Jon Darch kämpft seit Jahren für die Wiedereinführung der Stehplätze auf der Insel. Im Interview spricht er über die Stadion-Revolution in Glasgow und die Folgen.
Jon Darch setzt sich seit vielen Jahren für die Einführung der Stehplätze in England ein, unter anderem mit seiner „Safe Standing Roadshow“. Weitere Infos gibt es hier.
Herr Darch, Celtic hat angekündigt, wieder Stehplätze einzuführen. Für viele kam die Meldung überraschend. Für Sie auch?
Nein, ich war mit meiner Safestanding-Roadshow schon einige Mal bei Celtic, erstmals im Mai 2011. Der Verein stand dem Projekt immer sehr offen gegenüber und wollte es eigentlich schon im vergangenen Sommer umsetzen. Damals ist es noch an den Bedenken der Stadt gescheitert, die der Verein nun ausräumen konnte. In Schottland gibt es kein Gesetz, das die Stehplätze verbietet. Der Weg ist also schneller frei für eine Umsetzung.
Wie sieht das Vorhaben von Celtic denn konkret aus?
Zunächst einmal sollen 2600 variable Sitze, wir sagen „rail seats“, eingebaut werden. Das heißt, dass die Fans bei Ligaspielen dort stehen und bei internationalen Spielen den Sitz herunterklappen können. Schließlich schreibt die Uefa bei europäischen Spielen all-seater, also Stadien nur mit Sitzplätzen vor. Sie wissen selbst aus Deutschland, dass die Fans bei solchen Spielen aber trotzdem lieber stehen.
Warum, glauben Sie, nimmt gerade Celtic diese Vorreiterrolle ein?
Der Geschäftsführer und der Stadionmanager sind seit Jahren Verfechter von Stehplätzen. Vor allem – und das haben Sie in der offiziellen Erklärung deutlich gemacht – aufgrund der erhöhten Sicherheit. Nur um einmal ein Beispiel zu nennen: Momentan stehen die Fans in einem Block des Stadions sowieso während des Spiels. Wenn dann in der 90. Minute das Siegtor fällt, können Sie sich vorstellen, was passiert. Die Fans stolpern beim Jubel über die Sitze und ziehen sich Verletzungen zu.
Werden andere Vereine es Celtic gleichtun?
Ja, der Vorsitzende von Dundee United hat sich schon sehr positiv zu dieser Idee geäußert. Bei Ross County, einem kleineren Verein, hoffen sie, ab der Saison 2016/17 Stehplätze einzuführen. Ich gehe davon aus, dass auch andere und größere Vereine nachziehen.
Sie haben England gerade schon angesprochen. Wie weit ist dort die Bereitschaft, Stehplätze wieder einzuführen?
Die Fans wollen Stehplätze. In jedem englischen Stadion steht sowieso ein Block der Heimkurve und der komplette Gästebereich. Das ist nicht gerade schön für jene Fans, die einfach keine 90 Minuten stehen können, ältere Menschen zum Beispiel. Mit unserer Kampagne richten wir uns also nicht nur an Fans, die stehen wollen. Nein, wir wollen den Auswärtsfahrern eine Wahl bieten. Wir würden im Auswärtsblock sowohl „rail seats“ als auch normale Sitze anbieten.
An wem scheiterte die Einführung bislang?
An den Politikern zunächst einmal. Sie wollen nicht zugeben, dass sie mit der Verbannung der Stehplätze vor 25 Jahren einen Fehler begangen haben. Wir wollen erreichen, dass sie zumindest die Augen öffnen: Beim Finale in Wembley vor einigen Wochen stand der gesamte Unterrang des Stadions. Das kann keiner der Verantwortlichen leugnen.
Bei manchen englischen Vereinen wurden den Fans die Dauerkarten entzogen, weil sie während des Spiels standen.
Richtig, das waren Einzelfälle. Im Gesetz steht aber nicht, dass Fans im Stadion sitzen müssen, lediglich dass die Vereine Sitzplätze anbieten müssen. In den Stadienordnungen der Vereine mit Sitzplatzstadien ist jedoch festgehalten, dass langes Stehen untersagt ist.
Bedarf es in England also einer Gesetzesänderung für die Wiedereinführung der Stehplätze?
Nein. Lassen Sie es mich so erklären: Vereine in der dritten oder vierten Liga verfügen über Stehplätze. Wenn sie aber dann aufsteigen, müssen sie trotzdem ihr komplettes Stadion umrüsten. Es bedürfte nur einer Änderung von John Whittingdale, des Ministers für Kultur, Medien und Sport, um diese Anforderungen zu modifizieren.
Ist das realistisch?
Ich bin optmistisch, was das betrifft. Seit den Wahlen haben wir eine fußballbegeisterte Frau als Sportministerin, Tracey Crouch. Sie könnte eine entscheidende Fürsprecherin sein, während ihr Vorgänger sich keinen Deut für Fußball interessierte.
Blieben noch die Vereine als mögliche Hürde.
Nicht so sehr die Vereinsfunktionäre als eher die Besitzer, die Investoren. Sie behandeln Fußball unter der Kosten-Nutzen-Rechnung. In ihren Augen kostet der Umbau von Stehplätzen zu Sitzplätzen bei europäischen Spielen natürlich Geld, das sie nicht ausgeben wollen. Aber gerade deswegen wollen wir die „rail seats“ einführen, also die ausklappbaren Sitze. Und von dieser Idee sind sehr viele Klubs angetan. Und schließlich würde sich bei der Einführung von Stehplätzen auch die Stadionkapazität erhöhen.
Stehen manche Vereinsoffiziellen der Einführung von Stehplätzen kritisch gegenüber, weil sie dann die Preise senken müssten?
Das muss nicht zwingend so sein. Einige werden die Preise wohl behalten, wie diese zur Zeit für Sitzplätze ausgerichtet sind. Aber selbst wenn es so wäre, wäre das auch kurzsichtig gedacht. Bei vielen Funktionären des Verbandes hat sich immerhin die Einsicht durchgesetzt, dass ein Unterschied bei den Preisen nicht unbedingt schädlich ist.
Warum?
Erstens: Momentan kostet ein Sitzplatz hinter dem Tor fast genauso viel wie einer auf Höhe der Mittellinie. Die Leute auf der Haupttribüne fordern beim jetzigen Stand eine Preisreduzierung, bei der Einführung von Stehplätzen würden sie sich aber nicht mehr beschweren, weil sie ja für ein besseres „Produkt“ zahlen. Clevere Vereine sehen also den Vorteil bei den „rail seats“ auch darin, dass der Druck schwindet, die Ticketpreise im restlichen Stadion zu senken.
Und zweitens?
Zweitens dämmert ihnen, dass sie die Jugendlichen vergrault haben. Die Zuschauer der Premier League sind zu alt, sie sterben der Liga buchstäblich weg. Die 16- bis 30-Jährigen können sich einen Stadionbesuch nicht mehr leisten. Und eins ist klar: Wenn der Fußball diese Jungs und Mädels in diesem Alter verliert, dann verliert er sie für immer. Die Vereine verlieren damit ihre zukünftigen Anhänger. Auch das ist etwas, was die Stehplätze verhindern können.