge­finger in die Luft. Hier der Ball, dort der Fuß, das Tor war leer. Big G holte aus und schoss – an den Pfosten. Hicks brach inner­lich zusammen. Aber er schaute noch einmal hin und sah, wie der Ball vom Pfosten die Linie ent­lang hinein ins Tor kul­lerte. Nie wieder“, sagt Hicks, nie wieder habe ich so viel Erleich­te­rung und Stolz im Gesicht eines Men­schen gesehen.“

Big G ging, wie viele andere, irgend­wann aufs Fest­land. Auf der Insel hat sich in den Jahren wenig ver­än­dert. Neben dem Gar­rison Field gibt es seit einiger Zeit eine rich­tige Umklei­de­ka­bine mit einer Tak­tik­tafel an der Wand, auch das Schild Gar­rison Field – Home of the smal­lest Foot­ball League in the World“ ist neu. Außerdem hat sich Gar­ri­sons Vize­ka­pitän Hicks ange­wöhnt, vor den Spielen die Tri­kots auf einen Bügel über die ange­stammten Spie­ler­plätze zu hängen.

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Sonn­tags ist Heim­spiel auf St.Mary’s – 45 Kilo­meter vor der Küste Corn­wall und doch am Ende der Welt.

Chris­to­pher Pledger (eye­vine)

Ansonsten ist alles, wie es immer war. Und es ist, als model­lierten sie hier auf St. Mary‘s Stück für Stück die große unüber­schau­bare Fuß­ball­welt, diesen kom­plexen Apparat der Pro­fi­ligen, im Kleinen nach. Von oben betrachtet sieht die Insel aus wie eine sorg­fältig mit Pin­zette zusam­men­ge­setzte Modell­ei­sen­bahn­land­schaft. So gibt es alles genau einmal: einen Dorf­kern in Hugh Town, wo das Leben im Ver­gleich zum rest­li­chen Teil der Insel regel­recht pul­siert, einen Super­markt an der Haupt­straße, ein Museum, einen Flug­hafen auf einer Warft, eine Kirche und sogar eine Radio­sta­tion, natür­lich eben­falls die kleinste der Welt. Aus einer Dach­kammer berichtet Merryn Smith, Tor­wart der Wan­de­rers, jeden Freitag von der Scilly Foot­ball League, den lokalen Dart- und Pool-Ligen oder vom ein­zigen Rug­byteam der Insel, das immerzu auf der Suche nach Geg­nern ist. Natür­lich gibt es auch Pubs – und die sind ver­mut­lich das Ein­zige, was hier mehr­fach, näm­lich gleich viermal vor­handen ist.

Eine Miniatur-Liga braucht einen Miniatur-Ver­band

Auch die per­so­nelle Struktur der Liga ist maß­stabs­ge­treu ver­klei­nert: Es gibt einen Prä­si­denten, den 68-jäh­rigen Charles Wood, der einst eine Kre­dit­kar­ten­firma in Lis­sabon lei­tete und sich dann ent­schied, auf den Scil­lies neu anzu­fangen – in einem Hotel als Bar­mann und Por­tier. Er trug die Koffer der Gäste, öff­nete ihnen die Tür und schenkte stilles Wasser aus. Heute ist er Assistant Manager des Atlantic Inn.

Sein Liga-Sekretär ist der 29-jäh­rige Matt Thompson, der eigent­lich als Was­ser­tech­niker auf der Insel arbeitet, außerdem gibt es einen Schatz­meister, zwei Kapi­täne, die gleich­zeitig die Trainer sind, Tri­kot­spon­soren und eine Nach­wuchs­ab­tei­lung. Fans hin­gegen sind über die Jahre rar geblieben, mal schauen 30 oder 40 Leute zu, bei Regen sind es selten mehr als drei. Ground­hopper hat man auf den Scil­lies noch nie gesehen.

Was immer wieder kommt, sind die Ver­hand­lungen über die Mann­schaften vor der Saison. Anfang November treffen sich die Ver­ant­wort­li­chen der Liga mit den Kapi­tänen der Teams, die dar­aufhin ihre Kader zusam­men­stellen. Ablö­se­summen gibt es nicht. Es wird zunächst per Münz­wurf ent­schieden, wer den ersten Spieler wählen darf. Danach geht es abwech­selnd weiter. So hat man zwar stets aus­ge­gli­chene Teams, lebens­lange Ver­eins­treue kennt hier aller­dings nie­mand. Einige Spieler haben Prä­fe­renzen, Hicks etwa, der Arse­nalfan, spielt am liebsten für die Gun­ners. Der Riva­lität tut der jähr­liche Wechsel keinen Abbruch. Wenn ich für die Wan­de­rers spiele, zer­reiße ich mich auch für sie“, sagt er.

Rote Karte: ein Spiel Sperre

Mit den Regeln der eng­li­schen Foot­ball Asso­cia­tion, der die Scilly Foot­ball League unter­steht, ist dieses Ver­eins-Hop­ping unver­einbar. Doch die Wan­de­rers und die Gun­ners genießen auf­grund ihrer geo­gra­fi­schen Lage eine Son­der­stel­lung. So müssen etwa keine Spiel­ergeb­nisse oder Platz­ver­weise kom­mu­ni­ziert werden, denn das würde ver­mut­lich das Ende der Liga bedeuten. Letzte Woche sah etwa Gun­ners‘ Dave Murn­ford die Rote Karte – er hatte den Schieds­richter beschimpft. Nor­ma­ler­weise hätte er sich per­sön­lich bei der FA in Corn­wall ver­ant­worten müssen, was einer Reise von meh­reren Tage ent­spräche. So ent­schieden der Prä­si­dent, sein Sekretär und die beiden Kapi­täne: ein Spiel Sperre.