Am Freitagabend bekannte sich der Fußballprofi Robbie Rogers zu seiner Homosexualität. Marcus Urban, der sich 2007 geoutet hatte, findet das mutig und tragisch zugleich. Ein Gespräch über die DFB-Arbeitsgruppe „Outing“, einen Paradigmenwechsel und eine veränderte Stadionkultur.
Marcus Urban, am Freitag hat sich der US-amerikanische Fußballprofi Robbie Rogers zu seiner Homosexualität bekannt. Was bedeutet dieser Schritt für den Fußball?
Sein Coming-out hat eine neue Qualität, denn Rogers war Nationalspieler und etablierter Profi in England. Ich finde den Schritt sehr mutig und tragisch zugleich. Er spiegelt letztendlich die Verhältnisse wider. Eigentlich sollte der Sport ja glücklich machen. Im Falle von Rogers ist das aber anders: Erst durch die Beendigung seiner sportlichen Karriere kann er glücklich werden.
Ehemalige Mitspieler wie Kasey Keller haben ihm zu dem Schritt gratuliert und ihre Unterstützung zugesagt. Sogar Sepp Blatter bedankte sich. Schließen Sie einen Rücktritt vom Rücktritt aus?
Die Angebote, die jetzt kommen, sind sehr ehrenvoll, doch man hätte in den USA schon lange vorher Voraussetzungen schaffen müssen, damit ein Spieler sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekennen kann, ohne daran zu denken, die Karriere danach zu beenden.
Mit der DFB-Arbeitsgruppe „Outing“ erarbeiten Sie momentan das Strategiepapier „Umgang mit Coming-outs im Fußball“. Inwiefern haben sich die Voraussetzungen dafür in den vergangenen Jahren verändert?
Durch das viel diskutierte Interview mit dem homosexuellen Fußballer (Mitte September veröffentlichte das Magazin fluter.de ein Interview mit einem anonymisierten homosexuellen Fußballprofi, d. Red.) war das Thema in Deutschland wieder verstärkt in den Fokus der medialen Öffentlichkeit gekommen. Es haben sich in der Folge wichtige Personen dazu geäußert. Uli Hoeneß hat etwa gesagt, dass sich die Vereine auf ein mögliches Outing vorbereiten müssen. Das ist ein richtiger Ansatz und der DFB arbeitet aus diesem Grund mit einer Arbeitsgruppe an einem Handlungsleitfaden für Verbände und Vereine.
Selbst Angela Merkel hat das Thema Coming-out ausgesprochen.
Am 14. September 2012 war Angela Merkel zu Gast bei einer Veranstaltung der Bundesliga-Integrationsaktion „Geh deinen Weg“. Zwei Tage zuvor war das besagte Interview mit dem anonymen Fußballer erschienen. Wenn man so will, war es ein glücklicher Zufall.
Was raten Sie den Betroffenen im ersten Schritt?
Sie sollten sich einen möglichst sicheren Rahmen für ihr Coming-out schaffen. Sie müssen es also sukzessive vorbereiten. Der walisische Rugby-Profi Gareth Thomas ist ein gutes Vorbild (bekannte sich im Dezember 2009 zu seiner Homosexualität, d. Red.). Er hat zunächst seiner Frau verraten, dass er schwul ist. Danach seinem Trainer und schließlich zwei Mitspielern. Er hatte also eine Vertrauensbasis, bevor er an die Öffentlichkeit ging.
Das Echo auf das Coming-out eines Bundesligapielers wäre ungleich höher. Was bereitet Ihnen mehr Sorgen: Die Reaktionen der Fans oder die Hysterie der Medien?
Beides könnte immens sein. Den Medien kommt auf jeden Fall eine wichtige Rolle bei einem Outing Coming out zu. Denn ein Profifußballer soll ja vor allem eines: Fußball spielen. Wenn es nach einem Coming-out allerdings nur noch um seine Sexualität geht, wenn täglich der Boulevard vor der Tür steht, kann das sowohl für den Spieler als auch für den Verein problematisch werden. Es ist daher wichtig, alle Beteiligten – Fans, Verbände, Vereine und Medien – auf dieses Thema behutsam vorzubereiten.
Lothar Matthäus rät Spielern von einem Coming-out ab. Die Fans seien zu gehässig, sagt er. Wie sehen Sie das?
Matthäus kommt aus einer anderen Generation. Die heutige Stadionkultur ist doch viel moderner als vor 20 Jahren. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass es vielen Fans auf den Keks geht, dass man sie oftmals als dämlich, gewalttätig oder schwulenfeindlich darstellt. Ich glaube, die meisten Fußballanhänger wünschen sich vielmehr, dass sich gesellschaftliche Errungenschaften auch im Stadion zeigen.
Bei der Diskussion um Homosexualität im Fußball steht oftmals die Frage vorweg: „Wann outet sich der erste Spieler?“ Berichte sind betitelt mit „Das letzte Geheimnis des Fußballs“. Ist das ein Klima, in dem sich ein Profi outen sollte, wenn er seine Karriere danach nicht beenden will?
Seit 2006 versuchen wir Menschen für das Thema „Homosexualität im Fußball“ zu sensibilisieren, und ich denke, dass seitdem vieles besser geworden ist, dass über vieles behutsamer und fern von Hysterie berichtet werden kann. Das sieht man auch daran, dass sich die Schlagzahl der Ereignisse erhöht. Im Herbst 2012 hat sich etwa der brandenburgische Schiedsrichter Burkhard Bock geoutet. Er hatte seine sexuelle Orientierung jahrzehntelang versteckt gehalten. Mittlerweile ist er ein Vorbild. Auch die Reaktionen zum Coming-out von Robbie Rogers zeigen, dass Mitspieler oder Funktionäre heute besser verstehen, wie wichtig es ist, sich hinter den Spieler zu stellen.
Was muss noch besser werden?
Da gibt es einiges. Das fängt schon bei der Sprache an. Mir fällt immer wieder auf, wie Reporter über „weibliche Fans“ oder „Spielerfrauen“ sprechen. Wieso muss man das „weiblich“ so hervorheben? Und wieso sagt man nicht einfach „Partner“? Außerdem würde ich mir wünschen, dass häufiger auf Aktionen hingewiesen wird. Bei einem Länderspiel zwischen Deutschland und Finnland im Jahr 2010 hatte der DFB tausende Flyer gegen Homophobie verteilt. Der Reporter hat die Aktion während der Übertragung nicht einmal erwähnt.
Was versprechen Sie sich von einem Coming-out, bei dem ein Spieler auch danach aktiv bliebe?
Die Stadionkultur und der Fußballsport generell bekämen eine neue postive Ergänzung, neue Zielgruppen, Kreativität und Möglichkeiten würden sich auftun. Nach einer anfänglichen Aufregung werden wir eine neue Lockerheit im Fußballsport erleben und genießen können. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Wir stünden vor einer gesellschaftlichen Veränderung.
Wie meinen Sie das?
Durch ein Coming-out eines Profifußballers würde man das Bild von Männern und Frauen neu betrachten. Das mag banal klingen, doch gerade im ländlichen Raum sind die Menschen oft noch sehr klischeeverhaftet, weil bisweilen der direkte Kontakt zu unterschiedlichen Lebensformen oder Sichtweisen und der Diversity-Vielfalt-Ansatz fehlt. Es liegt also möglicherweise nicht nur an den Menschen selbst, sondern an den Rahmenbedingungen sowie Informations- und Kontaktdefiziten. Aber wie kann das gelöst werden? Soziale Kontakte unter Männern laufen auf dem Land zum Beispiel über den Einsatz in der Feuerwehr, im Schützenverein oder eben im Fußballverein. Dort kann der Fußballsport mit modernen Themen punkten und die Menschen und das Land ein Stück weit positiv beeinflussen. Ein Coming-out könnte also einen Paradigmenwechsel zur Folge haben.