Bei Real Sociedad zeigt Martin Ödegaard, dass er zu einem erwachsenen Spielmacher gereift ist. Bei seiner dritten Leihstation hat er nicht nur einen Trainer, der seine Spielphilosophie teilt, sondern auch Mitspieler, die das Gleiche durchgemacht haben wie er.
Martin Ödegaard bekommt den Ball im Angriffsdrittel und ist sofort unter Bedrängnis. Mit dem ersten Kontakt legt er sich den Ball zurecht, mit dem zweiten tunnelt er den heranstürmenden Verteidiger. 30 Meter liegen zwischen ihm und dem Tor, acht Verteidiger und eigentlich ist Deportivo Alavés gut sortiert. Nichts riecht in dieser Situation nach akuter Torgefahr. Doch plötzlich löst sich auf außen Mikel Oyarzabal und Ödegaard seziert mit seinem Pass die gesamte gegnerische Verteidigung. Tempo, Timing, Effet – alles an diesem Zuspiel ist perfekt. So perfekt, dass es dem Torwart zwar das Gefühl gibt, er könnte den Ball noch erreichen, er herausstürmt, aber doch nur vergeblich ins Leere greift. Oyarzabal muss am Fünfer nur noch seinen linken Innenrist hinhalten, der Torwart ist schon geschlagen. 1:0 für Real Sociedad und im Main Office von Packing-Analyse-Hochburg Impect bekommt Stefan Reinartz plötzlich Gänsehaut.
Dass Martin Ödegaard bei Real Sociedad endlich angekommen ist, kann man nicht sagen. Denn der baskische Klub ist wieder nur eine Übergangsstation, eine weitere Wartehalle, wo sich dieser talentierte Fußballer die Zeit bis zum großen Durchbruch vertreibt. Und doch ist diesmal etwas anders. Diesmal spielt Ödegaard in einem gutem Team in der besten Liga der Welt. Die Scheinwerfer sind auf ihn gerichtet, auch wenn das Publikum noch dezimiert ist. Es ist wie die Generalprobe für die ganz große Show. Dabei hat Ödegaard in San Sebastián die Hauptrolle. Es wird von ihm nichts anderes erwartet, als die Mannschaft zu führen. Ihm wurde die Verantwortung für die Europa-League-Träume von Real Sociedad in die Hand gelegt und bislang schienen sie dort sehr gut aufgehoben zu sein. 16 Punkte und Platz vier in einer extrem engen Tabelle.
Auf jede Leihe folgen Häme und Spott
Mit seinen 20 Jahren hat Ödegaard schon bei fünf Vereinen professionell Fußball gespielt. Und in dieser Zeit wurde er schon eben so oft abgeschrieben, wie in den Himmel gelobt. Das erste Mal winkte man ab, als sich der damals 16-Jährige nach einer monatelangen Castingtour durch Europas Top-Vereine ausgerechnet für Real Madrid entschied. Denn kaum ein Fußballverein macht es jungen Spielern so schwer, direkt von der Akademie in die erste Mannschaft zu stoßen.
Das zweite Mal schüttelte die Fußballwelt den Kopf, als er versuchte, seinen Weg in das Training der ersten Mannschaft zu klagen. Viele sahen in ihm damals den verzogenen Jungprofi, der sich zu fein ist, den Weg zu gehen, den jeder gewöhnliche Spieler gehen muss. Doch dieses Recht, das ihm vertraglich zugesichert wurde, war der Grund, warum er sich für den Wechsel nach Madrid entschieden hatte. Und auch jedes weitere Mal, als es hieß, dass Ödegaard im Sommer wieder einmal zu einem neuen Verein ausgeliehen würde, reagierten viele Beobachter mit Häme und Spott.
Denn bislang waren Ödegaards Leihstationen Vereine, von denen man nur wenig mitbekommt. Vereine, die man belächelt. Vitesse Arnheim, SC Heerenveen. Dass er mit 19 Jahren in der vergangenen Saison elf Tore schoss und zwölf vorbereitete – geschenkt. Ist ja nur Holland. Doch nun ist er in San Sebastián und das scheint der perfekte Ort für Ödegaard zu sein. Nicht nur, weil er endlich das Rampenlicht bekommt, nein, Real Sociedad spielt offensiven Fußball, möchte den Ball halten und ihn in entscheidenden Momenten möglichst schnell und präzise zu den sehr talentierten Stürmern bringen. Ein Spielstil, der sehr gut zum jungen Norweger passt. Doch ebenso wichtig wie die spielerische Ausrichtung ist, dass hier auch seine Teamkollegen zu ihm passen. Denn er ist einer von ihnen. Sie verstehen, was er durchgemacht hat, wie es sich anfühlt, der talentierte Neueinsteiger zu sein. Das Wunderkind, das den Durchbruch bei einem großen Verein sucht, das den Neid der gestandenen Bankdrücker zum Kochen bringt.
Neben ihm spielt Adnan Januzaj, ehemaliger Posterboy von Manchester United, der weder bei seiner Leihe in Dortmund, noch in Sunderland beweisen konnte, dass er gut genug für den einst größten Verein der Insel war, bis dieser schließlich die Geduld verlor und den damals 22-Jährigen für 8,5 Millionen Euro an Real Sociedad verkaufte. Vor ihm spielt regelmäßig Alexander Isak, der 20-Jährige, der nicht in Dortmund, eher noch bei seiner Leihe in die niederländische Mittelklasse bei Willem II, dauerhaft zeigen konnte, dass er für Größeres berufen ist. Sein Ersatz ist Willian José, der mit 27 Jahren schon bei neun Vereinen spielte, unter anderem bei Real Madrid. Hinter Ödegaard sichern Mikel Merino, 23, ebenfalls bei Dortmund aussortiert, und Real-Experiment Asier Illarramendi seine Offensiv-Aktionen ab.
In spätestens zehn Jahren bei Real Madrid
Mit dieser Truppe, einer Mischung aus hochtalentierten Aussortierten, gestandenen Profis wie Torhüter Miguel Moyà und Eigengewächsen wie Oyarzabal, schafft es Ödegaard herauszustechen und unverzichtbar zu werden. Er stand bislang jede Minute auf dem Platz, hat über 28 Chancen kreiert. Nur Toni Kroos, José Campaña, Denis Suarez und Santi Cazorla haben mehr. Mit seinen 511angekommenen Pässen ist er der fünfzehnt-beste Passgeber der Liga. Ödegaard wirkt wahnsinnig abgeklärt im Zentrum von Real Sociedad. Ein moderner Spielmacher, der tödliche Bälle spielen und gefährliche Konter stoppen kann.
Doch egal wie gut Ödegaard spielt, solange er bei Real Madrid nicht in der Startformation steht, wird der junge Mann als gescheitert gelten. „Mein Traum ist es, bei Real Madrid zu spielen“, sagte der 20-Jährige Anfang Oktober. Doch zunächst einmal wird er sich bei Real Sociedad um die Offensive kümmern. Mindestens noch dieses Jahr, danach haben Spieler und Vereine die Opiton, die Leihe zu verlängern. „Ich werde nicht vorzeitig abbrechen“, sagte Odegaard. „Ich spiele mittlerweile mehr wie ein Erwachsener. Ich glaube, Real Sociedad ist der richtige Ort, wenn man das Ziel hat, bei Real Madrid zu landen. Und ich hoffe, dass das innerhalb der nächsten zehn Jahre passieren wird.“ Ödegaard wäre dann höchstens 30.