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Im modernen Fuß­ball gehören Geschichten von Spie­lern, die mit ihrem Super-Heli­ko­pter zum Trai­ning kommen, zum gewöhn­li­chen Klatsch und Tratsch. Wir sehen solch Prah­lerei bei­nahe täg­lich im Fern­sehen, wir lesen sie in den Zei­tungen oder bekommen sie direkt von den Spie­lern ser­viert – per Twitter. Und machen wir uns nichts vor: Wir, die leicht­gläu­bigen Fans, ver­schlingen diese Geschichten. Denn wir wün­schen uns nichts mehr, als diesen anschei­nend sehr loh­nenden Life­style nach­zu­ei­fern.

In Zeiten wie diesen ist es den­noch ziem­lich beru­hi­gend, dass der eng­li­sche Natio­nal­trainer normal ist. Er benutzt die U‑Bahn. Das, so hat Roy Hodgson kürz­lich zuge­geben, macht er beson­ders gern, wenn er in London ist.

Ob man also Hodgsons Fuß­ball­stil mag oder nicht, man kann wirk­lich nichts daran aus­setzen, dass er in diesen wilden Zeit ein Mensch bleibt. In seinem Haus wird man nie ver­gol­dete Toi­letten finden und er wird nie Sans­krit-Tat­toos oder Unter­hosen aus Schlan­gen­haut tragen. Doch was nützt ihm diese Nor­ma­lität in seinem Job? Nichts. Im Gegen­teil. Ver­gan­gene Woche musste Hodgson erfahren, wie sich halb Eng­land gegen ihn ver­schwört, nur weil er ist, wie er ist: normal.

Ist Rio im Kader?“ – Das denke ich nicht.“

Das kam so: Nachdem er sich in einem U‑Bahn-Abteil höf­lich mit ein paar Fans unter­halten hatte, riefen diese kur­zer­hand die Bou­le­vard­blätter an und erzählten, dass Rio Fer­di­nand aus Eng­lands Kader gestri­chen worden sei. Fer­di­nand, so soll ihnen Hodgson in der Bahn erklärt haben, sei mit fast 34 Jahren am Ende seiner Kar­riere. Am kom­menden Tag wider­sprach Hodgson dieser Ver­sion und behaup­tete, dass er inmitten eines voll­ge­stopften Abteils von der Seite ange­quatscht worden wäre. Fans hätten gefragt: Ist Rio im Kader?“ Er habe geant­wortet: Das denke ich nicht.“ Ein Satz. Nicht mehr, nicht weniger.

Den­noch ist nicht abzu­streiten, dass Hodgson indis­kret gewesen ist. Schließ­lich hat er den Fans ver­raten, dass Fer­di­nand nicht spielen würde – bevor dieser selbst davon wusste. Trotzdem stimmt es traurig, dass Hodgson des­wegen in Schwie­rig­keiten geraten ist. Denn ist es nicht so, dass wir uns im Fuß­ball viel häu­figer Spieler, Trainer oder Funk­tio­näre wün­schen, die sagen, was sie wirk­lich denken? Natür­lich ist das so. Würden sich eng­li­sche Fuß­ball­fans und ‑medien sonst so gierig auf die neu­esten Twitter-Ein­träge ihrer Helden stürzen? Die Fuß­ballau­ßen­welt ver­schlingt diese soge­nannten Tweets der ver­meint­li­chen Innen­welt, sehn­süchtig nach ein biss­chen Offen­heit, Empa­thie und Inti­mität. Dabei ist es voll­kommen egal, dass die meisten dieser Ein­träge unge­fähr so span­nend sind, wie man sie von einem dau­er­ge­bräunten und Fuß­ball spie­lenden Jung­mil­lionär erwarten kann.

Hodgson ver­steht die Neu­gierde der Fans. Und statt diese zu igno­rieren (eine Tat, für die er von der Presse noch strenger an den Pranger gestellt worden wäre), hat er sich geöffnet. War das naiv? Viel­leicht. Aber hätte er wirk­lich davon aus­gehen müssen, dass seine Offen­heit von eng­li­schen Fuß­ball­fans aus­ge­nutzt wird? Von Leuten also, die behaupten, sein Team zu unter­stützen.

Hodgson kommt aus einer anderen Zeit. Der Mann war in den sech­ziger und sieb­ziger Jahren für Crystal Palace oder Maids­tone United aktiv. Damals hätten sich die Fans über eine zufäl­lige Begeg­nung mit einem bekannten Fuß­baller gefreut. Sie wären an ihrer Sta­tion aus­ge­stiegen und auf­ge­regt zum nächsten Pub gehastet, um ihren ungläu­bigen Kame­raden davon zu erzählen. Dann hätten sie sich bis zur Sperr­stunde mit viel Bier betrunken und in ihrem eigenen Ruhm gesonnt.

Ein Re-Tweet: Hodgson in 140 Zei­chen

Wir leben aller­dings in der Zeit des Re-Tweets, in der sich Atta­cken wie die von Ashley Cole („Bei der FA arbeitet ein Haufen von Fotzen“) ver­breiten wie ein Lauf­feuer. Dabei sind es nicht nur die Fans, die ver­su­chen alles mit­zu­be­kommen, was im Social-Media-Leben der Profis pas­siert, auch die Medien ver­schlingen jede Kurz­nach­richt, um diese an die rest­li­chen, die übrig­ge­blie­benen Abnehmer zu ver­kaufen. Denn diese scheinen unfähig zu sein, sich selbst bei Twitter ein­zu­loggen, um den ach so großen Skan­dalen zu folgen.

Für die Fans, die Hodgson in der U‑Bahn ange­spro­chen haben, war das Wei­ter­geben des Gesprächs nichts weiter als ein Re-Tweet einer Infor­ma­tion – Hodgsons Ver­sion der Ereig­nisse umfasst schließ­lich eine Stel­lung­nahme unter 140 Zei­chen.

Das Ver­trauen wird schwinden

Hodgson hat danach so gen­tle­m­an­like wie nur mög­lich ver­sucht, die Kon­se­quenzen für die Zukunft zu umreißen: Dies ist eine Lek­tion für all die Leute, die mich künftig in der U‑Bahn sehen: Bitte seid nicht zu belei­digt, wenn ich mich wei­gere irgend­eine Frage, die sie mir stellen, zu beant­worten“. Auf­grund eines Ver­trau­ens­bruchs ver­lieren die Fans also das, was sie sich gegen­wärtig im Fuß­ball am meisten wün­schen: eine authen­ti­sche Stimme.

Dieser Kreis führt weiter bis zu den Medien: mit jedem Ver­trau­ens­bruch wird es selbst für Jour­na­listen schwie­riger, den Fuß­bal­lern und Trai­nern span­nende Geschichten zu ent­lo­cken. Es geht schließ­lich um Images und Markt­werte, und die Profis haben berech­tigte Sorge, dass jede noch so kleine Bemer­kung in der Presse zu einem Epos ver­ar­beitet wird. Das klingt viel­leicht nach jour­na­lis­ti­schem Eigen­in­ter­esse – aber sicher­lich nicht auf dem Niveau der Zei­tungen, die Hodgsons Zitate über­haupt erst ver­öf­fent­licht haben. Ihr kurz­zei­tiger Gewinn ist ein lang­fris­tige Nie­der­lage für den heu­tigen Fuß­ball-Dis­kurs. Online oder in der U‑Bahn – bald wird überall geschwiegen.