Seit 2004 kamen alle spanischen Meister aus Madrid oder Barcelona. Doch die Phalanx könnte in dieser Saison enden – dank Spitzenreiter San Sebastian und der großen Magie des kleinen David Silva.
Immer mehr Experten sehen in Silva die bislang fehlende Einspritzanlage im ansonsten fein abgestimmten Aggregat des spanischen Vorjahres-Sechsten: San Sebastians Abwehr, großteils baskisch und komplett humorlos, hat mit vier Gegentreffern in neun Partien die zweitwenigsten hinter Atlético Madrid (2) zugelassen. Im Mittelfeld halten solide und weitgehend selbstlose Allrounder wie Ander Guevara (23) und der Ex-Dortmunder Mikel Merino (24) dem Maestro Silva zuverlässig den Rücken frei. Im Angriff traf ein gewisser Mikel Oyarzabal (23) bereits sechsmal, wobei die insgesamt 20 Tore der Real Sociedad (Liga-Bestwert) sich auf neun verschiedene Akteure verteilen. „Wir sind komplett unberechenbar, gerade das macht uns so gefährlich“, erklärt Ander Guevara.
Stolze sechzehneinhalb Jahre ist es nun her, dass ein spanischer Meister gekürt wurde, der nicht in Madrid oder Barcelona zu Hause ist. Damals war es der FC Valencia. Doch das lange, fast schon verzweifelte Warten der Underdogs aus der Provinz könnte ein baldiges Ende finden: David Silva hat die Real Sociedad San Sebastian auf ein ganz neues Level gehoben, auch in Punkto Selbstverständnis: „Wir sind Tabellenführer, weil wir es uns verdient haben“, betont Trainer Imanol Alguacil.
Dabei muss man mitunter genau hinsehen, um den Impact des David Silva zu erkennen: Neben einem Treffer und zwei Assists in bislang sieben Ligaeinsätzen sind es vor allem die vielen kleinen Dinge, die Fans oft übersehen, aus denen Trainer jedoch ganze Lehrvideos zusammenschneiden: eine kleine, beiläufige Körpertäuschung vor der Ballannahme, die eine komplette gegnerische Mannschaft aus der Ordnung bringt. Ein scheinbar unnötiges Dribbling gegen zwei oder drei, das für eine plötzliche Überzahlsituation sorgt. Ein philosophischer Pass, den so kein anderer spielen würde – und dessen Sinn sich erst drei oder vier Stationen später erschließt, wenn der Ball im gegnerischen Tor liegt und sich niemand mehr an die Ausgangssituation erinnert.
Ganz nebenbei eröffnet die bloße Präsenz dieses Super-Spielmachers nie dagewesene Räume für dessen Nebenleute. Denn ein Problem mit David Silva ist: Wenn du ihm nur den kleinsten Raum gewährst, wird er dich mit großer Wahrscheinlichkeit an die Wand spielen. Der begnadete Linksfuß kann die Kugel mit Vehemenz vor sich hertreiben, er kann ansatzlos aus der Distanz schießen, er kann sich in die Hochsicherheitszone Strafraum tricksen, er kann aber auch jederzeit den tödlichen letzten oder vorletzten Pass durchstecken. Ein zusätzliches Problem mit diesem Silva ist: Er kann all das auch, wenn du ihm 90 Minuten lang förmlich auf dem Fuß stehst.
„David ist eine unglaubliche Legende, ein großer Wettkämpfer“, lobhudelte noch im Juli ein gewisser Pep Guardiola, Silvas langjähriger Trainer in Manchester: „Auf engem Raum habe ich noch nie einen Spieler wie ihn gesehen.“ Nach dem größten Versäumnis seiner Trainerlaufbahn gefragt, erklärte Guardiola: „Dass ich David seinerzeit nicht zu Barcelona geholt habe.“ Angesichts der jüngsten Leistungen von Silva, aber auch von ManCity, wundern sich viele in San Sebastian, wie Pep seinen Landsmann im vergangenen Sommer gehen lassen konnte. Nach Real-Rückkehrer Martin Ödegaard fragt hingegen kaum noch jemand.