Zentrale Idee hinter diesem aufwendigen Bewerbungsprozedere ist, auch in Zukunft das Premiumprodukt namens „Fußball-EM“ einer möglichst zahlungskräftigen Kundschaft so bekömmlich darzureichen, dass sich niemand daran verschluckt. Was einmal den Charakter einer spannungsgeladenen Sportveranstaltung hatte, ähnelt zunehmend Ereignissen wie dem Besuch eines Erlebnisparks, einem Tag im Wellnesshotel oder einem guten Essen im Sternerestaurant. Dinge, die einen Preis haben, den sich längst nicht jeder leisten kann. Im Abschnitt 6/Stadien, heißt es in der Beschreibung der Hospitality-Stufen: „VIP-Gäste sind Gäste der UEFA. (…) Die Gäste sind Teil der Fußballfamilie, Regierungsvertreter, Mitglieder von Königshäusern etc. Der angebotene Service muss erstklassig sein und in einer ungezwungenen Umgebung (d. h. nicht im Stil eines Restaurants) angeboten werden.“
Während allerorten debattiert wird, dass sich der Profifußball zunehmend von der Basis entfernt, halten die Großverbände strikt an ihrem Konzept fest, die Ausrichterstädte in ein strammes Korsett aus infrastrukturellen Bedingungen und marktwirtschaftlichen Beschränkungen zu zwängen, das mitunter Züge einer temporären Besatzung trägt. Frei nach dem Motto: Jubiliert, der Zirkus ist in der Stadt.
Deutsche Städte nehmen Abstand
Doch das Klima hat sich gewandelt. Spätestens seit den Skandalen um die Vergabe der WM 2006 ist ins kollektive Bewusstsein gesickert, dass es bei Ereignissen dieser Art nicht nur Gewinner gibt. Jeder weiß, dass die internationalen Verbände, die Turniere vergeben, in diesem Fußballcasino die Bank sind, die immer gewinnt, und der Nationalverband meist als Croupier an den Gewinnen partizipiert, während an den Tischen die Ausrichterstädte sitzen und schwitzend auf den Jackpot hoffen.
Lagen sich die Besucher beim Eröffnungsspiel der WM 2006 nach Passieren der Eingangsschranken der Allianz Arena vor lauter Glück, an dieser heiligen Prozession teilnehmen zu dürfen, noch in den Armen, herrscht heute vielerorts Skepsis. Von 18 deutschen Städten, die im Februar 2017 ihr Interesse bekundet hatten, im Jahr 2024 einer von zehn EM-Orten zu werden, haben vier bereits zurückgezogen. Dresden fiel aus der Bewerbung, weil das Dynamo-Stadion nicht über die vorgeschriebene Mindestanzahl von 30 000 Sitzplätzen verfügt. Freiburg nahm ebenfalls Abstand, weil das neue Stadion, das 2019 eröffnet werden soll, nicht über ausreichend Kapazität verfügt. Allerdings soll manchem Stadtoberen um den grünen Bürgermeister auch frühzeitig wegen der saftigen UEFA-Kriterien die Lust auf die EM vergangen sein. Karlsruhe entschied sich gegen eine Bewerbung, weil einerseits der Bauantrag für die neue Arena nicht mehr fristgerecht eingereicht werden konnte, andererseits die Voraussetzungen des Baus auch nicht in Einklang mit den UEFA-Richtlinien gebracht werden konnten.