Englands Nationaltrainer fährt gerne U‑Bahn. Vergangene Woche wurde ihm das zum Verhängnis, denn eine Gruppe Fans plauderte eine Unterhaltung an die Presse weiter. Nun will Hodgson schweigen. Unser Kolumnist Titus Chalk trauert.
Im modernen Fußball gehören Geschichten von Spielern, die mit ihrem Super-Helikopter zum Training kommen, zum gewöhnlichen Klatsch und Tratsch. Wir sehen solch Prahlerei beinahe täglich im Fernsehen, wir lesen sie in den Zeitungen oder bekommen sie direkt von den Spielern serviert – per Twitter. Und machen wir uns nichts vor: Wir, die leichtgläubigen Fans, verschlingen diese Geschichten. Denn wir wünschen uns nichts mehr, als diesen anscheinend sehr lohnenden Lifestyle nachzueifern.
In Zeiten wie diesen ist es dennoch ziemlich beruhigend, dass der englische Nationaltrainer normal ist. Er benutzt die U‑Bahn. Das, so hat Roy Hodgson kürzlich zugegeben, macht er besonders gern, wenn er in London ist.
Ob man also Hodgsons Fußballstil mag oder nicht, man kann wirklich nichts daran aussetzen, dass er in diesen wilden Zeit ein Mensch bleibt. In seinem Haus wird man nie vergoldete Toiletten finden und er wird nie Sanskrit-Tattoos oder Unterhosen aus Schlangenhaut tragen. Doch was nützt ihm diese Normalität in seinem Job? Nichts. Im Gegenteil. Vergangene Woche musste Hodgson erfahren, wie sich halb England gegen ihn verschwört, nur weil er ist, wie er ist: normal.
„Ist Rio im Kader?“ – „Das denke ich nicht.“
Das kam so: Nachdem er sich in einem U‑Bahn-Abteil höflich mit ein paar Fans unterhalten hatte, riefen diese kurzerhand die Boulevardblätter an und erzählten, dass Rio Ferdinand aus Englands Kader gestrichen worden sei. Ferdinand, so soll ihnen Hodgson in der Bahn erklärt haben, sei mit fast 34 Jahren am Ende seiner Karriere. Am kommenden Tag widersprach Hodgson dieser Version und behauptete, dass er inmitten eines vollgestopften Abteils von der Seite angequatscht worden wäre. Fans hätten gefragt: „Ist Rio im Kader?“ Er habe geantwortet: „Das denke ich nicht.“ Ein Satz. Nicht mehr, nicht weniger.
Dennoch ist nicht abzustreiten, dass Hodgson indiskret gewesen ist. Schließlich hat er den Fans verraten, dass Ferdinand nicht spielen würde – bevor dieser selbst davon wusste. Trotzdem stimmt es traurig, dass Hodgson deswegen in Schwierigkeiten geraten ist. Denn ist es nicht so, dass wir uns im Fußball viel häufiger Spieler, Trainer oder Funktionäre wünschen, die sagen, was sie wirklich denken? Natürlich ist das so. Würden sich englische Fußballfans und ‑medien sonst so gierig auf die neuesten Twitter-Einträge ihrer Helden stürzen? Die Fußballaußenwelt verschlingt diese sogenannten Tweets der vermeintlichen Innenwelt, sehnsüchtig nach ein bisschen Offenheit, Empathie und Intimität. Dabei ist es vollkommen egal, dass die meisten dieser Einträge ungefähr so spannend sind, wie man sie von einem dauergebräunten und Fußball spielenden Jungmillionär erwarten kann.
Hodgson versteht die Neugierde der Fans. Und statt diese zu ignorieren (eine Tat, für die er von der Presse noch strenger an den Pranger gestellt worden wäre), hat er sich geöffnet. War das naiv? Vielleicht. Aber hätte er wirklich davon ausgehen müssen, dass seine Offenheit von englischen Fußballfans ausgenutzt wird? Von Leuten also, die behaupten, sein Team zu unterstützen.
Hodgson kommt aus einer anderen Zeit. Der Mann war in den sechziger und siebziger Jahren für Crystal Palace oder Maidstone United aktiv. Damals hätten sich die Fans über eine zufällige Begegnung mit einem bekannten Fußballer gefreut. Sie wären an ihrer Station ausgestiegen und aufgeregt zum nächsten Pub gehastet, um ihren ungläubigen Kameraden davon zu erzählen. Dann hätten sie sich bis zur Sperrstunde mit viel Bier betrunken und in ihrem eigenen Ruhm gesonnt.
Ein Re-Tweet: Hodgson in 140 Zeichen
Wir leben allerdings in der Zeit des Re-Tweets, in der sich Attacken wie die von Ashley Cole („Bei der FA arbeitet ein Haufen von Fotzen“) verbreiten wie ein Lauffeuer. Dabei sind es nicht nur die Fans, die versuchen alles mitzubekommen, was im Social-Media-Leben der Profis passiert, auch die Medien verschlingen jede Kurznachricht, um diese an die restlichen, die übriggebliebenen Abnehmer zu verkaufen. Denn diese scheinen unfähig zu sein, sich selbst bei Twitter einzuloggen, um den ach so großen Skandalen zu folgen.
Für die Fans, die Hodgson in der U‑Bahn angesprochen haben, war das Weitergeben des Gesprächs nichts weiter als ein Re-Tweet einer Information – Hodgsons Version der Ereignisse umfasst schließlich eine Stellungnahme unter 140 Zeichen.
Das Vertrauen wird schwinden
Hodgson hat danach so gentlemanlike wie nur möglich versucht, die Konsequenzen für die Zukunft zu umreißen: „Dies ist eine Lektion für all die Leute, die mich künftig in der U‑Bahn sehen: Bitte seid nicht zu beleidigt, wenn ich mich weigere irgendeine Frage, die sie mir stellen, zu beantworten“. Aufgrund eines Vertrauensbruchs verlieren die Fans also das, was sie sich gegenwärtig im Fußball am meisten wünschen: eine authentische Stimme.
Dieser Kreis führt weiter bis zu den Medien: mit jedem Vertrauensbruch wird es selbst für Journalisten schwieriger, den Fußballern und Trainern spannende Geschichten zu entlocken. Es geht schließlich um Images und Marktwerte, und die Profis haben berechtigte Sorge, dass jede noch so kleine Bemerkung in der Presse zu einem Epos verarbeitet wird. Das klingt vielleicht nach journalistischem Eigeninteresse – aber sicherlich nicht auf dem Niveau der Zeitungen, die Hodgsons Zitate überhaupt erst veröffentlicht haben. Ihr kurzzeitiger Gewinn ist ein langfristige Niederlage für den heutigen Fußball-Diskurs. Online oder in der U‑Bahn – bald wird überall geschwiegen.