Er stand in vier Finals um den Landesmeister-Pokal, zweimal holte er den Cup, heute wird er 75 Jahre alt. Wie gewinnt man die Champions League, Jupp Heynckes?
Dieses Interview erschien erstmals im März 2015 im 11FREUNDE Spezial „Königsklasse“.
Jupp Heynckes, wie liegt der Champions-League-Pokal eigentlich in der Hand?
Gut. Er ist zwar wahnsinnig schwer zu gewinnen, ist aber für die Größe auffallend leicht. Sonst könnte ein kleiner Kerl wie Philipp Lahm ihn doch nicht so einfach hochstemmen. (Lacht.)
Sie haben alles gewonnen, was ein Fußballer gewinnen kann. Welchen Stellenwert hat für Sie die Champions League?
Jede Trophäe ist mit Erinnerungen verbunden. Als Junge wollte ich Profi werden, als ich in der Bundesliga spielte, träumte ich von der Nationalelf. Ich habe mir sehr früh Ziele gesteckt und an der Umsetzung gearbeitet, aber ich habe mir nie vorstellen können, all das zu erreichen.
Es ist also nicht so, dass ein Champions-League-Sieg alles überstrahlt?
Was die Intensität der Empfindungen anbetrifft, war mein erstes Profijahr die schönste Zeit überhaupt. Damals ging es in meinem Leben von Null auf Hundert. Ich kam vom Provinzklub Grün-Weiß Holt nach Gladbach und wurde unter Hennes Weisweiler Teil der „Fohlenelf“, einer Mannschaft, die diesen Sport rein aus der Intuition, Leidenschaft und Freude heraus betrieb.
Wie sehnsüchtig haben Sie nach Ihrer ersten Meisterschaft mit Borussia Mönchengladbach 1971 vom Gewinn des Landesmeistercups geträumt?
Ich bin immer Realist gewesen. Schon damals war mir bewusst: Solche Erfolge fallen einer Mannschaft nicht zu, die muss man gut vorbereiten. Aber soweit waren wir in den Siebzigern mit Borussia nicht. Weder von den Vereinsstrukturen her, noch von der Zusammensetzung der Mannschaft.
Als „Fohlenelf“ dominierten Sie die Bundesliga fast nach Belieben. Was machte es im Europacup so viel schwerer?
Die Drucksituation und das hohe Niveau verändern alles. Das Gefühl, gewinnen zu müssen. Das entscheidende Fünkchen Selbstbewusstsein fehlte unserer Mannschaft.
Ihnen auch?
Ich kam mit Druck ganz gut klar. Der Europapokal hat mich beflügelt, das war ein anderes Fluidum. Allein schon, weil wir bei Flutlicht spielten. Und sportlich wollte ich natürlich wissen, ob wir mit starken Gegnern mithalten.
Gerd Müller hat über die Qualität von Torjägern gesagt: „Wenn’s denkst, ist’s eh zu spät.“ Wie ist es Ihnen gelungen, den Kopf vor Europacup-Kulissen auszuschalten?
Ein guter Profi braucht Intuition. Wir waren eine Generation von Straßenfußballern: Beckenbauer, Overath, Grabowski, Müller, ich. Auf der Straße lernt man Schlitzohrigkeit, Technik und Durchsetzungskraft. Die heutigen Fußballer bringen diese Ausbildung oft nicht mehr mit. Die durchlaufen Akademien und haben ein angelerntes Talent.
Und auf Ihre Intuition konnten Sie sich verlassen?
Normalerweise habe ich mich einen feuchten Kehricht um die Kulisse geschert, wenn Sie das meinen. Nur einmal hat sich die Stimmung auf mein Spiel ausgewirkt.
Wann war das?
An der Anfield Road im UEFA-Cup-Finale 1973. Da sang das Stadion schon beim Aufwärmen: „You’ll never walk alone“. Vor Anpfiff empfand ich das noch als positiv. Als der Anhang aber ab der 75. Minute wieder anfing zu singen, hat mich das schon irgendwie eingeschüchtert. Wir verloren mit 0:3. In dieser Intensität habe ich das nie wieder so erlebt.