Die „Schneckerln“ sind weg, aber sein Schmäh ist unverwüstlich: Österreichs Jahrhundertspieler Herbert Prohaska über Fressorgien in Italien, seinen Wasserträger Carlo Ancelotti und das deutsche Trauma.
Zumindest zu Ihrer Zeit noch nicht. 1978 erreichten Sie mit Austria Wien das Finale des Europapokal der Pokalsieger, wo Sie dem RSC Anderlecht mit 0:4 unterlagen.
Die schlimmste Niederlage meiner Karriere. Wir waren schlecht vorbereitet und gaben uns damit zufrieden, dass wir im Finale standen. Anderlecht war die beste Kontermannschaft in Europa, und wir spielten ultraoffensiv.
Was lief nach Abpfiff in der Kabine ab?
Ernst Baumeister, nicht nur der Kettenraucher, sondern auch der harte Hund der Mannschaft, sperrte sich im Klo ein und weinte. Jeder hätte es ihm am liebsten gleich getan, aber keiner wollte sich vor anderen die Blöße geben – und das Klo war besetzt.
In der darauffolgenden Saison scheiterten Sie im Europapokal der Landesmeister erst im Halbfinale. Warum konnte sich Austria danach nicht längerfristig im Spitzenfußball etablieren?
Viele wichtige Spieler verließen den Verein oder beendeten ihre Karriere. Nach der WM 1978 wurde in Österreich die Wechselsperre für Unter-28-Jährige aufgehoben. Als Belohnung für unsere gute Leistung. Fast die gesamte Nationalelf bekam Angebote aus dem Ausland. Zunächst schlug ich alles aus, denn ich wollte Österreich nur verlassen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt wären.
Welche waren das?
Erstens: Ich musste viel mehr Geld verdienen als daheim. Zweitens: Der Klub, für den ich die Austria verließ, musste eine große Anziehungskraft auf mich ausüben.
64, wurde 2004 zu „Österreichs Fußballer des 20. Jahrhunderts“ gewählt. „Schneckerl“ gewann in seinen 17 Profijahren mit Austria Wien neun Meisterschaften – sieben als Aktiver, zwei als Trainer. Der 84-malige Nationalspieler holte zudem Titel mit Inter Mailand und dem AS Rom. Nach Ende seiner aktiven Laufbahn 1989 coachte er u. a. das Team Österreichs und führte es zur WM 1998. Seit 2000 ist er hauptamtlicher Fußballexperte im TV und bei Boulevardzeitungen.
Wer wollte Sie denn haben?
Tottenham Hotspur, FC Everton, Brighton & Hove Albion, Leeds United, Sporting Gijón und der FC Schalke 04. Bei Gijón war ich mir unsicher, der englische Fußball war nichts für einen technischen Spielertypen wie mich und Schalke konnte die zwei Millionen Mark Ablöse für mich nicht bezahlen. Als ich einen Anruf aus Italien bekam, war ich total überrascht. In der Serie A galt seit zwanzig Jahren eine Ausländersperre. Ein Wechsel war daher eigentlich unmöglich.
Inter Mailand meldete Interesse an Ihnen an.
Es war wie in einem Agentenfilm. Es hieß, ein Sportdirektor käme zu mir nach Wien. Ich traf ihn in einem Hotel. Erst dort eröffnete er mir, für welchen Klub er arbeitet. Er erklärte, dass die Ausländersperre wahrscheinlich im Sommer fallen würde. Jeder Klub dürfe einen ausländischen Spieler kaufen. Italien stand für mich neben Österreich immer an erster Stelle – nicht zuletzt auch wegen des guten Essens.
Sie waren nach zwanzig Jahren der erste Legionär, der wieder in der Serie A spielte.
Dabei hatte ich große Konkurrenz. Inter musste sich zwischen Michel Platini und mir entscheiden. Den Ausschlag gab Trainer Eugenio Bersellini. Er wollte einen offensiven Mittelfeldspieler, der auch nach hinten arbeitet. Platini spielte hinter den Spitzen und blieb nach Ballverlusten oft vorne stehen. Ich war ein wenig defensiver eingestellt.
Nach nur zwei Jahren verließen Sie Inter jedoch wieder.
Egal, was wir erreichten: Es war der Vereinsführung zu wenig. In meinem ersten Jahr schieden wir im Landesmeistercup im Halbfinale unglücklich gegen Real Madrid aus. In der nächsten Spielzeit gewannen wir den italienischen Pokal. Aber die Verantwortlichen meinten, einen noch besseren Legionär haben zu können, und tauschten mich aus. Ähnlich erging es mir beim AS Rom. Die Ausländerregelung wurde zwar noch einmal gelockert, es durften zwei Legionäre pro Klub spielen, doch für mich war kein Platz mehr. Nach einer Saison musste ich auch dort gehen.
Dabei wurde die Roma nach 41 Jahren wieder Meister.
Die Atmosphäre, die der Scudetto auslöste, war enorm. Wochenlang war Roms Zentrum in Vereinsfarben getränkt. Jede Statue trug eine Klubkappe und eine Flagge in der Hand. Wir standen drei Runden vor Schluss als Meister fest, und ich nahm in zehn Tagen drei Kilo zu – wir fraßen und feierten nur mehr.
Welchen Anteil hatte Ihr Trainer Nils Liedholm an diesem Erfolg?
Ein großartiger Trainer. Es war ihm egal, was wir aßen und tranken. Wir konnten schlafen gehen, wann wir wollten. Für ihn zählte nur die Leistung. Das war der große Unterschied zu Inter Mailand. Dort war alles wie auf einem Internat.
Laissez-faire war das Geheimnis der Erfolgs?
Ja, und dass Liedholm hinter uns stand. Als wir im Trainingslager waren, erzählten ihm Journalisten, dass ihnen um zwei Uhr nachts Spieler über den Weg gelaufen seien. Seine Antwort: „Da sehen Sie, was ich für super Profis habe. Bis drei Uhr habe ich ihnen freigegeben, und sie sind schon eine Stunde früher daheim.“