Wales hatte einen Traum vom Finale. Doch am Ende war Portugal einfach besser. Trotz der unglaublichen Fans von der Insel.
Der Waliser Joe Allen sprach nach dem Spiel leise, kaum hörbar, obwohl seine Worte Großes umrissen. „Das hier alles in Frankreich war ein Traum, sowohl die Spiele als auch unsere Fans.“ Hinter ihm trotteten seine Mitspieler mit enttäuschten Gesichtern und geöffneten Bierflaschen in der Hand vorbei. Allen fuhr fort: „Wir müssen uns nun darum kümmern, dass wir noch mehr solcher Gelegenheiten bekommen.“ Wales wird nicht mehr so lange wie vor dieser EM, nämlich 58 Jahre, auf eine Turnierteilnahme warten müssen. Doch der Traum in Frankreich, von dem Allen sprach, ist im Halbfinale beendet worden.
Ohne Ramsey war Wales nur die Hälfte wert
Nicht nur Portugal war eine zu hohe Hürde, sondern vor allem die Gelbsperre des bis dahin überragenden Aaron Ramsey im Mittelfeld. Ohne den besten Vorlagengeber spielte Wales ohne Chuzpe und Idee.
Wales’ Trainer Chris Coleman hatte sich für Andy King als Ramsey-Ersatz und damit für die defensivere Variante entschieden. Immerhin war King bewandert in der „Cinderella“-Story, die Wales bei diesem Turnier geschrieben hatte. In der abgelaufenen Premier-League-Saison hatte er mit Leicester City sensationell die Meisterschaft geholt. Auf dem Rasen arbeitete sich King durchaus fleißig im Zentrum ab, offenbarte allerdings im Spiel nach vorne seine technischen Grenzen. Wales versuchte, mit mehreren Spielern die Ramsey-Lücke zu schließen.
Bale allein reicht nicht
Diese Mannschaft war bei der EM nun mal wie ein neu errichtetes Haus, in dem der Architekt schon mal am Betonmischer steht und der Bauleiter die Fugen kittet. So setzte sich der versierte Stratege Joe Allen vor die Abwehr und fing die Bälle ab. Gareth Bale, der 100 Millionen teure Star von Real Madrid, hielt sich nicht im Angriff, sondern im Mittelfeld auf. Teilweise wetzte er tief in die eigene Hälfte, um den Spielaufbau voranzutreiben. Seine Laufleistung im ersten Durchgang war schlicht beeindruckend, denn auch am Strafraum der Portugiesen sorgte er für die einzigen gefährlichen Aktionen. In der 19. Minute versuchte er es nach einem Eckball, vier Minuten später vom Strafraum vergebens mit einem Distanzschuss.
Die aufopferungsvolle Arbeit der herausragenden Akteure ging allerdings zu Lasten ihrer Kräfte und der spielerischen Qualität. Im Viertelfinale hatten die Waliser noch mutig nach vorne gespielt, gegen die Portugiesen allerdings hielten sie sich zu sehr an die Absicherung vor dem eigenen Tor. Die Vorstöße der Außenverteidiger und die Verlagerung auf die Flügel gehörten eigentlich zu den Stärken der Briten, gegen Cristiano Ronaldo und Renato Sanches trauten sie sich diese Läufe nicht zu. Der Respekt vor den Portugiesen war zu groß, um das eigene Spiel mehr zu forcieren.
Auch das andere Stilmittel der Waliser, die Varianten bei Standardsituationen, war an diesem Abend nicht effektiv. Nach Ecken und Freistößen verloren sie sämtliche Zweikämpfe in der Luft und ließen so aussichtsreichste Situationen ungenutzt verstreichen. Bei gegnerischen Flanken verteidigte zwar Verteidiger James Collins lange unbezwingbar, doch den fulminanten Kopfball von Ronaldo zum 1:0 konnten weder er noch die anderen Verteidiger aufhalten.
Ronaldo hatte 47 Minuten nicht viel gegen die enge Deckung der Waliser zustande gebracht, doch dann schnürte er ihnen mit zwei Aktionen die Hoffnungen ab. Erst mit einem Kopfball zum 1:0, dann mit der Schussvorlage auf Nani zum 2:0. Die 53. Minute war der Abpfiff für Wales.
Als wären sie gebrochen
„Es ist einer dieser Tage, an denen ein Schuss einfach ins Tor abgefälscht wird. Wir hatten Ronaldo eigentlich im Griff, dann kommt er plötzlich mit diesen zwei Momenten um die Ecke. Das gehört leider auch zum Fußball auf diesem Niveau“, sagte Mittelfeldspieler Joe Ledley.
Die walisischen Spieler schlichen daraufhin mit den Händen in den Hüften Richtung Mittelkreis. Sie sahen aus, als hätte sie dieses 2:0 gebrochen. Zwei Distanzschüsse von Bale in der 76. und 80. Minute blieben die einzigen Tormöglichkeiten nach dem Rückstand, Portugals Rui Patricio hielt beide Male. Bale, der Anführer der Waliser, machte den Eindruck, als habe er sich in der ersten Halbzeit verschlissen. Während sein trüber Blick immer wieder auf den Boden fiel, schaute sein Madrilener Mannschaftskollege Ronaldo nach oben, um seine Aktionen in der Wiederholung auf der Videoleinwand zu bestaunen.
Es fehlten Kraft, Mut und Ramsey
Die Waliser schufteten zwar weiter, doch der Abend von Lyon hielt keinerlei Inspiration mehr für sie bereit. Sie spielten lange, ungenaue Bälle vor den gegnerischen Strafraum, ihre Abspiele wurden unkonzentrierter und ihre Bewegungen immer langsamer. Wales war an diesem Abend unzweifelhaft schlechter als Portugal, der Mannschaft fehlten Kraft, Mut und Ramsey.
Drei Minuten vor dem Abpfiff war das Aus schon unumstößlich besiegelt, da erhob sich der walisische Chor aus 15000 Kehlen im Stadion. Sie sangen Calon lân, ein Kirchenlied, eine Hymne, die die vielen Rugbyfans auf die Fußballränge gebracht hatten. Bis unters Stadiondach hallte: Dim ond calon lan all ganu, canu’r dydd a chanu’r nos. Etwa: Nichts außer ein aufrechtes Herz kann singen, singen am Tag und in der Nacht. Und genau das taten die Waliser in der Nacht von Lyon, mit ungebrochener Zuneigung für ihr Team. Eines, das dreieinhalb Wochen lang tatsächlich mit Herz gespielt hatte.