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Am Samstag hat mein Verein ver­loren. Das allein rui­niert ja schon ein Wochen­ende, aber das bloße Ergebnis war nicht mal das Schlimmste. Wir ver­loren näm­lich gegen einen Auf­steiger, der vor dem Spiel und sogar noch zur Pause mit einem Punkt mehr als zufrieden gewesen wäre. Und es war nicht das erste Mal, dass uns so etwas pas­siert ist. Keine Ahnung, wie oft genau wir diese Art von Spiel in den letzten zwölf Monaten schon zu sehen bekommen haben, aber die Finger einer Hand rei­chen sicher nicht aus. 

Obwohl … sehen“ ist in diesem Fall zu viel gesagt. Ich habe das Spiel näm­lich nicht am Bild­schirm ver­folgt, son­dern im Gäs­te­block des Sta­dions. Was bedeutet, dass das Geschehen auf dem Rasen die eigene Netz­haut nur stro­bo­skop­artig erreicht, weil vor einem meh­rere Dut­zend BWL-Stu­denten unab­lässig Fahnen von der Größe einer Dop­pel­ga­rage schwenken. Zwar könnte man den Neben­mann fragen, wel­cher unserer Spieler gerade den hane­bü­chenen Fehl­pass gespielt hat, aber ers­tens sieht der ja auch nicht viel besser und zwei­tens muss man schreien, weil die Abitu­ri­enten in der Aus­bil­dung unab­lässig trom­meln und singen. Wie-der Ha-ki-mi?“ O‑der A‑kan-ji!“

Weg vom Ort der Bla­mage

Wenigs­tens konnten wir das eine Tor sehen, das wir geschossen haben. In diesem Moment waren näm­lich gerade die Fahnen ein­ge­rollt worden, da wir angeb­lich von den Heim­fans ange­griffen wurden. Über unseren Köpfen pol­terte es bedroh­lich, dann kamen Leute mit gerö­teten Augen die Treppen hin­ab­ge­laufen und sagten irgendwas von Pfef­fer­spray. Linke Ultras von denen gegen rechte Ultras von uns, lau­tete die Info. Oder war es umge­kehrt? Hatten wir jetzt ange­fangen oder die? Paco machte sein Tor, aber kaum jemand jubelte so richtig, denn nun kam es an der Trenn­wand zum Heim­block zu unge­re­gelten Tes­to­steron-Aus­schüt­tungen. Das mit dem Dach war nur ein Ablen­kungs­ma­növer, hieß es, der eigent­liche Angriff erfolgte von der Seite. Apropos Angriff, wir hatten noch eine richtig gute Chance, aber weil die Fahnen da längst wieder oben waren, konnte man das nur erahnen. Vor-bei?“ O‑der Pfos-ten!“

Die zweite Hälfte begann damit, dass direkt neben mir – einem unbe­schol­tenen Fami­li­en­vater, der mit seinem Sohn im Sta­dion war – ein ver­mummter Gra­fik­de­si­gner oder viel­leicht auch Musik­päd­agoge einen Ben­galo zün­dete. Wir hatten wieder eine Chance, aber diesmal konnte man sie wegen des Rau­ches nicht sehen. Dann schoss der Außen­seiter das zweite und dritte Tor gegen uns. Als wir nach dem Abpfiff vorbei an den Poli­zisten in die Nacht tau­melten, dröhnte uns hämi­sches Auf Wie­der­sehen“ in den Ohren. Ein älterer Mann in einem roten Trikot, der vor einem Café saß und fil­ter­lose Ziga­retten rauchte, ließ keinen Zweifel daran, was er von den mensch­li­chen und fuß­bal­le­ri­schen Qua­li­täten jener unserer Spieler hielt, deren Namen er noch aus­spre­chen konnte. Dann brachte uns eine gnä­dige Bahn weg vom Ort der Bla­mage.

Knapp zusam­men­ge­fasst: Es war geil.

Gut, das Ergebnis natür­lich nicht. Aber die heiße Nacht von Köpe­nick war auch eine Erin­ne­rung daran, was für ein Erlebnis Fuß­ball an bestimmten Tagen und Orten immer noch sein kann. Die Bier­stube mit den haus­ge­machten Fri­ka­dellen, von der aus man am Wasser ent­lang zum Sta­dion laufen kann und durch die Bäume schon die alt­mo­di­schen Flut­licht­masten sieht – das ist natür­lich totales Union-Berlin-Kli­schee, aber es ist eben auch Rea­lität und erzeugt eine ganz andere Art von Grund­stim­mung als eine Fahrt mit dem Shuttle vor die Tore der Stadt, in diese neuen Indus­trie­ge­biete, in denen heute Fuß­ball her­ge­stellt wird.

Das nächste Kli­schee ist die Alte Förs­terei selbst, aber auch sie ist ja Rea­lität. Man hat sich daran gewöhnt, dass Sta­dien nach Wein­gummi oder Wett­an­bie­tern heißen, dass Ecken und Gelbe Karten auf fla­ckernden Lein­wänden von Spon­soren prä­sen­tiert werden und dass man nach Toren der Heim­mann­schaft keinen Jubel hören kann, weil sofort ein infer­na­li­sches Getöse aus den Laut­spre­chern wum­mert, das ent­fernt an Musik erin­nert. Aber es geht auch ohne all das. Man muss nur ab und zu mal daran erin­nert werden.

Folk­lore und Tra­di­tion

Selbst die fünf­mi­nü­tige Kon­fu­sion Mitte der ersten Hälfte war fast so etwas wie eine Reise in die Ver­gan­gen­heit. Wie sich später her­aus­stellte, ent­stand sie durch die fast schon folk­lo­ris­tisch tra­di­tio­nelle Kom­bi­na­tion von schlechter Pla­nung (für ein paar Union-Fans, die auf dem Dach der Heim­tri­büne bei einer Choreo geholfen hatten, gab es nur nur einen Weg herab: hinter der Gäs­te­tri­büne), hys­te­ri­scher Gerüchte und über­zo­gener Poli­zei­ar­beit (die Ord­nungs­kräfte nahmen offenbar einige Gäs­te­fans fest, die sich von den paar Unio­nern pro­vo­ziert fühlten oder pro­vo­ziert fühlen wollten, und setzten dabei recht unkon­trol­liert Reizgas ein). Bedroh­lich war das Ganze bei uns jeden­falls nicht. Viel­leicht würde ich das anders sehen, wenn mein Sohn noch klein wäre. Aber das ist er eben nicht, also nahmen wir das Alpha­tier­ge­habe aller Uni­for­mierten (in Gelb, in Rot und in Anthrazit) ebenso gelassen hin wie das Feu­er­werk.

Und sogar das Spiel war in gewissem Sinn alt­mo­disch. Ein mit viel Geld zusam­men­ge­stelltes Team glaubte, das Geschehen zu kon­trol­lieren, und war­tete auf Fehler – die es dann selbst machte. Der mutige Außen­seiter glaubte an sich und sein Publikum und nutzte die Gunst der Stunde. Guar­diola-Teams gewinnen solche Spiele trotzdem, wir nicht. Das hatte fast etwas Tröst­li­ches. Fast könnte man sagen, wir haben ver­loren, aber der Fuß­ball hat gewonnen. 

Hat er viel­leicht auch. Trotzdem wäre ich lieber in ein kaltes, funk­tio­nales Sta­dion in einer gesichts­losen Vor­stadt gefahren und hätte gewonnen. Oder nicht? Hm, da muss ich kurz drüber nach­denken.