Weil er für Barca angeblich nicht mehr gut genug war, musste er gehen. Nun führt Luis Suarez mit Atlético die Tabelle in Spanien an – und ist ganz nebenbei der beste Torjäger der Liga. Über einen Stürmer, der zu seinem Glück gezwungen wurde.
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Ein Fußballer verbringt sechs Jahre bei einem Verein, absolviert 283 Spiele, erzielt 195 Tore, bereitet 113 Treffer vor, gewinnt viermal die Meisterschaft, weitere viermal den Pokal sowie einmal die Champions League. Und dann sagt sein Arbeitgeber plötzlich, er sei zu alt und nicht mehr in der Lage, auf hohem Niveau zu spielen. Klingt verrückt? Ist Luis Suarez beim FC Barcelona aber genau so passiert.
In einem Interview in der aktuellen Ausgabe von France Football ärgert sich Luis Suarez über diesen unwürdigen Abgang vom FC Barcelona. „Wenn ich seit drei oder vier Jahren nichts mehr für Barça geleistet hätte, hätte ich es vielleicht verstanden“, sagt Suarez gegenüber der französischen Zeitschrift. „Aber ich schoss jede Saison meine 20 Tore, zudem war ich die Nummer Zwei hinter Leo (Messi, An. Red.).“ Doch auf diese Nummer Zwei wollten die Katalanen ganz offensichtlich zu Gunsten eines Neustarts verzichten. Das wurde ihm auch so vom neuen Trainer Ronald Koeman telefonisch mitgeteilt.
Auch für den uruguayischen Nationalspieler war klar, dass es in Barcelona – speziell nach dem katastrophalen 2:8 gegen den FC Bayern – Veränderungen brauchte. Und Suarez störte sich auch nicht an dem personellen Umbruch, den der Verein anstrebte: „Das Einzige, was mich gestört hat, war die Art und Weise. Ich denke, ich habe etwas Respekt verdient.“
Diesen Respekt vermisste auch sein guter Freund Lionel Messi. Der Abgang seines Sturmkollegen nahm der Argentinier zum Anlass für eine öffentlichkeitswirksame Kritik via Instagram, nachdem er den Wechsel bereits kurz zuvor in einem Interview mit La Sexta als „verrückt“ bezeichnet hatte. In seinem Post sind Bilder der beiden zu sehen, flankiert von einem Text, in dem Messi sein Bedauern über den Abgang von Suarez zum Ausdruck bringt. Ein weiteres Kapitel in der Fehde zwischen dem argentinischen Superstar und seinem Herzensklub.
Zur neuen Spielzeit wechselte Luis Suarez also zu Atlético Madrid, nachdem ein Wechsel zu Juventus Turin gescheitert war. Für die Rojiblancos aus Spaniens Hauptstadt spielte der 34-jährige Angreifer von Beginn an groß auf. In seinem ersten Ligaspiel gegen Granada gelangen ihm zwei Treffer, einen weiteren legte er auf. Dafür genügten dem Uruguayer gerade einmal 20 Minuten. Wofür er in Barcelona angeblich zu alt geworden war, bereitete ihm in Madrid keinerlei Probleme: Auch in den Wochen nach dem Granada-Spiel schoss Suarez Tor um Tor.
Atlético war in den vergangenen Jahren keineswegs für seinen offensiven Spielstil bekannt. Auch in dieser Saison schießt die Mannschaft von Trainer Diego Simeone selten mehr als zwei Tore in einer Partie. Dafür kassiert Atlético selten mehr als einen Gegentreffer. Alles in allem: Kein Paradies für Stürmer. Der Fußball bei Atlético ist rauer als in Barcelona. Doch jeder, der Suarez kennt, also die halbe Welt, weiß, dass der Uruguayer sich auch mit unlauteren Mitteln zu helfen weiß. Seine Aggressivität fügt sich nahtlos in das Simeone-System ein. Darüber hinaus bringt er ein ausgeprägtes Gefühl für den freien und gefährlichen Raum mit sowie die Bereitschaft, sich aufzuopfern und mannschaftsdienlich zu spielen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Atlético derzeit bei einem Spiel weniger mit drei Punkten vor dem Stadtrivalen Real Madrid die Tabelle in La Liga anführt. Der erste Meistertitel seit sieben Jahren scheint endlich wieder realistisch. Und Luis Suarez thront nicht nur in der Tabelle ganz oben. Auch die Torschützenliste führt er – gemeinsam mit seinem Ex-Kollegen Lionel Messi – mit 16 Treffern an. Damit hat Suarez jetzt schon vier Tore mehr geschossen als sein Vorgänger Álvaro Morata in der kompletten vergangenen Saison.
Nicht nur Messi wollte Suarez in seiner Mannschaft halten. Auch Chelsea-Coach Thomas Tuchel hätte den Beißer gerne im vergangenen Sommer in sein Team geholt. Damals noch als Trainer von Paris Saint-Germain. „Es bot sich die Möglichkeit, wir hörten die Gerüchte, die zum Abgang bei Barcelona führten“, so Tuchel auf der gestrigen Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Atlético Madrid. „Wer wäre nicht interessiert gewesen bei einem der besten Stürmer der Geschichte und Gegenwart? Wir haben unser Glück versucht.“ Am Ende machte aber Atlético bekanntermaßen das Rennen um den Angreifer.
Wenn der FC Chelsea unter Trainer Thomas Tuchel heute Abend gegen Atlético Madrid antritt, kommt es nicht nur zu einem Duell zweier europäischer Schwergewichte. Es ist auch eine weitere Gelegenheit für Suarez, seine Klasse unter Beweis zu stellen. Bei Barca wäre das derzeit eine deutlich schwierigere Aufgabe. Im heimischen Camp Nou wurden den Katalanen in der vergangenen Woche von PSG die Grenzen aufgezeigt. Das Spiel verlor Barca mit 1:4, die Spieler waren nur allzu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig anzuschnauzen. Kein guter Ort, um glücklich zu werden. Das hat auch Luis Suarez nach seinem Wechsel zu Atlético Madrid verstanden, wie er France Football mitteilte: „Ich wäre nicht glücklich geworden, wo ich nicht erwünscht war. Jetzt spürt meine Familie, dass ich glücklich bin, und das ist die Hauptsache.“