Mario Götze wechselt nach langem Hin und Her in die niederländische Eredivisie zum PSV Einhoven. Er entscheidet sich gegen das große Geld und für das Comeback als Fußballer. Gut so.
Man kann Mario Götze nicht vorwerfen, er hätte es sich in seiner Laufbahn zu leicht gemacht. Nach der euphorischen Frühzeit beim BVB nahm er ohne Zwischenstation den Weg zum Rekordmeister, trat beim Abschied erst den BVB-Fans auf die Füße, provozierte dann in München bei seiner Vorstellung wie selten ein Star vor ihm – und scheiterte am Ende krachend. Anschließend lehnte er Offerten aus dem Ausland ab und ging stattdessen den steinigen Weg zurück nach Dortmund. Obwohl er wusste, dass ihn dort viele für einen Verräter hielten. Und für den Mann, der die Klopp-Ära durch seinen unromantischen Abgang entscheidend sabotiert hatte.
Es nahm die Herausforderung sehenden Auges an, dass sich die Menschen, wenn er sie nicht mit Leistungen würde überzeugen können, von ihm abwenden würden. Und nicht nur sein Ruf als Fußballer leiden, sondern seine gesamte Profikarriere eine Neubewertung erfahren würde. Und so kam es: Der WM-Held von 2014 fand nach der Rückkehr nie mehr in die Spur. Was zunächst auch an körperlichen Problemen lag, eine Stoffwechselerkrankung setzte ihn beispielsweise die komplette erste Jahreshälfte 2017 außer Gefecht. Doch auch danach wirkte er meist wie ein Fremdkörper in der reformierten BVB-Elf. Wie ein Relikt aus einer längst vergessenen Vergangenheit.
Hans-Joachim Watzke muss es schon länger Magengrimmen verursacht haben, den in die Jahre gekommenen Ex-Nationalspieler über den Trainingsplatz trotten zu sehen. Dem Vernehmen nach soll Götze, der zuletzt meist nur Schlagzeilen im Zusammenhang mit seiner mondänen Gattin erzeugte, in Dortmund eine Jahressalär von zehn Millionen Euro kassiert haben. Massig Kohle, auch für einen stabil aufgestellten Klub, insbesondere wenn man es in Relation zu Götzes 15 wenig Aufsehen erregenden Einsätzen in der zurückliegenden Saison setzt.
Die logische Konsequenz: Borussia Dortmund verlängerte seinen Vertrag nicht. Im Sommer-Transferfenster, das in erster Linie von den Herausforderungen der Corona-Krise getrieben war, gab es deswegen vor allem eine Frage, die sich aufdrängte: Wie würde es mit dem einst schillernden Star weitergehen?
Würde er noch einmal den Turnaround schaffen und einen Spitzenverein von seinen Qualitäten überzeugen können? Würde ein sensibler Trainer ihn aus seiner Lethargie befreien und ihm einen zweiten Frühling bescheren können? Oder würde er in Ermangelung besserer Angebote die Karriereleiter hinabsteigen und zu einem zweitklassigen Klub in die USA oder im Nahen Osten wechseln? Oder sich vielleicht erneut irgendwo als gut bezahlter, meritenbehängter Bankdrücker andienen? Oder würde er es gar seinen WM-Kollegen Schürrle und Höwedes gleichtun und leicht schwermütig die Töppen an den Nagel hängen?
Die Antwort auf die Fragen nach seiner Zukunft gab Götze gestern Abend. Sie lautet weder noch. Beziehungsweise: PSV Eindhoven. Ein interessanter Move. Niemand hatte den 28-Jährigen vorher mit der niederländischen Eredivisie in Verbindung gebracht. Stand Götze doch stets ein wenig in dem Ruf, gern dahin zu gehen, wo das große Geld lockt. „Ich hatte viele Angebote in diesen Sommer, aber ich bin ein Gefühlsmensch und treffe meine eigenen Entscheidungen“, sagt Götze, „Ich fühle mich bereit für eine ganz andere Herausforderung und bin zuversichtlich, dass dies ein sehr angenehmer Übergang für mich sein wird.“
Mit anderen Worten: Er hat große Lust, fußballerisch noch etwas zu bewegen und begibt sich deshalb bewusst in eine Liga, die im europäischen Vergleich allenfalls die Kategorie 1b ist.
Eindhovens Sportdirektor John de Jong sagte nach Vertragsunterschrift, dass Götze bei PSV offensiv auf jeder Position spielen könne. Der Ex-Borusse trifft in den Niederlanden auf den deutschen Coach Roger Schmidt, der schon in Leverkusen und Leipzig bewiesen hat, dass er das Optimale aus hochtalentierten Spielern herauskitzeln kann. Auch wenn es sich dabei meist um junge Talente handelte, scheint die Versuchsanordnung im Fall Götze gar nicht so viel anders zu sein. Schließlich geht es auch bei ihm darum, einem Hochbegabten die mentale Frische, das Gefühl von Freiheit zu geben, sich Fehler erlauben zu dürfen und einfach so zu sein, wie er ist. Dies ist beim Zweitplatzierten der niederländischen Liga deutlich einfacher, als bei jedem beliebigen Bundesligisten. Gute Voraussetzungen für ein ausgeruhtes Spätwerk also.
Götze hat sich für den Fußball entscheiden. Eine gute Nachricht. Erstmal. Nun hängt es von ihm ab, was er aus dieser Chance macht. Schon jetzt gab er bekannt, dass er auch deshalb nicht in die USA gewechselt sei, weil sein Fokus auf Europa liege: „Ich habe ehrgeizige Ziele und will unbedingt noch die Champions League gewinnen.“ PSV Eindhoven spielt allerdings nur in der Europa League. Götze macht einen Schritt zurück, um anschließend zwei Schritte nach vorn zu machen. Nur sollte er aufpassen, dass er es sich nicht wieder unnötig schwer macht, weil er schon jetzt über Ambitionen nachsinnt, die in keinem Verhältnis zu seiner gegenwärtigen Situation stehen.