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Ein Schuss kann ein ganzes Fuß­bal­ler­leben ver­än­dern. Der Elf­meter im WM-Finale 1990 machte aus Andreas Brehme eine Gott­heit. Die ver­ge­benen Rie­sen­chance von Frank Mill machte aus einem der besten Stürmer der acht­ziger und neun­ziger Jahre die Lach­nummer des Fuß­balls. Und fragen Sie mal John Terry, wie oft er Fragen zu seinem ver­sem­melten Elf­meter im Cham­pions-League-Finale 2008 beant­worten muss. Ein Schuss kann ein ganzes Leben ver­än­dern. Ein Schuss.

Im März 1992 explo­diert eine Sil­ves­ter­ra­kete am Himmel von Vila Cru­zeiro, eines jener Elends­viertel von Rio de Janeiro. Sekunden später folgen zwei wei­tere. Jeder hier weiß, was jetzt zu tun ist, wenn einem das Leben etwas bedeutet: Laufen. So schnell es geht. Es ist das Signal, dass die Polizei mal wieder das Favela stürmt, um die berüch­tigten Dro­gen­ba­rone des ansäs­sigen Comando Ver­melho“ auf­zu­scheu­chen. Heli­ko­pter kreisen über ihren Köpfen, Maschi­nen­ge­wehre werden durch­ge­laden, Sand­säcke werden als Feu­er­schutz her­an­ge­schleppt. 

Inner­halb von wenige Minuten werden aus Holz­ver­schlägen Gefechts­sta­tionen, schießen die Kugeln durch die auf­ge­heizte Luft Rios. Sie schlagen in Häu­ser­wände ein, in bren­nende Ölfässer, in flüch­tende Körper. Eine trifft Almir Ribeiro Leite in den Kopf. Er bricht zusammen. Wenige Meter ent­fernt steht sein kleiner Sohn und sieht, wie sein Vater leblos liegen bleibt. Der Kleine ist vor wenige Tagen zehn Jahre alt geworden. Später wird er sagen: Dieser Augen­blick hat mich der­maßen geprägt. Ich bin schlag­artig erwachsen geworden.“ Der Name des Jungen ist Adriano Ribeiro Leite, kurz Adriano. In ein paar Jahren wird er als der Impe­rator“ der Fuß­ball­welt den Atem rauben. Aber dieser Moment wird ihn nie ver­lassen. Ein Schuss kann dein ganzes Leben ver­än­dern. Ein Schuss.

Vom gefei­erten König zum belä­chelten Fett­sack

Wie durch ein Wunder über­lebt Adrianos Vater jenen Abend von Vila Cru­zeiro. Doch ihm fehlt das Geld, um die Kugel ope­rativ ent­fernen zu lassen. Sie bleibt ein­fach in seinem Schädel ste­cken. Doch wenigs­tens kann Papa Almir so mit­er­leben, wie sein Sohn in die First Class der Fuß­ball­welt schießt. Dabei steht Adriano bei der Peneira“, jenem legen­dären Aus­wahl­ver­fahren in der bra­si­lia­ni­schen Jugend, bereits auf der Abschuss­liste. Sein erster Trainer Luiz Antonio Torres sagte einmal: Ich konnte kein beson­deres Talent an ihm fest­stellen. Er hat gut gespielt, aber kei­nes­falls besser als die anderen 14 Jungs.“Er wirkt schwer­fällig, zu groß, wenig trick­reich, er schwebt nicht wie andere Jungs, wie die großen Spieler Bra­si­liens.

Doch Luiz Antonio bittet den Aus­wahl­trainer um eine letzte Chance für Adriano. Seine Idee: Der 14-Jäh­rige muss raus aus der Abwehr, hinein ins Sturm­zen­trum. Ein Voll­treffer. Denn im Zen­trum ent­wi­ckelt Adriano ein Durch­schlags­kraft, wie man sie in Bra­si­lien lange nicht gesehen hat. Im Jahr 2000 debü­tiert er im Alter von 18 Jahren bei den Profis von Fla­mengo. Er erzielt den ersten Treffer schon nach fünf Minuten, im wei­teren Ver­lauf der Partie bereitet er noch drei Treffer vor. Die Rakete ist gezündet und fortan nicht mehr zu stoppen. Nur ein Jahr später wech­selt er für knapp fünf Mil­lionen Euro zu Inter Mai­land. Sein Debüt nur einen Tag nach seiner Ver­pflich­tung gegen Real Madrid wird zum Tri­umph­marsch, denn bereits nach wenigen Minuten erzielt er sein erstes Tor für den neuen Arbeit­geber. Die Sport­presse über­schlägt sich mit Super­la­tiven. Adriano, so viel ist klar, ist Inters Ver­spre­chen auf eine gol­dene Zukunft.

Adriano ist ein Nukle­ar­spreng­körper in kurzen Hosen

Es ist das Mär­chen, das die Men­schen so sehr lieben: Adriano, der Junge aus dem bra­si­lia­ni­schen Ghetto, schießt sich an die großen Fleisch­töpfe des Fuß­balls. Tau­send­fach gehört, tau­send­fach ver­ehrt. Es wird eine Kar­riere wie im Schnell­koch­topf. Ständig unter Druck. Immer kurz vor der Explo­sion. Denn Adriano ist anders als die Ronaldos, die Roma­rios und all die anderen, die Europa durch ihre Fuß­ball­kunst eroberten. Er ist ein Koloss, ein Natur­er­eignis. 1,90 Meter groß, 90 Kilo­gramm pures Dynamit. Als Inter ihn 2002 erst nach Flo­renz und später zum AC Parma aus­leiht, ent­wi­ckelt er sich zu einem Nukle­ar­spreng­körper in kurzen Hosen. Einer, ohne den alles nichts ist. Einer, der keine Mann­schaft zu brau­chen scheint, aber ohne den die Mann­schaft nichts ist. Was nie­mand ahnt: Der rote Knopf sitzt im Kopf des Bra­si­lia­ners.

Als er in der Saison 2003/04 in den ersten neun Spielen für Parma acht Treffer erzielt, beor­dert in Inter-Boss Mas­simo Mor­atti im Januar 2004 zurück zu den Schwarz­blauen. Adriano, so scheint es, ist bereit für die Bestei­gung des Fuß­ball­throns. Im glei­chen Jahr reist er mit einer B‑Elf der bra­si­lia­ni­schen Natio­nal­mann­schaft zur Copa Ame­rica nach Peru. Zuhause spotten sie über das Rie­sen­baby im Sturm.

Das Adu-Experiment

Mit 14 galt er als das Wun­der­kind des ame­ri­ka­ni­schen Fuß­balls, mitt­ler­weile ist er in der Ver­sen­kung ver­schwunden. Was ist schief gegangen, Freddy Adu?

Adriano ist für sie ein Tom­ba­dour“, ein Stürmer – ein Schimpf­wort in Bra­si­lien. Doch spä­tes­tens als Adriano die Sel­ecao im Finale gegen Argen­ti­nien mit einem Treffer in der Nach­spiel­zeit ins Elf­me­ter­schießen rettet und so erst den Titel­ge­winn mög­lich macht, schweigen die Spötter. Ein Schuss. Adriano wird mit sieben Toren Tor­schüt­zen­könig und zum besten Spieler des Tur­niers gewählt. Sie nennen ihn den Impe­rator“. Er ist ganz oben.

Auch im Fol­ge­jahr ist Adriano die Attrak­tion des Welt­fuß­balls. Immer wieder häm­mert er aus den unmög­lichsten Distanzen den Ball ins Tor, Sekunden später schwebt er feder­leicht über den Platz. Diese Kom­bi­na­tion aus Kraft und Ele­ganz, nie­mand ver­kör­pert sie in diesen Tagen der­maßen per­fekt wie der Impe­rator von Inter. Beim Confed-Cup 2005 in Deutsch­land wird er wieder Tor­schüt­zen­könig und zum besten Spieler des Tur­niers gewählt. Bra­si­liens Hoff­nungen auf das sechste WM-Gold heißen Ronald­inho, Kaka, Ronaldo und Adriano. Er gehört zu den fan­tas­ti­schen Vier. Sie stehen für das joga bonito“, das schöne Spiel. Adriano hat die Kraft von Gigi Riva, die Beweg­lich­keit von Marco van Basten und den Ego­i­sumus von Romario“, sagt Inter-Trainer Roberto Man­cini einmal. Er hätte auch sagen können: Adriano ist der per­fekte Stümer.