Heute vor 100 Jahren kam Milan-Legende Gunnar Nordahl zur Welt. Ein guter Zeitpunkt, um ihn und seine Familie zu würdigen – sozusagen die Jackson 5 des Fußballs. Das heißt, eigentlich waren sie sogar zu sechst.
Man weiß nicht genau, was da los ist in Skandinavien. Vielleicht liegt es einfach an den langen, dunklen Wintern, aber dieser Teil der Welt produziert erstaunlich viele Fußballfamilien. Man denke nur an die Flos aus Norwegen (die vier Brüder Kjell Rune, Jostein, Jarle und Tore André spielten alle als Profis, von ihren Cousins, Neffen und Söhnen wollen wir erst gar nicht anfangen). Oder die Laudrups aus Dänemark, bei denen gerade die vierte Generation von Nationalspielern in den Startlöchern stehen dürfte.
Kein Wunder also, dass auch die erstaunlichste Familie überhaupt aus dem Norden Europas kam. Man stelle sich das einfach mal vor: Da wachsen fünf Brüder in einem kleinen Ort 600 Kilometer nördlich von Stockholm auf. Alle fünf werden Profis. Vier werden Nationalspieler. Drei gewinnen zusammen einen wichtigen Titel für ihr Land, spielen dann in der Serie A – und werden alle zu Schwedens Fußballer des Jahres gewählt! Ach ja, und der jüngste der fünf kickt so lange auf höchstem Niveau, dass er noch aktiver Profi ist, als sein Neffe zum fünften A‑Nationalspieler der Familie wird.
Die Rede ist von den unglaublichen Nordahls. Wer sich ein wenig mit Fußballgeschichte beschäftigt, dem müsste Gunnar Nordahl ein Begriff sein, eine der größten Legenden des AC Mailand, zweifacher Meister und fünfmaliger Torschützenkönig in der Serie A, dazu noch viermal in Folge Meister in Schweden mit Norrköping. Doch um die Familie aufzudröseln fangen wir besser bei seinem Vater an, einem Mann namens Karl Emil Nordahl, der 1886 in der kleinen Stadt Hörnefors am Bottnischen Meerbusen geboren wurde. Traditionell waren die Nordahls Schmiede, doch Karl Emil musste sich als Arbeiter in einer Papierfabrik durchschlagen, um seine Kinder zu ernähren.
Il pompiere – der Feuerwehrmann
Und von denen gab es einige. Zuerst kamen drei Mädchen zur Welt, dann der erste Junge – Bertil. Am 13. Januar 1920, heute vor 100 Jahren, erblickte dann Knut das Licht der Welt. Und nur ein Jahr später folgte Gunnar. Alle drei begannen beim lokalen Verein, Hörnefors IF, mit dem Fußball, doch bald trennten sich ihre Wege. Bertil und Gunnar wechselten zunächst zu Degerfors, Knut schloss sich dem IFK Norrköping an. Als Vollprofis konnten die drei allerdings nicht spielen, denn noch gab es in Schweden keinen Berufsfußball. So arbeitete Gunnar in Degerfors bei der Brandbekämpfung, weshalb man ihn später in Italien Il pompiere nannte, Feuerwehrmann.
Während das Trio für Aufsehen im schwedischen Fußball sorgte, erhielt es unerwartete Verstärkung. Im November 1928, sieben Jahre nach Gunnars Geburt, bekam Karl Emils Frau Anna noch einmal Nachwuchs. Sie war fast 40, und wie das bei Spätgebärenden auch auf ganz natürlichem Weg recht häufig passiert, kamen Zwillinge zur Welt: Gösta und Göran. Auch sie spielten zuerst bei Hörnefors IF und wurden dann, 1950, zusammen zum Probetraining nach Norrköping eingeladen.
Es dürfte dabei eine Rolle gespielt haben, dass ihr Familienname da schon einen legendären Klang hatte. Gunnar war 1947 zu Schwedens Fußballer des Jahres gewählt worden, Bertil wurde diese Ehre 1948 zuteil, und Kurt schafft es dann 1949. Zusammen hatten die drei die schwedische Nationalelf zu ihrem bis heute einzigen Titel geführt, der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1948 in London. So stark war der Auftritt der schwedischen Amateure, dass gleich sieben von ihnen in den nächsten Jahren Profiverträge in Italien bekamen, darunter Gunnar (Milan), Bertil (Atalanta Bergamo) und Knut (AS Rom). Im Gegensatz zu seinen Brüdern, die als Profis aus der Nationalelf verbannt wurden, wartete Knut mit seinem Wechsel nach Italien allerdings bis nach der WM 1950, weshalb er als einziger der ersten Nordahl-Generation an einer Weltmeisterschaft teilnahm – und immerhin Dritter wurde.
Gösta und Göran, die zwei Nachzügler, konnten es nicht so ganz mit ihren großen Brüdern aufnehmen, obwohl sie auch Erfolg auf dem Fußballplatz hatten. Göran spielte ein Jahr für Norrköping in der ersten Liga. Nach allem, was man hört, war er nicht weniger talentiert als sein Zwillingsbruder, mochte aber den Trubel des Wettkampfsports nicht und vermisste seine Heimat. Mit 23 Jahren kehrte er nach Hörnefors zurück, wurde Handwerker in derselben Fabrik, in der schon sein Vater gearbeitet hatte, und war nebenbei für die Feuerwehr aktiv.
Noch ein Nordahl bei der WM
Fast wäre auch Gösta diesem Beispiel gefolgt. Er holte 1952 mit Norrköping die Meisterschaft und wechselte dann plötzlich zum Zweitligisten Holmsund, damit er wieder in Hörnerfors leben konnte. Im Herbst 1957, als Schweden dabei war, eine Mannschaft für die WM im eigenen Land aufzubauen, wurde er überraschend zu einem Länderspiel berufen. Es blieb zwar sein einziges, aber im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder hängte er die Schuhe nicht vorzeitig an den Nagel. Im Gegenteil: Kurz vor seinem 38. Geburtstag stieg er mit Holmsund in die erste Liga auf und spielte dort noch eine Saison. Als er im Oktober 1967 seine Karriere beendete, war sein Neffe gerade Nationalspieler geworden.
Jener nächste Nordahl hieß Thomas und war der Sohn von Gunnar. Er lief 15-mal für Schweden auf, einmal sogar bei der WM 1970 in Mexiko. Um ein Haar hätte Thomas auch die Familientradition fortgesetzt, in der Serie A zu spielen, denn 1968 unterschrieb er einen Vertrag bei Juventus. Doch dann führte die Serie A eine Ausländersperre ein, und Juve musste Thomas an den RSC Anderlecht ausleihen. Als die Sperre auch nach drei Jahren noch nicht aufgehoben worden war, ging der Spieler zurück nach Schweden, schloss sich Örebro an und spielte noch bis 1980. Als 1995 ein Traditionsverein in Abstiegsgefahr geriet, sprang Thomas dort als Cheftrainer ein und hielt in der Relegation der Klasse. Welcher Verein das war? Natürlich Norrköping, wo eine Statue seines Vaters steht und wo die Fantribüne nach einer unglaublichen Familie benannt ist: Curva Nordahl.