Er ist in der BVB-Geschichte nur eine Fußnote, unser Autor vergöttert ihn trotzdem. Wegen dieses einen Spiels im April 2014. Heute wird Kirch 34 Jahre alt. Ein Fanbrief zum Geburtstag.
Lieber Olli,
zunächst eine Beichte. Als du 2012 zu uns kamst, haben wir uns ein bisschen veräppelt gefühlt. Auf deinem Lebenslauf standen Borussia Mönchengladbach, Arminina Bielefeld und der 1. FC Kaiserslautern. In unserer Startaufstellung standen Shinji Kagawa, Mats Hummels, Mario Götze. Allesamt blutjunge Ausnahmekönner. Du gingst mit Ende Zwanzig nicht mal mehr als Perspektivspieler durch. Wäre der Borussia-Kader dieser Jahre ein Einfamilienhaus gewesen, wärst du ein Umzugskarton auf dem Dachboden, über den man sich gehörig wundert, wenn man ihn mal wieder hervorkramt.
Doch dann veränderte ein Spiel am 8. April 2014 alles.
Wir hatten das Hinspiel im Champions League-Viertelfinale gegen Real Madrid mit 0:3 verloren. Und die Aussichten für das Rückspiel waren düster. Neven Subotić war verletzt, Sven Bender und Sokratis genauso. Kapitän Kehl? Gesperrt. Also traten wir mit einer Rumpfdefensive an, bestehend aus dem noch vor kurzem vertragslose 33-jährigen Manuel Friedrich, Milos Jojic, der erst in der Winterpause zu uns gekommen war – und dir. Auf der Gegenseite: Karim Benzema, Ángel Di María, Gareth Bale. Uff.
Das Spiel startete verdammt schlecht, nach einer Viertelstunde pfiff der Schiedsrichter Elfmeter für Madrid. Doch als Roman Weidenfeller den Schuss von Di María parierte, hatten wir zum ersten Mal das Gefühl, das dieses Spiel etwas Besonderes werden kann. Und tatsächlich: In der 24. Minute drosch Manuel Friedrich den Ball einfach mal nach vorne – über deinen Kopf hinweg, was irgendwie symptomatisch war, denn mit dem Spiel hattest du bis dahin wenig zu tun. Madrid-Verteidiger Pépe verschätzte sich beim Kopfball, Marco Reus stand plötzlich allein vor Iker Casillas und machte das 1:0!
Dieses Tor war wie eine Initialzündung für die Fans, für das Team und für dich. Den Stockfehler im Madrider Aufbauspiel, der zum 2:0 für uns führte, hattest du provoziert. Du warst es, der in der 36. Minute Asier Illaramendi derart aggressiv anlief, dass dieser den Ball quasi freiwillig Marco Reus in den Lauf spielte, der das Ding reinprügelte. Noch ein Tor, um die Hinspielklatsche zu auszugleichen. Und noch einmal 45 Minuten Zeit, um es zu schießen.
Für uns Dortmunder war der April in diesen Jahren ja als Monat der Wunder reserviert. Fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor das Rückspiel gegen Malagá, in den davorliegenden zwei Jahren war uns Ende April jeweils klar, dass wir wohl wirklich Deutscher Meister werden! Jetzt schien die nächste Sensation in der Luft zu liegen.
Spätestens seit der zweiten Halbzeit warst du das Zentrum der Mannschaft. Eleganz und Spielbeherrschung hatten plötzlich einen neuen Namen: Oliver Kirch. Du nahmst auf dem Spielfeld die Rolle ein, die eigentlich für dein Gegenüber Xabi Alonso vorgesehen war. Du streicheltest die Bälle durchs Mittelfeld, kein Angriff, der nicht über dich eingeleitet wurde. 120 Ballkontakte zählten die Statistiker am Ende. Die meisten auf dem Spielfeld.
Genützt hat es nichts, wir schossen kein drittes Tor mehr. Trotzdem ist dieses Spiel gegen Madrid in der Rückschau so viel schöner als der glorreiche Triumpf ein Jahr zuvor, als Robert Lewandowski vier Tore im Westfalenstadion schoss. Denn damals siegten wir in Bestbesetzung, was sich im Rausch dieser Saison seltsam logisch anfühlte. Dieses Mal waren wir mit einer Rumpftruppe nur denkbar knapp gegen den späteren Pokalsieger rausflogen – entgegen aller Erwartungen. Auch weil du, Olli, das Spiel deiner Karriere gemacht hast. In diesem Sinne – alles Gute zu deinem Geburtstag.
In einer früheren Version des Textes war die Rede davon, dass Robert Lewandowski vier Tore im Bernabeú erzielt hätte. Er schoss sie allerdings im Westfalenstadion. Wir haben das korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.