Ole out. Ralle in: Ralf Rangnick wird neuer Trainer bei Manchester United. Mit gemischten Gefühlen wird man dort auf die Zeit mit Ole Gunnar Solskjær zurückblicken. Genau wie Rangnick war der Norweger nur als Interimstrainer eingeplant – und hätte rückblickend nie mehr als das sein dürfen.
Ole Gunnar Solskjærs Name ist untrennbar mit dem Champions-League-Triumph von 1999 verknüpft. Mit den brutalsten Sekunden der Münchner Vereinsgeschichte. Als Solskjær 2018 zunächst interimsweise das Traineramt bei Manchester United übernahm, fühlte sich das nicht nur für ihn selbst nach einer bedeutungsvollen Heimkehr an, auch die Anhänger Uniteds verspürten eine wohlig aufkommenden Nostalgie, als der Norweger den vakanten Trainerposten bekam.
Nach dem Aus von José Mourinho ging es in Manchester zunächst vor allem darum, wieder eine positive Atmosphäre im Verein zu erzeugen. Die Stimmung war zum Zeitpunkt von Solskjærs Amtsantritts mehr als angespannt. Vor allem die Top-Verdiener Paul Pogba und Alexis Sanchez waren grantig. Das Verhältnis zu Mourinho galt als äußerst angespannt.
Ole Gunnar Solskjær sollte deswegen für einen Stimmungswandel im Klub und um den Klub herum sorgen. Aus dem Verein sollte wieder eine Einheit geformt werden. Dafür wurde er zunächst bis zum Saisonende vom norwegischen Erstligisten Molde FK an United ausgeliehen. Eine unkonventionelle Lösung. Solskjær sprach im vereinseigenen Sender damals vielsagend: „Es sind sechs Monate. Ich werde die Reise genießen, weiß aber auch, dass der Klub gerade auf der Suche nach dem nächsten Trainer ist.“
Es wurden drei Jahre draus. Und das Abziehbild seines jahrzehntelangen Engagements in Manchester, samt 1999er-Drama, hat einen Beigeschmack bekommen.
Solskjærs Start verlief besser als erwartet. Die ersten acht Spiele unter seiner Regie wurden allesamt gewonnen. Nicht nur bei den Fans nährte sich die Hoffnung an eine erfolgreiche Zeit anzuknüpfen, wie sie sie zuletzt unter Sir Alex Ferguson erlebt hatten. Freudetrunken skandierten sie im Old Trafford: „Ole’s at the wheel, tell me how good does it feel“ – Ole ist am Steuer, sag mir, wie gut es sich anfühlt. Nach dem Karussell um die Ex-Trainer David Moyes, Louis van Gaal und José Mourinho sehnte man sich nach Konstanz.
Der Norweger stand sinnbildlich als ein Teil der erfolgreichsten Vereinsepoche, denn als Spieler gewann er die Königsklasse, sechs Meisterschaften und schoss dabei 123 Toren in 359 Pflichtspielen. Solskjær brachte ein Stück weit das Gefühl zurück, was seit Ferguson nicht mehr zurückgekehrt ist: Manchester United verkörperte wieder etwas Weltmännisches, eine Selbstverständlichkeit.
Aus angedachten sechs Monaten im Traineramt wurden schließlich knappe 36. Der Erfolg hatte ihm zunächst Recht gegeben: Von seinen ersten 19 Spielen gewann er mit United 14. Obendrein zogen die Red Devils ins CL-Viertelfinale ein. Euphorie und Begeisterung kehrten endgültig zurück.
So schien es nur folgerichtig, dass Solskjærs Vertrag verlängert wurde. Dabei überwog bei den Verantwortlichen in Manchester vor allem die Vertrautheit. Denn dem erfolgreichen Start zum Trotz, hatte Solskjær bis dato ausgesprochen wenig Erfahrung und Format für den anspruchsvollen Trainerjob in Manchester.
Doch der Erfolg währte nicht lange. Ironischerweise bekam die bis dahin fruchtbare Zusammenarbeit nach seiner Vertragsverlängerung im März 2019 einen Knick. Plötzlich lief nicht mehr viel zusammen bei United. Im Viertelfinale der Königsklasse schied man anschließend sang- und klanglos gegen den FC Barcelona aus und gewann nur zwei aus den letzten 12 Saisonspielen.
Die Saison beendeten die Red Devils letztendlich auf dem selben sechsten Platz, auf dem der Norweger United im Winter übernommen hatte. Die Qualifikation für die Champions League war verpasst. Eine Katastrophe. Eine, die Solskjær unbedingt vermeiden sollte. Gerade dafür wurde er geholt. Doch es geschah etwas Ungewöhnliches: Dem Trainer wurde demonstrativ die nötige Zeit zugesprochen, um mit einer vollständigen Vorbereitung und seiner jungen Mannschaft einen neuen Anlauf nehmen zu können.
In seiner zweiten Saison machte Solskjær daraufhin vieles richtig und traf einige mutige Entscheidungen. Erfahrenen Spielern wie Paul Pogba und Nemanja Matic setzte er junge, aufstrebende Spieler aus der Jugend an die Seite. So entwickelten sich etwa Mason Greenwood und Marcus Rashford zu gestandenen Premier-League-Spielern. Die Mischung macht’s. Trotz vermeintlicher Individualisten stand wieder ein Team auf dem Rasen.
Vor allem der Transfer von Bruno Fernandes im Januar 2020 entpuppte sich als Königstransfer. Er wurde aufgrund seiner Präsenz zum verlängerten Arm des Trainers auf dem Platz. Manchester spielte die Saison letztlich solide herunter und beendet sie auf dem dritten Tabellenplatz. Erst zum zweiten Mal nach der Ferguson-Ära landete United somit wieder unter den ersten dreien der Premier League.
Im Januar 2021 schien United dann auf dem Höhepunkt einer steten Entwicklung angekommen zu sein. Mit drei Punkten Vorsprung führten sie die Tabelle vor Meister Liverpool an. Das Titelrennen an der Spitze war so eng wie lange nicht mehr. Die erste Meisterschaft seit neun Jahren schien, nun ja, immerhin kein Traumschloss mehr zu sein.
Vor allem das Gefüge innerhalb der Mannschaft griff endlich vollständig, nachdem es ohnehin Solskjærs größte Aufgabe war, die Mannschaft wieder zu einer Gemeinschaft zu formen. Zudem funktionierten Neuverpflichtungen wie Edinson Cavani sofort, auch junge Spieler wie Aaron Wan-Bissaka und Scott McTominay konnten sich unter der ruhigen Hand des Trainers kontinuierlich weiterentwickeln.
Doch United konnte seine Konstanz in der Rückrunde nicht mehr halten und gewann vor allem selten gegen die großen Teams. Man ließ Rivale Manchester City letztendlich mit zwölf Punkten Vorsprung ziehen. Manchester war mal wieder blau.
Zwar erreichte Solskjærs Team am Ende der Saison noch das Finale der Europa League, über eine enttäuschende Spielzeit konnte das aber auch nicht mehr hinweg trügen. Es ging ohnehin an den FC Villareal verloren. Von der anfänglichen Begeisterung war nicht mehr viel übrig.
Vor der aktuellen Saison ging schließlich die von Ungeduld geprägte Klotzerei wieder los: Für rund 140 Millionen Euro kamen Raphaël Varane, Jadon Sancho und Cristiano Ronaldo. Vor allem der Transfer von Cristiano Ronaldo sorgte für Gesprächsstoff – und mitunter Unverständnis. Denn marketingtechnisch war der Wechsel zwar verständlich, strategisch passte ein Ronaldo aber nicht in Solskjærs Konzept.
Mit dem Transfer schien die Besitzer-Familie der Glazers ihrem Trainer vor allem eines ins Ohr zu brüllen: Platz drei reicht uns nicht! Doch auch mit Ronaldo, Sancho und Varane konnte Manchester United in der laufenden Saison nicht mit der Spitzengruppe der Liga mithalten, denn die Probleme betreffen alle Mannschaftsteile. In 12 Begegnungen kassierte ManUnited bereits 21 Gegentreffer und damit genauso viel, wie der FC Chelsea, Manchester City und der FC Liverpool zusammen.
Solskjaers gepredigtes Konterspiel flachte mehr und mehr ab. Ein taktischer Spielplan war bei Manchester zuletzt kaum noch zu erkennen, schrieben britische Medien. Allzu oft wirkten die Spieler unter dem Norweger schlichtweg planlos. Zu viel Zufall, zu viel Hoffnung auf einen genialen Moment von Rückkehrer Ronaldo. Ex-Stürmer Peter Crouch fasste es im Oktober nach einem 3:2‑Sieg gegen Atalanta Bergamo wie folgt zusammen: „Manchester war viel zu schwach in der Rückwärtsbewegung, sie haben einfach kein nachhaltiges Spielsystem.“
Von den letzten neun Ligapartien gewann United nur eins, sechs Punkte ist der viertplatzierte West Ham United und damit die Champions-League-Qualifikation entfernt. Bereits nach dem blamablen 0:5 gegen Liverpool Ende Oktober hatte kaum jemand mit einer Weiterbeschäftigung Solskjærs gerechnet. Doch er bekam eine weitere Chance. Und nutzte sie. Mit einem darauffolgenden 3:0‑Sieg über die Tottenham Hotspurs rettete sich der Norweger zunächst. Mal wieder.
Das Muster schien sich vor allem im Oktober und November zu wiederholen, als nach uninspirierten Auftritten häufig gute Spiele folgten. Doch die Probleme waren mittlerweile nicht mehr zu übersehen: Die Defensive zu anfällig, das Mittelfeld zu unkreativ und der Sturm zu sehr von Cristiano Ronaldo abhängig.
Dieses obskure Hin und Her erweckte den Anschein, als sei der Norweger immun gegen eine Entlassung, als sähen die Verantwortlichen noch immer einen letzten Hauch der Ferguson-DNA in ihm. Auf Twitter trendete da schon länger der Hashtag #oleout – bei aller Liebe sahen die Fans mit Solskjær keine Zukunft. Nach der 1:4‑Niederlage gegen Watford am vergangenen Wochenende war es dann um ihn geschehen. An der Trennung von Ole Gunnar Solskjær überraschte letztendlich nur der Zeitpunkt.
Nun soll es also Ralf Rangnick richten. Er ist zunächst als Interimscoach eingeplant, so wie sein Vorgänger es war, und soll den einstigen Riesen in den nächsten Monaten aufrappeln. Rangnick ist ein Gegenstück zu dem, was Solskjær für den Verein war. Er ist ein steriler Projektleiter. Aber einer, der Erfolg verspricht.