Bus, Auto, Flugzeug – es gibt viele Wege in fremde Stadien. Das letzte große Abenteuer wartet aber im Sonderzug. Eine Liebeserklärung an die Eisenbahn.
Wenn einer eine Reise tut, dann will er was erleben. Das gilt für Fußballfans nicht weniger als für Normalbürger, mit dem großen Unterschied, dass der Fan alle zwei Wochen einen guten Grund hat, sich auf den Weg zu machen.
Vereinsembleme im Nappaleder
Und der reisefreudige Anhänger hat die freie Wahl des Fortbewegungsmittels. Er kann mit dem Flugzeug zum Spiel reisen und dabei eventuell sogar auf die Idee kommen, während des Fluges aufzustehen und kollektiv schwungvoll nach links und rechts zu rennen, um die Maschine ein wenig zum Wackeln zu bringen, wie es Anhänger von West Ham United in den achtziger Jahren taten. Oder er mietet ein Auto, muss aber bei der Rückgabe umständlich erklären, warum ins Nappaleder der Rücksitze die Vereinsinitialen eingeritzt wurden, von der klebrigen Biergischt in den Lüftungsschlitzen ganz zu schweigen. Oder er sichert sich einen Platz in einem altersschwachen Gelenkbus, dessen Fahrer gerade erst in einem zweitägigen Höllenritt altersschwaches Geflügel aus Rumänien herangekarrt hat, das sich aber besserer Behandlung erfreute als nun die Fuhre Fußballfans.
Oder er gönnt sich eben das letzte ganz große Abenteuer, das auf den Fußballfan heutzutage noch wartet: die Auswärtsfahrt mit dem Zug. Denn in der Eisenbahn treffen all jene aufeinander, die sonst nur noch wenig miteinander zu tun haben. Hooligans, desolate Kuttenfans, Altrocker, Nachwuchsultras, die gerade erst den Schreibfehler auf ihrem Doppelhalter entdeckt haben. Dazu eine Gruppe kregeler Landfrauen, die sich auf der Fahrt zum Vogelpark Walsrode im Gleis vertan haben, und ein paar ganz normale Fans, denen schon auf dem Bahnhofsvorplatz schwant, dass sie wohl besser daheimgeblieben wären.
Reif für die Verschrottung
Ein Eindruck, der sich vehement verstärkt, wenn dann endlich der bereitgestellte Sonderzug einfährt. Große Erleichterung bei allen, dass auf der Lok kein Heizer steht, der mit der großen Schaufel Kohle nachschiebt. Denn für die Fanzüge werden in der Regel nur museal anmutende Reichsbahnwaggons bereitgestellt, die vom Eisenbahn-Bundesamt eh bereits zur Verschrottung freigegeben worden sind. Marode D‑Züge, in deren Abteilen noch Werbung für Raider, Treets und Doppeldusch über den beigen Sitzen hängt – wenn denn überhaupt Sitze vorhanden sind.
In diesem Wissen verläuft auch die Einsteigeprozedur, bei der wenig Rücksicht auf Alter und Gesundheit genommen wird. Stattdessen ein wüstes Gedränge wie sonst nur bei der Eröffnung von Elektronikmärkten am Berliner Alexanderplatz. Hektisch werden zahllose Europaletten hochprozentiger Billigspirituosen durch die Fenster gereicht, mit denen eine russische Strafkolonie locker über den Winter käme.
Wagon 3? Wagon 7?
Wer sich Zeit lässt, weil er der irrigen Ansicht ist, einen Fensterplatz reserviert zu haben, verbringt die Auswärtsfahrt in der Regel auf den wackelnden Scharnieren zwischen den Waggons und muss aufpassen, dass er nicht alle paar Sekunden einen Helm der mitfahrenden Grenzschutzgruppe an den Hinterkopf bekommt. Überhaupt muss der Fan je nach Interesse schauen, wo er einsteigt. Bei den Raufbrüdern in Waggon sieben, die sofort ansatzlos damit beginnen, das ganze Interieur auseinanderzunehmen. Oder bei den Normalos in Waggon drei, wo es deutlich gesitteter zugeht und kein schnauzbärtiger Althool auf die Idee kommt, die Gepäckablage für ein Nickerchen zu nutzen. Kurzum, die Reiseschar gibt sich so zivilisiert, dass man froh sein muss, dass nicht gleich auch noch gesiedlert wird.