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Marcus Urban, am Freitag hat sich der US-ame­ri­ka­ni­sche Fuß­ball­profi Robbie Rogers zu seiner Homo­se­xua­lität bekannt. Was bedeutet dieser Schritt für den Fuß­ball?
Sein Coming-out hat eine neue Qua­lität, denn Rogers war Natio­nal­spieler und eta­blierter Profi in Eng­land. Ich finde den Schritt sehr mutig und tra­gisch zugleich. Er spie­gelt letzt­end­lich die Ver­hält­nisse wider. Eigent­lich sollte der Sport ja glück­lich machen. Im Falle von Rogers ist das aber anders: Erst durch die Been­di­gung seiner sport­li­chen Kar­riere kann er glück­lich werden.
 
Ehe­ma­lige Mit­spieler wie Kasey Keller haben ihm zu dem Schritt gra­tu­liert und ihre Unter­stüt­zung zuge­sagt. Sogar Sepp Blatter bedankte sich. Schließen Sie einen Rück­tritt vom Rück­tritt aus?
Die Ange­bote, die jetzt kommen, sind sehr ehren­voll, doch man hätte in den USA schon lange vorher Vor­aus­set­zungen schaffen müssen, damit ein Spieler sich öffent­lich zu seiner Homo­se­xua­lität bekennen kann, ohne daran zu denken, die Kar­riere danach zu beenden.
 
Mit der DFB-Arbeits­gruppe Outing“ erar­beiten Sie momentan das Stra­te­gie­pa­pier Umgang mit Coming-outs im Fuß­ball“. Inwie­fern haben sich die Vor­aus­set­zungen dafür in den ver­gan­genen Jahren ver­än­dert?
Durch das viel dis­ku­tierte Inter­view mit dem homo­se­xu­ellen Fuß­baller (Mitte Sep­tember ver­öf­fent­lichte das Magazin fluter​.de ein Inter­view mit einem anony­mi­sierten homo­se­xu­ellen Fuß­ball­profi, d. Red.) war das Thema in Deutsch­land wieder ver­stärkt in den Fokus der medialen Öffent­lich­keit gekommen. Es haben sich in der Folge wich­tige Per­sonen dazu geäu­ßert. Uli Hoeneß hat etwa gesagt, dass sich die Ver­eine auf ein mög­li­ches Outing vor­be­reiten müssen. Das ist ein rich­tiger Ansatz und der DFB arbeitet aus diesem Grund mit einer Arbeits­gruppe an einem Hand­lungs­leit­faden für Ver­bände und Ver­eine.
 
Selbst Angela Merkel hat das Thema Coming-out aus­ge­spro­chen.
Am 14. Sep­tember 2012 war Angela Merkel zu Gast bei einer Ver­an­stal­tung der Bun­des­liga-Inte­gra­ti­ons­ak­tion Geh deinen Weg“. Zwei Tage zuvor war das besagte Inter­view mit dem anonymen Fuß­baller erschienen. Wenn man so will, war es ein glück­li­cher Zufall.
 
Was raten Sie den Betrof­fenen im ersten Schritt?
Sie sollten sich einen mög­lichst sicheren Rahmen für ihr Coming-out schaffen. Sie müssen es also suk­zes­sive vor­be­reiten. Der wali­si­sche Rugby-Profi Gareth Thomas ist ein gutes Vor­bild (bekannte sich im Dezember 2009 zu seiner Homo­se­xua­lität, d. Red.). Er hat zunächst seiner Frau ver­raten, dass er schwul ist. Danach seinem Trainer und schließ­lich zwei Mit­spie­lern. Er hatte also eine Ver­trau­ens­basis, bevor er an die Öffent­lich­keit ging.
 
Das Echo auf das Coming-out eines Bun­des­li­ga­pie­lers wäre ungleich höher. Was bereitet Ihnen mehr Sorgen: Die Reak­tionen der Fans oder die Hys­terie der Medien?
Beides könnte immens sein. Den Medien kommt auf jeden Fall eine wich­tige Rolle bei einem Outing Coming out zu. Denn ein Pro­fi­fuß­baller soll ja vor allem eines: Fuß­ball spielen. Wenn es nach einem Coming-out aller­dings nur noch um seine Sexua­lität geht, wenn täg­lich der Bou­le­vard vor der Tür steht, kann das sowohl für den Spieler als auch für den Verein pro­ble­ma­tisch werden. Es ist daher wichtig, alle Betei­ligten – Fans, Ver­bände, Ver­eine und Medien – auf dieses Thema behutsam vor­zu­be­reiten.
 
Lothar Mat­thäus rät Spie­lern von einem Coming-out ab. Die Fans seien zu gehässig, sagt er. Wie sehen Sie das?
Mat­thäus kommt aus einer anderen Gene­ra­tion. Die heu­tige Sta­di­on­kultur ist doch viel moderner als vor 20 Jahren. Ich habe jeden­falls den Ein­druck, dass es vielen Fans auf den Keks geht, dass man sie oft­mals als däm­lich, gewalt­tätig oder schwu­len­feind­lich dar­stellt. Ich glaube, die meisten Fuß­ball­an­hänger wün­schen sich viel­mehr, dass sich gesell­schaft­liche Errun­gen­schaften auch im Sta­dion zeigen.
 
Bei der Dis­kus­sion um Homo­se­xua­lität im Fuß­ball steht oft­mals die Frage vorweg: Wann outet sich der erste Spieler?“ Berichte sind beti­telt mit Das letzte Geheimnis des Fuß­balls“. Ist das ein Klima, in dem sich ein Profi outen sollte, wenn er seine Kar­riere danach nicht beenden will?
Seit 2006 ver­su­chen wir Men­schen für das Thema Homo­se­xua­lität im Fuß­ball“ zu sen­si­bi­li­sieren, und ich denke, dass seitdem vieles besser geworden ist, dass über vieles behut­samer und fern von Hys­terie berichtet werden kann. Das sieht man auch daran, dass sich die Schlag­zahl der Ereig­nisse erhöht. Im Herbst 2012 hat sich etwa der bran­den­bur­gi­sche Schieds­richter Burk­hard Bock geoutet. Er hatte seine sexu­elle Ori­en­tie­rung jahr­zehn­te­lang ver­steckt gehalten. Mitt­ler­weile ist er ein Vor­bild. Auch die Reak­tionen zum Coming-out von Robbie Rogers zeigen, dass Mit­spieler oder Funk­tio­näre heute besser ver­stehen, wie wichtig es ist, sich hinter den Spieler zu stellen.


Was muss noch besser werden?
Da gibt es einiges. Das fängt schon bei der Sprache an. Mir fällt immer wieder auf, wie Reporter über weib­liche Fans“ oder Spie­ler­frauen“ spre­chen. Wieso muss man das weib­lich“ so her­vor­heben? Und wieso sagt man nicht ein­fach Partner“? Außerdem würde ich mir wün­schen, dass häu­figer auf Aktionen hin­ge­wiesen wird. Bei einem Län­der­spiel zwi­schen Deutsch­land und Finn­land im Jahr 2010 hatte der DFB tau­sende Flyer gegen Homo­phobie ver­teilt. Der Reporter hat die Aktion wäh­rend der Über­tra­gung nicht einmal erwähnt.
 
Was ver­spre­chen Sie sich von einem Coming-out, bei dem ein Spieler auch danach aktiv bliebe?
Die Sta­di­on­kultur und der Fuß­ball­sport gene­rell bekämen eine neue pos­tive Ergän­zung, neue Ziel­gruppen, Krea­ti­vität und Mög­lich­keiten würden sich auftun. Nach einer anfäng­li­chen Auf­re­gung werden wir eine neue Locker­heit im Fuß­ball­sport erleben und genießen können. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Wir stünden vor einer gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­rung.
 
Wie meinen Sie das?
Durch ein Coming-out eines Pro­fi­fuß­bal­lers würde man das Bild von Män­nern und Frauen neu betrachten. Das mag banal klingen, doch gerade im länd­li­chen Raum sind die Men­schen oft noch sehr kli­schee­ver­haftet, weil bis­weilen der direkte Kon­takt zu unter­schied­li­chen Lebens­formen oder Sicht­weisen und der Diver­sity-Viel­falt-Ansatz fehlt. Es liegt also mög­li­cher­weise nicht nur an den Men­schen selbst, son­dern an den Rah­men­be­din­gungen sowie Infor­ma­tions- und Kon­takt­de­fi­ziten. Aber wie kann das gelöst werden? Soziale Kon­takte unter Män­nern laufen auf dem Land zum Bei­spiel über den Ein­satz in der Feu­er­wehr, im Schüt­zen­verein oder eben im Fuß­ball­verein. Dort kann der Fuß­ball­sport mit modernen Themen punkten und die Men­schen und das Land ein Stück weit positiv beein­flussen. Ein Coming-out könnte also einen Para­dig­men­wechsel zur Folge haben.